Thrombozytopenie ist ein Krankheitsbild mit vielfältigen Ursachen; Möglichkeiten zur Behandlung gibt's auch viele. Wie macht man es richtig? Hier ein Überblick über die Medikamente.
Teil 4 unserer Serie über seltene Krankheiten und ihre Behandlung. Hier geht's zu Teil 3.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland zwei bis sieben von 100.000 Kindern und zwischen zwei und vier von 100.000 Erwachsenen an Thrombozytopenie. Sie ist definiert als eine Thrombozytenzahl von weniger als 150.000 / µL und ist unter anderem mit chronischen Lebererkrankungen assoziiert.
Eine Ursache für die Krankheit kann sein, dass das Knochenmark nicht in der Lage ist, genug Thrombozyten zu produzieren oder dass das Immunsystem die Thrombozyten attackiert. Eine weitere mögliche Ursache ist auch eine vergrößerte Milz, in der zu viele Thrombozyten herausgefiltert werden.
Da das Spektrum der Ursachen einer Thrombozytopenie sehr groß ist, werden sie generell in 3 Kategorien gegliedert:
Eine Thrombozytopenie ist in vielen Fällen nicht chronisch, sondern tritt nur vorübergehend auf, bis der Körper den Mangel von selbst reguliert hat.
Jährlich entwickeln rund 2.400 Menschen eine Immunthrombozytopenie (ITP), eine der zahlreichen Formen dieser Erkrankung. Da die Erkrankung bei Kindern häufig von kürzerer Dauer ist und somit seltener chronisch wird, sind die Mehrheit der 16.000 Menschen, die in Deutschland derzeit mit einer chronischen Form leben, Erwachsene. Das mittlere Erkrankungsalter bei Erwachsenen liegt bei etwa 60 Jahren. Hierbei sind Männer ab diesem Alter dreimal häufiger betroffen als Frauen. Davor ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt und es leiden vermehrt Frauen unter einer ITP. Im Kindesalter erkranken wiederum mehr Jungen als Mädchen.
Die Häufigkeit der Immunthrombozytopenie liegt bei 2 bis 4 Fällen pro 100.000 Einwohnern; der Altersgipfel liegt bei 50 bis 55 Jahren. 60 Prozent der Fälle verlaufen chronisch. Die Ursache der Krankheit sind erworbene Autoantikörper gegen Thrombozyten und ihre Vorstufe im Knochenmark, die Megakaryozyten. In 80 Prozent treten die Antikörper primär aus unbekannter Ursache oder genetisch bedingt auf; in 20 Prozent sekundär infolge von Medikamenten oder anderen Erkrankungen.
Der ältere Begriff für die ITP, idiopathische thrombozytopenische Purpura, ist obsolet. Die Erkrankung wird auch als Morbus Werlhof bezeichnet. Der Arzt Paul Gottlieb Werlhof (1699-1767) berichtete schon 1735 über ein 16-jähriges Mädchen, das nach einer Infektion Blutungen der Haut und Schleimhäute entwickelte. Im angloamerikanischen Sprachraum wird außerdem auf den englischen Arzt Robert Willan (1757-1812) verwiesen: Er war Begründer der Dermatologie und berichtete 1802 über das gleichzeitige Auftreten von kutaner Purpura mit Schleimhautblutungen. Erst 1883 erkannte dann E. Krauss, dass die hämorrhagischen Symptome durch eine Thrombozytopenie hervorgerufen werden.
Thrombozyten übernehmen eine wichtige Funktion bei der Blutstillung. Normalerweise beträgt die Lebensdauer der Thrombozyten zwischen fünf und zwölf Tagen, bevor sie dann in der Milz abgebaut werden. Die Lebensspanne kann durch Thrombozyten-Autoantikörper aber deutlich verkürzt werden, indem diese dafür sorgen, dass die Blutplättchen fälschlicherweise schneller und auch vermehrt abgebaut werden. Gleichzeitig hemmen die Autoantikörper die Thrombozytenneubildung aus den Megakaryozyten im Knochenmark. Die Folge ist ein für die Immunthrombozytopenie charakteristischer Thrombozytenmangel, der die Blutgerinnung beeinträchtigt
Die Thrombozytopenie ist definiert als eine Thrombozytenzahl von weniger als 150.000 / µL und ist auch mit chronischen Lebererkrankungen assoziiert. Sie ist die häufigste hämatologische Komplikation chronischer Leberkrankheiten. Symptome können sich anhand des Auftretens von Blutungen unterschiedlicher Lokalisation zeigen:
Die Behandlung mit Medikamenten orientiert sich an der zugrunde liegenden Erkrankung bzw. Ursache. Dabei kommen Kortikoide sowie der Wirkstoff Tranexamsäure und Infusionen mit monoklonalen Antikörpern wie Rituximab zum Einsatz. Mit Romiplostim und Eltrombopag stehen derzeit zwei Thrombopoietin-Mimetika zur Verfügung, welche einen direkten Einfluss auf die Megakaryozytopoiese besitzen. Für die therapierefraktäre Immunthrombozytopenie wurde weiterhin kürzlich ein SYK-Inhibitor (Fostamatinib) zugelassen, welcher die Sequestrierung von Thrombozyten in der Milz hemmt. Alle anderen medikamentösen Behandlungsansätze (insbesondere die Immunsuppressiva) haben eine Reduktion des peripheren Thrombozytenumsatzes oder die Vermeidung von Blutungskomplikationen zum Ziel.
Die Therapien greifen an zwei unterschiedlichen Stellen ins Krankheitsgeschehen ein. Die meisten ITP-Therapien zielen darauf ab, das körpereigene Abwehrsystem zu dämpfen. Dies geschieht durch Kortikoide oder Immunsupressiva. Es ist auch möglich, den Thrombozytenabbau durch Immunglobuline oder Milz-Tyrokinase-Hemmer zu beeinflussen.
Mit Fostamatinib steht seit Juli 2020 ein erster solcher SYK-Hemmer zur Behandlung der chronischen Immunthrombozytopenie zur Verfügung. Eingesetzt werden darf er bei Betroffenen, die gegenüber anderen Behandlungsarten therapieresistent sind.
Der aktive Metabolit von Fostamatinib blockiert die Aktivität des Enzyms Milz-Tyrosinkinase (SYK, Spleen tyrosine kinase). Dieses ist ein Signaltransduktionsmodulator und spielt eine wichtige Rolle bei der Aktivierung des Immunsystems. Die Signaltransduktion der B-Zell-Rezeptoren sowie der Fc-aktivierenden Rezeptoren wird gehemmt und die durch Antikörper vermittelte Zerstörung der Thrombozyten wird reduziert.
Chirurgisch kommt auch die Entfernung der Milz in Betracht.
Ein anderer Angriffspunkt ist die Förderung der Blutplättchenneubildung im Knochenmark durch Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten wie Romiplostim.
Es handelt sich dabei um ein Fusionsprotein, das mit rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wird. Es wirkt ähnlich wie das natürliche körpereigene Thrombopoetin (TPO). Der TPO-Rezeptor, der für Wachstum und Reifung der Knochenmarkzellen benötigt wird und maßgeblich an der Thrombozytenproduktion beteiligt ist, wird stimuliert. Seit Anfang Februar 2021 ist das Pharmakon für die 2nd-line-Therapie dieser schweren Autoimmunkrankheit europaweit zugelassen.
Auch bei Eltrombopag, Lusutrombopak und Avatrombopag handelt es sich um TPO-Agonisten der zweiten Generation.
Lusutrombopag ist dabei ein oral wirksamer Thrombopoetin (TPO)-Rezeptoragonist, der sich seit Dezember 2021 auf dem Markt befindet. Er ist indiziert zur Prävention starker Blutungen bei Erwachsenen mit Thrombozytopenie aufgrund einer chronischer Lebererkrankung, die sich einem invasiven Eingriff unterziehen müssen. Das Medikament wirkt auf hämatopoetische Stammzellen und regt die Proliferation und Differenzierung der Megakaryozyten an, wodurch die Thrombozytopoese stimuliert wird.
Die Hauptunterschiede zwischen Lusutrombopag und Avatrombopag bestehen in Dosierung, Timing und Nebenwirkungen.
Beide Pharmaka werden einmal täglich oral verabreicht. Sie sind zur Behandlung von Thrombozytopenie bei Patienten mit chronischer Lebererkrankung indiziert. Beide Medikamente werden bei Patienten angewendet, bei denen ein Eingriff geplant ist, um Blutungen und Blutplättchentransfusionen zu vermeiden.
Für Avatrombopag gilt:
Für Lusutrombopag gilt:
Der wesentliche Unterschied zu Eltrombopag ist, dass Avatrombopag mit Lebensmitteln zusammen eingenommen werden kann; auch Mörsern zur Applikation über eine PEG ist möglich. Bei Patienten, die mit der mehrstündigen Nahrungskarenz vor der täglichen Einnahme von Eltrombopag nicht zurechtkommen, bietet sich ein Substanzwechsel auf Avatrombopag an. Bei der Anwendung muss zwischen der Gabe bei chronischen Lebererkrankungen und ITP unterschieden werden. Nicht für alle Indikationen ist das Prozedere und die Dosisfindung untersucht.
Bei Eltrombopag und Romiplostim wird aktuell der Wert von TPO-Spiegelbestimmungen zur Vorhersage der Wirksamkeit diskutiert. Bei chronischen Lebererkrankungen scheint dies auch für Avatrombopag zu gelten; bei der ITP gibt es noch keine publizierten Daten.
Thromboembolien scheinen mit Avatrombopag nicht seltener aufzutreten als mit Eltrombopag oder Romiplostim. Bei Avatrombopag kommt es jedoch im Vergleich zu Eltrombopag seltener zu einem Anstieg der Leberwerte.
In Phase-II-Studien steigerte orales Avatrombopag die Thrombozytenproduktion bei Patienten mit chronischer ITP und war bei der Verbesserung der Thrombozytenansprechrate an Tag 28 wirksamer als Placebo.
Avatrombopag wurde in einer 6-monatigen, multizentrischen, randomisierten, doppelblinden Parallelgruppenstudie der Phase III mit einer offenen Verlängerungsphase gegen Placebo verglichen. Der primäre Endpunkt war dabei die kumulative Anzahl von Wochen der Thrombozytenreaktion (Thrombozytenzahl ≥ 50 × 10 9 /l) ohne Notfalltherapie für Blutungen. Sekundäre Endpunkte waren die Thrombozyten-Ansprechrate an Tag 8 und die Verringerung der Einnahme von Begleitmedikationen.
Die dauerhafte Thrombozytenansprechrate war bei mit Avatrombopag behandelten Patienten signifikant höher als bei Patienten, die Placebo erhielten (34,4 Prozent vs. 0 Prozent). Darüber hinaus reduzierten 33,3 Prozent der Patienten in der Avatrombopag-Behandlungsgruppe ihre gleichzeitige Einnahme von ITP-Medikamenten gegenüber dem Ausgangswert im Vergleich zu 0 Prozent in der Placebogruppe.
In einer vorbehandelten Gruppe mit chronischer ITP war Avatrombopag auch nach einer Therapie mit Romiplostim oder Eltrombopag wirksam.
Da die Arzneistoffe gegen die Thrombozytopenie alle recht neu sind, fehlen bisher Studien und Metaanalysen, die vergleichende Daten der TPO-Agonisten liefern. Bis jetzt ist noch nicht geklärt, welches Medikamente für wen und in welcher Dosierung optimal ist. Dabei sollte man allerdings im Hinterkopf behalten: Für seltene Erkrankungen handelt es sich dabei um Luxussorgen.
Interesse geweckt? Hier geht es zum nächsten Teil der Serie.
Bildquelle: Alexander Schimmeck, Unsplash