Für Hundebesitzer ist ihr Anblick ein Schock: die prolabierte Nickhautdrüse, auch Cherry Eye genannt. Die Frage nach den Gründen für die Erkrankung ist für Tierärzte oft schwer zu beantworten. Eine Studie liefert jetzt neue Erkenntnisse.
Jeder Kleintierarzt kennt sie: die protrudierte oder gar prolabierte Nickhautdrüse beim Hund – erkennbar an einer meist knallroten Schwellung, die sich am nasalen Augenwinkel befindet. Der optische Vergleich mit einer Kirsche liegt nahe und brachte dem Nickhautdrüsenvorfall seinen Spitznamen „Cherry Eye“ ein.
Zunächst ist eine vorgefallene Nickhautdrüse nicht zwingend schmerzhaft für betroffene Hunde. Unbehandelt kann sie aber – teils durch Reiben des Auges mit der Pfote – zu Bindehautentzündungen, Keratokonjunktivitis sicca (KCS), Verletzungen des dritten Augenlids oder sogar der Kornea führen. Behandlungen mit antibiotischen Augentropfen oder eine manuelle Reposition der Drüse können in milden Fällen zum Erfolg führen, oft bleibt aber nur die operative Reposition und Fixation zum Erreichen des gewünschten dauerhaften Zustands.
Obwohl Tierärzte die Augenerkrankung regelmäßig, vor allem bei jüngeren Hunden zu sehen bekommen, ist ihre Ätiologie noch immer nicht vollständig geklärt. Auch das männliche Geschlecht, eine Prädisposition bestimmter Rassen oder Schädelformen werden als Risikofaktoren diskutiert. Deformationen des Knorpelgerüsts der Nickhaut oder eine Hyperplasie des lymphatischen Gewebes der Bindehaut scheinen sie zu begünstigen, könnten aber auch erst in Folge eines Prolapses entstehen.
Eine Forschungsteam aus Großbritannien und Finnland nahm sich den epidemiologischen Aspekten dieser Erkrankung nun an. Die Gruppe um Tierärztin Minna Mustikka wertete hierfür Daten von über 900.000 Hunden aus, die 2016 in der Datenbank VetCompass des Royal Veterinary College der University of London vorlagen. Bei 1.802 von ihnen konnte ein Nickhautdrüsenvorfall festgestellt werden, was eine jährliche Prävalenzrate von 0,2 % (95% KI: 0,19–0,21) darstellt. Das mediane Alter der Hunde zum Zeitpunkt der Diagnose lag bei 0,63 Jahren.
Im Vergleich zu Mischlingen hatten Rassehunde eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen Nickhautdrüsenvorfall (Prolapsed nictitating membrane gland (PNMG)) zu erleiden (OR: 1,43; 95 % KI 1,26–1,63), während sogenannte Designerhunde im Schnitt eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit (OR: 0,65; 95 % KI 0,51–0,82) für PNMG aufwiesen. Als Designerhunde bezeichnen die Autoren bestimmte Kreuzungen von zwei Mode-Rassen, wie der „Puggle“ (Mops (engl. Pug) + Beagle).
Aber auch hier gab es Ausnahmen: So wiesen sowohl Mops als auch Beagle ein geringes Vorkommen der PNMG auf (OR: 0,22 und 1,36), beim Puggle war dieses jedoch erhöht (OR: 9,53). Ähnlich sah es beim „Jug“ (Jack Russell Terrier + Mops) aus, welcher eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für eine PNMG hatte (OR: 5,18), als seine reinrassigen Verwandten (Mops OR: 0,22; Jack Russell Terrier OR: 0,31).
Wie sieht es nun mit brachyzephalen Hunden aus? Vorherige Studien weisen darauf hin, dass Brachyzephalie mit einer erhöhten Prädisposition für die PNMG bei Hunden assoziiert ist, weshalb die Autoren diesen Faktor als Studienhypothese mitaufnahmen. Die Ergebnisse konnten diese Hypothese unterstützen und deuten auf eine Prädisposition für die PNMG bei brachyzephalen Rassen hin (OR: 6,93). Ein Grund hierfür könnte der fehlende Raum im Bereich der knöchernen Orbita bei brachycephalen Hunden sein.
Trotz dieser eindeutigen Veranlagung bei brachycephalen Rassen insgesamt, variierte das Vorkommen einer PNMG zwischen den gängigen brachycephalen Rassen teils erheblich. Die Rassen mit dem höchsten Risiko, an PNMG zu erkranken, waren der Neapolitanische Mastiff (OR: 34,26), die Englische Bulldogge (OR: 24,08), der Cane Corso (OR: 14,66) und der American Cocker Spaniel (OR: 11,57) – sie alle weisen eine brachyzephale Schädelform auf.
Andere brachycephale Rassen, wie der Shih-Tzu (OR: 1,17) und der Boxer (OR: 0,47), zeigten jedoch keine Veranlagung für PNMG. Der Mops (OR: 0,22) scheint hingegen sogar eine Art protektive Veranlagung zu besitzen. Die Autoren schreiben hierzu: „Diese Ergebnisse legen nahe, dass, obwohl die brachyzephale Schädelform eindeutig mit PNMG assoziiert ist, noch viele andere Faktoren bei bestimmten Rassen eine Rolle spielen.“
Die genaue Ätiopathogenese der PNMG sei nach wie vor unklar, schreiben Mustikka und ihre Kollegen. Eine These der Autoren: Alle fünf Rassen mit der in der aktuellen Studie höchsten Quote für PNMG besitzen überdurchschnittlich lange Augenlider im Verhältnis zur Größe des Augapfels und der Augenhöhle (Makroblepharon), woraus besonders große Lidspalten resultieren. Auf der anderen Seite seien diese Merkmale auch bei anderen Rassen, wie dem Mops und dem Shih Tzu zu finden – diese waren in der aktuellen Studie jedoch besonders selten von einer PNMG betroffen. Eine übermäßige Laxizität des periokularen Gewebes, besonders bei großen Rassen, und damit ein fehlendes Stützgerüst der Nickhaut könne durchaus bei der Ätiopathogenese der PNMG eine Rolle spielen, so die Autoren.
Ihr Fazit: Eine insgesamt funktionelle und gesunde Form des Augenlids solle von Züchtern als ein wichtiges Zucht-Ziel – besonders für brachyzephale Rassen – aufgenommen werden. Weitere prädisponierende Faktoren für ein „Cherry Eye“ müssen wohl in weiteren Studien untersucht werden.
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