Flüchten wegen der Corona-Impfpflicht massenweise Pflegekräfte aus dem Gesundheitswesen? Das suggerieren zumindest zahlreiche Stellengesuche von Ungeimpften. Vieles deutet auf eine gezielte Kampagne von Impfkritikern hin.
In mehreren deutschen Lokalzeitungen und Anzeigenblättern sind in den letzten Tagen massenhaft Stellenanzeigen aufgetaucht – angeblich von ungeimpften Pflegekräften, die wegen der kommenden Impfpflicht für Mitarbeiter des Gesundheitswesens ab Mitte März um ihren Job bangen. Eine gezielte Kampagne gegen die Impfpflicht? Jedenfalls gibt es Hinweise dafür.
Eine Flut solcher Jobgesuche ist am vergangenen Wochenende in Anzeigenblättern in der Oberlausitz erschienen. Der rbb macht etwa auf 126 oftmals ähnlich formulierte Anzeigen in einem kleinen Bautzener Anzeigenblatt des Oberlausitzer Kuriers aufmerksam, die in der Rubrik „Stellengesuche“ aufgegeben worden sind. Sie nehmen fast eine ganze Zeitungsseite ein.
Die Anzeigen stammen – so steht es in den Inseraten – von Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen, sprich von Krankenschwestern oder -pflegern, von Klinik-Mitarbeitern, Altenpflegern und Physiotherapeuten. Was die Jobsuchenden alle gemeinsam haben: Da sie ungeimpft sind, verlieren sie ihre jetzige Arbeitsstelle zum 16. März. Sie suchen nun einen „neuen Wirkungskreis“, wie es mehrmals heißt. Das Wort ungeimpft wird in den Anzeigen teilweise hervorgehoben, entweder in Versalien oder fett geschrieben.
Das Phänomen der „Impfflucht-Stellengesuche“ tritt bundesweit auf: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung waren es im Traunsteiner Tagblatt am 8. Januar mehr als 30 solcher Inserate, im WochenKurier in Pirna allein am vergangenen Samstag 37. Auch in der Zeitung Nordbayerischer Kurier und dem Oberbayerischen Volksblatt tauchten die Anzeigen in den letzten Wochen geballt auf.
Dass plötzlich massenhaft solche Anzeigen auftauchen, macht mehr als stutzig – die Vermutung, dass hinter den Inseraten eine geplante Aktion von Corona-Impfgegnern steckt, die eine Personalflucht aus der Branche wegen der Impfpflicht aufbauschen wollen, ist naheliegend.
Hinweise dafür gibt es jedenfalls: Andreas Rausch, Journalist vom rbb, ist der Sache in einer ersten Recherche nachgegangen. Im Fall der Annoncen aus Bautzen sind einige Gesuche nur per Chiffre zu kontaktieren, bei vielen sind aber Telefonnummern hinterlegt. Rausch habe 18 Stichproben gemacht, berichtet er auf Twitter. Seine Versuche, Personen unter den angegebenen Telefonnummern zu erreichen, schlugen fehl: Die Nummern wären entweder nicht vergeben gewesen oder es ging niemand dran. Einige Rufnummern waren offensichtlich gefälscht: Dass unter einer angegebenen Handynummer 0160-1234567890 niemand drangeht, verwundert wenig.
Es zeichnet sich ab: Viele der Anzeigen sind offenbar ein Fake. Wie sieht es mit Belegen dazu aus, ob es sich bei den Anzeigen um gezielte Manipulationsversuche handelt?
Mittlerweile wurden nach Medienberichten Personen ausfindig gemacht, die die Inserate als geplante Aktion bestätigen. Der rbb teilt auf Twitter mit, man habe zwischenzeitig mit einer Krankenschwester gesprochen, die hinter einer der Annoncen steht. Sie soll von einer „konzertierten Aktion“ gesprochen haben, die verabredet war. Zu einem Interview sei sie aber nicht bereit gewesen.
Genaueres zu einer gezielten Kampagne berichtet eine 47-jährige Krankenschwester „mit Herz und verschiedenen Qualifikationen” im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Sie sei Mitglied in einer geschlossenen Telegram-Gruppe, in der sich ungeimpfte Pflegekräfte, Arzthelfer und Klinikpersonal zusammengeschlossen hätten, heißt es. Teilnehmen könne man nur auf Einladung, damit ein freier Austausch über „Sorgen und Nöte“ möglich sei. Ihre Annonce sehe sie als Protest.
In der Telegram-Gruppe seien mehr als 300 Personen. Die Stellenanzeigen zu schalten, sei eine gemeinsam abgesprochene Sache gewesen. Motiviert hätten sie ähnliche Aktionen, bei denen viel Aufmerksamkeit rumgekommen wäre. Im Nachhinein sei das „mit den ausgedachten Nummern“ aber ein Fehler gewesen, wird sie zitiert. Die Gruppe habe auch Briefe an das Landratsamt verfasst, darauf aber bisher keine Antwort erhalten. Rechter oder linker Extremismus liege ihr fern, heißt es seitens der Krankenschwester, sie wolle nur umgeimpft ihren Job weitermachen.
Auch ZDFheute berichtet von einer über Telegram koordinierten Aktion. In einer Chat-Gruppe mit mehr als 11.000 Mitgliedern aus Pflege- und Krankenhauskräften hätten in der vergangenen Woche mehrfach Nutzer mitgeteilt, gezielt Anzeigen geschaltet zu haben.
„Ich möchte euch mitteilen, dass mehrere Gruppen mit Pflege-/Klinikpersonal im Kreis Heilbronn eine Aktion macht. Wir werden alle ein Stellengesuch in der Heilbronner Stimme machen“, soll etwa ein Nutzer laut zdfheute geschrieben haben. „Die Anzeigen werden am Samstag, den 29.01. erscheinen. Inhalt sollte langjährig beschäftigt, ungeimpft und ab 16.03. enthalten.“
Bislang ist unklar, wie viele der Anzeigen echt oder falsch sind. Es sieht aber danach aus, dass nicht alle der Anzeigen von Ungeimpften auf Jobsuche fingiert sind. Das ZDFheute habe etwa zu den Anzeigen im Oberlausitzer Kurier mehrere echte Personen identifizieren können. Dass zumindest mit einem Teil der Anzeigen aber ein Schreckensszenario flüchtender Pflegekräfte gezeichnet werden soll, liegt auf der Hand.
Hinweise auf eine große Kündigungswelle sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft bisher nicht. „Aktuell haben uns noch keine Meldungen aus den Krankenhäusern zu möglichen Kündigungen aufgrund der ab 15. März geltenden Impfpflicht erreicht“, sagte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß der Rheinischen Post. Wie bereits in Frankreich oder Italien, ist die von Pflegeverbänden und Gewerkschaften befürchtete Flut von Kündigungen aufgrund der Impfpflicht in Deutschland bislang ausgeblieben.
Bundesweit sei die Impfquote in den Krankenhäusern mit mehr als 90 Prozent sehr hoch. „Aber es gibt regionale Unterschiede, und wir können nicht ausschließen, dass es an einzelnen Standorten auch zu Problemen kommen kann“, so Gaß.
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