Bislang zeichnet sich im Bundestag keine Mehrheit für ein Impfpflicht-Modell ab – eher sind es drei Lager, in die sich die Abgeordneten jetzt splitten. Um welche Modelle geht es? Ein Überblick.
Wer sich von der gestrigen (Mittwoch, 26. Januar 2022) Orientierungsdebatte zur allgemeinen Impfpflicht mehr Klarheit erhofft hatte, wurde herbe enttäuscht. Was vor allem deutlich wurde: Die Koalitionsfraktionen der Ampel sind sich uneins, eine gemeinsame Linie zur Corona-Impfpflicht fehlt.
Sinn der Debatte war es, dass sich Abgeordnete ohne Fraktionszwang bezüglich einer Impflicht entscheiden sollten. Praktisch wurden erstmal nur Positionen abgeklopft. Auch die Regierung hat keinen Gesetzesvorschlag vorgelegt, sondern es werden konkurrierende Gruppenanträge unterschiedlicher Abgeordneter erwartet, die nach der Orientierungsdebatte vorgelegt werden sollen. Einige Vorstellungen sind bereits konkreter: Dem Bundestag lagen bis gestern drei verschiedene Anträge vor. Davon sind zwei sogar fraktionsübergreifend.
Sieben Abgeordnete – darunter Vize-Fraktionsvorsitzender der SPD Dirk Wiese, Dr. Janosch Dahmen (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) – schlagen eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren vor. Dabei beruht die Impfpflicht auf drei Impfungen, die ohne Impfregister organisiert werden und auf ein oder zwei Jahre begrenzt sein sollen. Die Abgeordneten bringen auch ein Bußgeld für Impfverweigerer in ihren Vorschlag mit ein.
„Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung, als auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber viele andere mehr treffen, mit harten Folgen“, erklärt Dagmar Schmidt, SPD-Fraktionsvorsitzende.
Innerhalb der FDP-Fraktion ist man sich uneins, doch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki spricht sich mit seinem Vorschlag gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. Er sieht dadurch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Denn anders als die MMR-Impfung, erzeuge die Corona-Impfung keine sogenannte sterile Immunität. Kubicki führt weiter auf, dass ein Eingriff in das Grundrecht mit einer möglichen Corona-Variante im Herbst nicht begründbar und rechtlich haltbar sei.
Die Alternative: Die Entscheidung für die Impfung soll weiterhin auf Freiwilligkeit und Aufklärung basieren. 39 FDP-Abgeordnete sowie zwei Unions-Politiker unterstützen diesen Entwurf.
Eine andere Gruppe von Abgeordneten sucht mit ihrem Entwurf einen Kompromiss: Sie plädiert für eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren und setzt auf eine verpflichtende Impfaufklärung. „Wir wollen jeder ungeimpften Person einen Termin zukommen lassen, der verpflichtend wahrgenommen werden muss“, heißt es in dem Entwurf. Auch dieser Vorschlag ist fraktionsübergreifend, an dem unter anderem federführend Prof. Andrew Ullmann (FDP) und Dr. Paula Piechotta (Grüne) sowie vier weitere Abgeordnete beteiligt sind.
Im Bundestag verwies Ullmann darauf, dass alle ein gemeinsames Ziel hätten: Die schnellstmögliche Rückkehr zum „freiheitlichen Normalzustand“, ohne Kollaps des Gesundheitssystems. Im ersten Schritt sollte alles versucht werden, um die Bürger von der Impfung zu überzeugen. Daher schlägt er ein verpflichtendes Aufklärungsgespräch für alle volljährigen Bürger vor.
Es gebe eine große Anzahl an Ungeimpften, die noch überzeugt werden könnten. Auf Anfrage der DocCheck News Redaktion erklärte Ullmann, dass die Grundlage dieser Annahme die Daten der COSMO-Studie sei. Demnach verschließe sich ein Drittel der ungeimpften Bevölkerung nicht grundsätzlich vor der Impfung. „Diese Menschen können wir mit einer Termineinladung und einem Beratungsgespräch überzeugen“, erläutert der FDP-Abgeordnete. Dabei habe er die Hoffnung, dass auch Gegner überzeugt werden könnten, denn letztendlich sollten „medizinische und nicht politische Beweggründe“ zur Impfung führen. Wird die nötige Impfquote dennoch nicht erreicht, wäre er für eine Impfpflicht ab 50 Jahren.
Piechotta verstehe, dass es Gegenstimmen zur Impfpflicht gebe mit Verweis auf Kubicki. Doch man müsse auch andere Perspektiven verstehen; sie spricht von ihrer Herkunft aus Sachsen, wo die Impfquote sehr niedrig sei, die Todeszahlen und Inzidenzen hingegen sehr hoch. Piechotta wirft ein, dass auch dieser Entwurf nicht „der beste Weg aus der Krise“ wäre. Doch es sei ein Versuch, die „gesellschaftlichen Nebenwirkungen“ zu minimieren, die eine Impfpflicht haben kann. Es könnte auch zu Radikalisierungstendenzen kommen, ergänzt sie. Sie freue sich aber auf die Debatten der nächsten Wochen.
Ullmann hat gegenüber der DocCheck News Redaktion durchklingen lassen, wie der sogenannte Mittelweg einer Impfpflicht umgesetzt werden könnte: „Beim Einladungsmanagement befinden wir uns mit den Ministerien in Gesprächen, wie diese praktikabel ausgestaltet werden kann. Schließlich sollte die Einladung möglichst wenig Bürokratie verursachen.“ Bei der Kontrolle der Impfung könne man auf Stichprobenuntersuchungen setzen, aber es werden noch alternative Wege geprüft.
Bei der Umsetzung des Aufklärungstermin hat Ullmann bereits konkrete Vorstellungen: Andere Staaten in Europa haben jedem Bürger einen festen Impftermin geschickt, ähnlich könne man dies bei ungeimpften Personen mit einem festen Beratungstermin machen; am besten im Impfzentrum. „Dort herrscht die entsprechende Infrastruktur schon vor und im Anschluss könnte direkt geimpft werden.“
Anhänger einer breiteren generellen Impfpflicht, wie Ethiker Peter Dabrock, argumentieren hingegen, dass nur dadurch Herbst- bzw. Winterwellen eingedämmt und damit eine Neuauflage dieses Winters im nächsten Jahr vermieden werden kann. Daher kommt eine Frage auf: Wie ist die Altersgrenze ab 50 Jahren im Mittelweg-Entwurf begründet?
Für den FDP-Abgeordneten Ullmann ist das „eine reine Abwägungsfrage.“ Dabei sei entscheidend, welches Ziel die Maßnahmen verfolgen. Wenn man eine reine Immunität erreichen möchte, dann sei eine allgemeine Impfpflicht die richtige Maßnahme. Doch die Pandemie-Politik verfolge ein anderes Ziel: „Das Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen.“ Für dieses Bestreben seien viele freiwillige Impfungen und eine Impfnachweispflicht ab 50 Jahren angemessen.
Anhänger des Entwurfs können nun nach detailliertem Austausch mit den Ministerien einen Gesetzesentwurf einarbeiten, erklärt Ullmann. Dieser könne dem Deutschen Bundestag zur ersten Lesung vorgelegt werden, woraufhin das normale parlamentarische Verfahren folge.
Die Unionsfraktion selbst legt einen eigenen Antrag zur Impfdebatte vor, wie Tino Sorge (CDU) Mittwoch in der Sendung Frühstart von RTL und n-tv ankündigte: „Wir werden einen differenzierten Vorschlag unterbreiten, der auch zur Befriedung in der Diskussion beitragen wird.“ Die Union werde sich laut Sorge also keinem der drei in Vorbereitung befindlichen Gruppenanträge anschließen.
In der Bundestagsdebatte erneuerte Sorge seine Kritik an die Bundesregierung, keinen eigenen Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht vorzulegen. Weder Kanzler noch Gesundheitsminister gäben eine Richtung vor. Für die Ausarbeitung einer Impfpflicht müssen fachliche und verfassungsrechtliche Fragen berücksichtigt werden, erklärt der Abgeordnete. Sorge: „Boostern ohne Ende kann nicht die Option sein.“
Dabei hat er keine konkreten Aussagen zum eigenen Antrag der Union getroffen.
Gesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach (SPD) meldet sich als einer der letzten Sprecher zu Wort: „Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfung zurück. Es ist das Virus, das uns belagert.“ Ohne eine Impfpflicht sei eine Rückkehr in die Freiheit nicht mögliche. Er betont dabei, dass auch Omikron nicht die letzte Variante der Pandemie sei. Man müsse mit einer rekombinierten Variante rechnen, die sowohl für schwerere Verläufe als auch höhere Ansteckung verantwortlich sei. „Um eine Impfpflicht umzusetzen, brauchen wir mindestens fünf bis sechs Monate“, sagt Lauterbach. Wenn man diese jetzt abschließe und umsetze, sei man für den Herbst auch vor neuen Varianten gerüstet.
Die Debatte ist nach fast vier Stunden und 41 Politikern am Rednerpult beendet. Dabei hebten sich drei Positionen besonders hervor: Für eine allgemeine Impflicht, für den Mittelweg oder gegen eine Impfpflicht. Einige Abgeordnete sind noch unentschieden und seien an einem konstruktiven Austausch der Argumente interessiert.
FDP-Abgeordneter Ullmann hatte bereits im Gespräch mit dem RND durchklingen lassen, dass es noch dauern könnte, bis der Bundestag endgültig über die Impfpflicht abstimmt. Offen bleibt somit, welcher Antrag letztendlich durchkommen wird. Die Entscheidung könnte zwischen dem Mittelweg und der allgemeinen Impfpflicht fallen, das hängt wiederum daran, mit welchem Verfahren abgestimmt wird. Eine Möglichkeit ist, dass die Anträge hintereinander aufgerufen werden. Eine weitere Option wäre, dass alle Anträge gleichzeitig zur Abstimmung gestellt werden. Dann würde der Entwurf mit der meisten Zustimmung durchkommen. Eine Aufsplitterung könnten sich Impfpflicht-Befürworter dann nicht leisten.
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