Billig, leicht und für fast jeden Patienten geeignet – Sport kann nicht nur kardiovaskulären Erkrankungen vorbeugen, sondern auch die kognitive Leistung ankurbeln. Aber was sind die zugrundeliegenden Mechanismen?
Bei einer bekanntlich immer älter werdenden Bevölkerung ist Demenz ein wachsendes Problem. Eine kürzlich im Lancet erschienene Hochrechnung sagt einen Anstieg der weltweiten Demenzfälle von 57,4 Mio. (Stand 2019) auf etwa 152,8 Mio. im Jahr 2050 voraus; allein in Deutschland wird von zukünftig 2,79 Mio. Patienten ausgegangen. Da bis dato bekanntlich keine Heilungsmöglichkeit besteht, sind besonders präventive Maßnahmen gefragt, die an modifizierbaren Risikofaktoren wie beispielsweise Hypertonie, Rauchen und Adipositas ansetzen. Auch die körperliche Inaktivität zählt zu besagten Faktoren.
Kostengünstig und leicht auf den einzelnen Patienten anpassbar stellt körperliche Aktivität eine besonders interessante Präventionsmaßnahme dar. Der Begriff umfasst sämtliche Bewegungen, die zu einem erhöhten Energieverbrauch führen, führt Dr. Patrick Müller, Forscher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Magdeburg, aus. „Dies reicht von geringen (z. B. Gartenarbeit, Spazierengehen), mittleren (z. B. moderates Fahrradfahren bzw. Joggen) bis hin zu hohen Intensitäten (z. B. Intervallläufe, HIIT)“.
Müller betont: „Zahlreiche epidemiologische als auch randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien zeigen, dass ein sportlicher und aktiver Lebensstil kognitive Abbauprozesse verzögern und das Demenzrisiko reduzieren kann“. Einer Metaanalyse zufolge lässt sich zum Beispiel durch körperliche Aktivität das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung um ganze 45 % senken. In einem Review in der Zeitschrift der Deutschen Sportmedizin liefern Müller und seine Mitautoren einen Überblick über den bisherigen Stand der Forschung.
Grundsätzlich hilft der Sport auf zwei Weisen: Recht offensichtlich ermöglicht er einerseits die Modifikation von Risikofaktoren wie Arterieller Hypertonie und Übergewicht. Auf der anderen Seite kann Bewegung die Gehirnstruktur und -Funktionalität auch direkt beeinflussen. Dies funktioniert auf zellulärer Ebene durch die Freisetzung neurotropher Wachstumsfaktoren und Stoffwechselprodukte, über die die Neuroplastizität positiv beeinflusst wird. Müller weist jedoch darauf hin, dass die molekularen Mechanismen, die der sportinduzierten Neuroplastizität zu Grunde liegen, bisher nur rudimentär verstanden und Gegenstand aktueller Forschung sind.
Mehrere Mechanismen scheinen Hand in Hand zu agieren. So lassen sich durch sportliche Betätigung womöglich entzündliche Prozesse im Gehirn positiv beeinflussen. Möglich wäre dies beispielsweise über die Aktivierung von PGC-1a1 in der Skelettmuskulatur: PGC-1a1 vermittelt den Abbau des Tryptophan-Metaboliten Kynurenin, welcher in der Lage ist, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und entzündliche Prozesse zu fördern. Verringerte Kynurenin-Konzentrationen könnten das Gehirn demnach vor neurodegenerativen Veränderungen schützen.
Der bisher am intensivsten untersuchte Mechanismus ist laut Müller die Auswirkung körperlicher Aktivität auf den neurotrophen Wachstumsfaktor BDNF. „Dieser ist ein synaptischer Wachstumsfaktor, der als zentraler Vermittler der Neuroplastizität im Gehirn wirkt sowie die synaptische Plastizität und die Neurogenese fördert.“ Bewegung erhöht die BDNF-Level im peripheren Blut. Die DZNE-Forscher vermuten, „dass verschiedene Signalstoffe (z. B. Irisin und Laktat) während körperlicher Aktivität im Körper entstehen und dann über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen und dort direkt die Synthese von BDNF erhöhen können.“ Dass Laktat und BDNF-Synthese direkt zusammenhängen, demonstrierte beispielsweise eine Studie, in der eine Laktat-Infusion bei ruhenden jungen Erwachsenen zu einem erhöhten BDNF-Spiegel führte. Am effektivsten scheinen in diesem Zusammenhang kürzere Trainings-Intervalle mit höherer Intensität zu sein, da sie die BDNF-Werte stärker erhöhen als kontinuierliche Übungen mit moderater Intensität.
Regelmäßige Bewegung und Sport können also die Neuroplastizität und die Kognition verbessern. „Die fundamental positiven Effekte von körperlicher Aktivität und Sport in der Prävention und Therapie zahlreicher chronischer Erkrankungen sind wissenschaftlich fundiert bewiesen. In diesem Kontext sollte körperliche Aktivität als Medizin mit höchstem Evidenzgrad eingestuft werden“, resümiert Müller, doch er weist auch darauf hin, dass das Potential von körperlicher Aktivität in der Versorgungsrealität noch weit unterrepräsentiert ist. Es zeige sich die Notwendigkeit der stärkeren gesundheitspolitischen Thematisierung körperlicher Aktivität.
Welche Art von Sport am besten ist, bleibt indes ungeklärt; empfohlen wird im Review-Artikel aber eine Kombination von Ausdauer und Krafttraining in Verbindung mit Übungen zu motorischer Koordination. In Anlehnung an aktuelle WHO-Leitlinien rät Müller: „Als generelle Empfehlung sollte Patienten pro Woche mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität und ergänzendes Krafttraining empfohlen werden.“ Er appelliert an Ärzte, ihren Patienten körperliche Aktivität und Sport zu empfehlen, idealerweise in Verbindung mit der Durchführung einer sportärztlichen Vorsorgeuntersuchung und einer individuellen Leistungsdiagnostik. Ein potentieller Ansatz sei auch das „Rezept für Bewegung“. Außerdem hat er noch weitere praktische Empfehlungen für die Patienten zum Abschluss: Neben Sport und gesunder Ernährung auch soziale und kognitive Aktivitäten wie Reisen und Sprachenlernen unternehmen.
Bildquelle: Patrick Hendry, unsplash