Das Mantelzell-Lymphom gilt derzeit als nicht heilbar. Fünf Jahre nach der Diagnose ist nur noch die Hälfte der Patienten am Leben. Jetzt verbessert ein neues Orphan Drug die Überlebenschancen.
Teil 9 unserer Serie über seltene Krankheiten und ihre Behandlung. Hier geht's zu Teil 8.
Am Mantelzell-Lymphom erkranken in Deutschland rund 1.000 Menschen pro Jahr. Männer sind etwa dreimal so häufig betroffen wie Frauen, das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 65 Jahren. Das Mantelzell-Lymphom wird zu den hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen gezählt, da die Erkrankung bei rund 80 Prozent der Patienten sehr schnell voranschreitet und umgehend behandelt werden muss. Bei rund 10 bis 15 Prozent der Patienten verläuft die Erkrankung dagegen eher langsam (= indolent).
Es entsteht, indem sich die Erbinformation einer einzigen lymphatischen Zelle bei der Zellteilung fehlerhaft verändert. Durch diesen Fehler verliert die Zelle ihre eigentliche Funktion und beginnt, sich ungebremst zu vermehren. Die nun funktionslosen Mantelzell-Lymphomzellen häufen sich zunächst dort an, wo sie gebildet werden – in den Lymphknoten oder in der Milz. Dadurch entstehen Tumore einzelner, bei weiterer Ausbreitung aber auch mehrerer lymphatischer Organe oder Gewebe. Bei rund 90 Prozent der Patienten mit einem Mantelzell-Lymphom sind nicht nur einzelne Lymphknoten, sondern auch das Knochenmark (60 bis 80 Prozent), oder der Magen-Darm-Trakt (25 bis 60 Prozent) betroffen.
Wird die Erkrankung nicht behandelt, behindern die bösartigen MZL-Zellen die Arbeit der betroffenen Organe. Der Befall des Knochenmarks führt beispielsweise zu einer Verminderung der physiologischen Blutbildung sowie zu einer Beeinträchtigung des Immunsystems. Der Körper wird geschwächt und anfällig für Infektionen.
Die Stadieneinteilung beim Mantelzell-Lymphom erfolgt nach der Ann-Arbor-Klassifikation, die die Erkrankung in vier Stadien einteilt:
Sind nur die Lymphknoten vom Mantelzell-Lymphom betroffen, wird an das Stadium das Kürzel N (nodal) gehängt, sind auch Organe und Gewebe außerhalb der Lymphknoten betroffen, wird das Kürzel E (extranodal) verwendet. Das Kürzel B sagt aus, dass der Erkrankte an B-Symptomen leidet, beim Kürzel A sind keine B-Symptome vorhanden.
Das Gebiet der Immuntherapie erhielt in den letzten zwei Jahrzehnten wieder Auftrieb. Zwei bahnbrechende Therapien, die sich auf diesem Gebiet als sehr vielversprechend erwiesen haben, beinhalten das „Aufheben der Pausen“ und das „Drücken des Pedals“ des Immunsystems. Diese Therapien, Immun-Checkpoint-Inhibitoren bzw. adoptive Zelltherapie, sind bei einer Vielzahl von Malignomen erfolgreich, während erstere hauptsächlich bei soliden Tumoren und letztere bei hämatologischen Malignomen vorkamen.
Steckbrief Tecartus®
Name der Erkrankung
Mantelzell-Lymphom
Weitere Namen
MCL, Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome
Häufigkeit
1.000 pro Jahr
Gestörte Funktion
Leistungsminderung
Anämie
Lymphadenopathie
Splenomegalie
Hepatomegalie
Infektneigung
Genlokalisation
-
Orphan drugs
Brexucabtagen autoleucel (Tecartus®)
Wirkung
CAR-T-Zelltherapie
Antigenrezeptormoleküle sind eine neuere Möglichkeit, in das Geschehen einzugreifen. Derzeit sind vier T-Zell-Produkte des chimären Antigenrezeptors (CAR) zugelassen:
Kymriah® und Yescarta® waren die ersten CAR-T-Zell-Medikamente, die zur Behandlung von Leukämie und Lymphomen eingesetzt wurden. Die FDA hat nun ein weiteres CAR-T-Zell-Medikament namens Tecartus® (Brexucabtagen-Autoleucel) für die Behandlung von erwachsenen Patienten zugelassen, bei denen ein Mantelzell-Lymphom (MCL) diagnostiziert wurde. Diese Produkte unterscheiden sich in Konstrukt, Indikation, Herstellung, klinischem Studiendesign und Toxizitätsprofil, aber alle sind autologe Produkte, die auf CD19 abzielen. Es gibt auch ermutigende frühe Daten zur Verwendung dieser Produkte bei weiteren Subtypen des B-Zell-Lymphoms.
Die Behandlung von Krebs mit CAR-T-Zellen hat bedeutende Erfolge erzielt und ist zu einem entscheidenden Ansatz bei der Heilung hämatologischer Malignome geworden. Die Entwicklung der Behandlung mit CAR-T-Zellen wird durch schwerwiegende Nebenwirkungen, wie die Freisetzung von Zytokinen, Neurotoxizität, Tumorlysesyndrom, Off-Tumor-Target-Toxizität sowie Arbeitsintensität und hohe Kosten behindert. Andererseits ist auch das Auftreten von Rezidiven eine primäre Herausforderung.
Tecartus® (Brexucabtagen autoleucel) ist eine Variante der bereits zugelassenen Therapie Yescarta®. Dank eines zusätzlichen Reinigungsschritts ist Tecartus® jedoch besser für die Therapie von Mantelzell-Lymphomen geeignet. Es wird aus körpereigenen T-Zellen des Patienten hergestellt, die im Labor mit einem künstlichen Rezeptor (CAR) ausgestattet werden, der den Krebsmarker CD19 erkennt. Nach etwa zwei Wochen werden die CAR-T-Zellen zurück in den Körper transplantiert und beginnen mit der Bekämpfung von Krebs.
Die zulassungsrelevante, multizentrische Phase-2-Studie ZUMA-2 untersuchte an 74 Patienten die Wirksamkeit und Sicherheit von KTE-X19 bei Patienten mit refraktärem oder rezidiviertem MCL.
Die Intention-to-treat-Analyse zeigte, dass die objektive Ansprechrate bei 84 % lag; die Rate der vollständigen Remission lag bei 59 %. Ein Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) trat bei 91 % der Patienten auf, davon bei 15 % ≥ Grad 3, jedoch erholten sich alle Patienten davon.
Bislang beschränken sich die Erfahrungen mit Tecartus® auf eine klinische Studie mit etwa 70 Patienten, die Ergebnisse sind daher nur eingeschränkt aussagekräftig. Behandelt wurden nur Patienten mit sehr aggressiven Mantelzell-Lymphomen, die durch andere Therapieformen nicht kontrolliert werden konnten. Die Überlebenserwartung beträgt in diesen Fällen meist weniger als ein Jahr.
In Phase-2-Daten, die auf der Jahrestagung 2021 der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt wurden, berichteten die Prüfärzte, dass 31 Prozent der behandelten Patienten (n = 54) bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 16,4 Monaten ein anhaltendes Ansprechen aufwiesen. 97 Prozent der Responder hatten eine tiefe molekulare Remission mit einer nicht nachweisbaren minimalen Resterkrankung (MRD), und das mediane OS bei allen Respondern wurde noch nicht erreicht. Eine Sicherheitsanalyse, über die im Lancet berichtet wurde, zeigte, dass bei allen Patienten, bei denen ein neurologisches Ereignis auftrat, 94 Prozent der Zytokinsturm-Ereignisse und 88 Prozent der neurologischen Ereignisse behoben wurden.
Wie alle CAR-T-Zelltherapien hat Tecartus® schwere, manchmal sogar lebensgefährliche Nebenwirkungen. In einer ersten klinischen Studie litten neun von zehn Patienten unter einem Zytokinsturm (CRS), einer gefährlichen Entzündungsreaktion, die den ganzen Körper erfasst. Bei etwa zwei von zehn Patienten erreichte der Zytokinsturm lebensbedrohliche Ausmaße. Bei etwa zwei von drei Patienten war auch die Funktion des Gehirns beeinträchtigt, es kam zu Kopfschmerzen, Zittern, Wortfindungsstörungen und seltener sogar zum Delirium.
Die Struktur costimulatorischer Moleküle innerhalb der CAR-T-Zellen kann die Zellaktivierung und -proliferation stimulieren, die Zelltötungskapazität erhöhen, wenn die Rezeptormoleküle an das entsprechende Antigenziel binden und übermäßige Zytokine freisetzen. Plethorische Zytokine werden in das Kreislaufsystem freigesetzt, was zu verschiedenen klinischen Symptomen führen. Beschrieben sind Fieber, Tachykardie, Hypotonie, was latent zu einem akuten Atemnotsyndrom oder zum Tod führen kann. Ein gewisses Maß an CRS ist für das klinische Ansprechen erwünscht, da Zytokine die CAR-T-Zellen darstellen, die aktiviert werden, nachdem Patienten eine moderate Menge an CAR-T-Zellen erhalten hat. Der Schweregrad von CRS steht im Zusammenhang mit der Dosierung von CAR-T-Zellen.
Welchen Zusatznutzen das neue Krebsmedikament Tecartus® bei der Behandlung von Mantelzelllymphomen birgt, lässt sich aktuell nicht quantifizieren. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA mit Verweis auf das Fehlen aussagekräftiger Studien bekanntgegeben.
Alternative gentechnisch veränderte T-Zellprodukte befinden sich ebenfalls in der Entwicklung, darunter duale CD19/22-Targeting-CAR-T-Zellen, CD30-gerichtete CAR-T-Zellen, allogene CAR-T-Zellen und gentechnisch veränderte natürliche Killerzellen (NK). Präklinische Daten unter Verwendung neuartiger CAR-Konstrukte wie z. B. CARs der dritten Generation versprechen weitere neuartige Ansätze. CAR-T-Zellen haben die therapeutische Landschaft für Patienten mit rezidivierten/refraktären B-Zell-Lymphomen verändert.
Trotz vieler Probleme ist die CAR-T-Zelltherapie unbestritten ein vielversprechendes Instrument für die zukünftige adoptive Krebsimmuntherapie, und es wurden zunehmend klinische Studien für Blutkrebs registriert. Im Gegensatz zu allgemeinen T-Zellen sind CAR-T-Zellen nicht durch den Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) eingeschränkt, wenn sie tumorassoziierte Antigene (TAAs) erkennen. Erfreulicherweise wurden viele Methoden zur Verringerung der Zytotoxizität und zur Steigerung der Wirkung von CAR-T-Zellen entwickelt und durch die Regulierung der Zytoaktivität von CAR-T-Zellen erhebliche Fortschritte erzielt.
Um den langfristigen Nutzen sicherzustellen, müssen zukünftige Studien möglicherweise nach Targets mit verbesserter Sicherheit und Wirksamkeit finden oder neue CAR-Konstrukte integrieren. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Kombinationstherapien ebenfalls eine gute Wahl sind, um die therapeutische Wirksamkeit zu verbessern. Die CAR-T-Zelltherapie in Kombination mit Checkpoint-blockierenden Antikörpern oder niedermolekularen Inhibitoren hat hoffnungsvolle Ergebnisse gezeigt.
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Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash