Meine Kollegin grinst: „Du hast Herrn Offen mit deinem Wissen zu Rezepturen aber ganz schön begeistert.“ Und in der Tat – ich denke gern an den Kunden und seine Erythromycin-Creme zurück.
Heute hatte ich Dienst mit meiner Kollegin Birgit. Ich habe im Hintergrund gearbeitet, als ich sie vorne im Gespräch mehrmals meinen Namen sagen hörte. Als ich sie später fragte, worum es ging, musste sie grinsen.
„Offenbar hast du Herrn Offen vor ein paar Wochen ganz besonders mit deinen Rezepturkenntnissen begeistert. Er konnte mir genau sagen, dass der Arzt da eigentlich noch etwas auf dem Rezept vergessen hat, das du aber immer reinmachst, damit die Creme auch wirksam ist. Er sagte, wir sollen das nicht vergessen.“
Ich erinnere mich, denn wir hatten vor kurzem eine kleine Diskussion. Herr Offen kam mit seiner Rezeptur: „Erythromycin 2 % in Basiscreme DAC ad 100,0 g“. Er wollte warten, bis ich die Rezeptur fertig gemacht habe und war anfangs etwas ungehalten darüber, dass ich sagte, er könne sie erst am Nachmittag bekommen.
„Was dauert denn da so lange? Das sind doch nur zwei Sachen, die sie zusammenrühren müssen! Ich hab das meinem Arzt erzählt, dass sie da immer so lange brauchen. Der versteht das auch nicht.“
„Das mag auf den ersten Blick für Sie und den Arzt so aussehen, aber das ist ganz anders. Haben Sie kurz Zeit? Dann erkläre ich es ihnen.“
Er hatte Zeit, also legte ich los: Erythromycin ist eine Substanz, die in der Verarbeitung sehr diffizil ist. Es fängt damit an, dass wir sie quasi nicht als 100-prozentige Reinsubstanz bekommen und einen Einwaagekorrekturfaktor errechnen müssen, der mit der Einwaagemenge multipliziert werden muss. Zudem ist es extrem zersetzungsempfindlich und neigt zur Verklumpung. Daher muss es zunächst einmal mit 2 g mittelkettigen Triglyceriden angerieben, also vor der Verarbeitung vermischt werden.
Erythromycin benötigt einen pH-Wert um ca. 8, treibt aber in gelöster Form die pH-Werte der Creme so stark ins basische, dass sie die Haut schädigen würde. Daher muss zur Regulierung des pH Wertes 12 Gramm einer 0,5 prozentige Citronensäurelösung zugesetzt werden. Die muss ich also erst noch herstellen, bevor ich mich überhaupt daran machen kann, die Creme herzustellen.
Damit ist die Creme aber so stark verwässert, dass sie nicht mehr ausreichend konserviert ist, also schnell schlecht werden kann. Dafür setze ich noch 10 g Propylenglycol zur Rezeptur dazu, das ist das Konservierungsmittel, das ohnehin bereits in der Basiscreme verwendet wird. So reduziere ich die Wahrscheinlichkeit auf eine Überempfindlichkeitsreaktion.
Zuerst muss ich also die Citronensäurelösung herstellen, indem ich gereinigtes Wasser aufkoche, wieder abkühlen lasse und darin die Citronensäure löse. Dann muss ich die Wirkstoffmenge berechnen und mit den mittelkettigen Triglyceriden anreiben, dann mit der Basiscreme vermischen, dann kommen das Wasser und das Propylenglycol und zum Schluss das pH-Regulierungsmittel, die Citronensäurelösung hinzu. Die darf erst am Ende eingearbeitet werden, damit sie nicht unmittelbar mit dem Erythromycin zusammentrifft und es nicht zersetzt.
„Sie sehen also, hinter so einem Zweizeiler vom Arzt steckt unglaublich viel mehr Arbeit und Überlegungen, als Sie denken. Deshalb dauert die Herstellung einfach ihre Zeit.“
„Das ist ja unglaublich, das habe ich nicht gewusst! Dann geht das ja im Gegenteil sogar total schnell. Und was kostet die Creme?“
„Ca. 20–25 Euro. Ich rechne das noch für Sie aus, bevor sie wiederkommen.“
„Das ist ja echt ein Witz … sagen Sie mal, woher wissen Sie denn eigentlich so viel über all diese Sachen? Haben Sie da eine Fortbildung gemacht?“
„Ich bin PTA. Das bedeutet pharmazeutisch-technische Assistentin. Das habe ich gelernt. Genau das ist mein Beruf. Und fortbilden müssen wir uns trotzdem immer.“
Er hat sich dann nochmal für die Erklärung bedankt und ich glaube wir sind in seinem Ansehen ein Stückchen gewachsen. Wir sind halt doch mehr, als nur Schubladenzieher.
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