Eine der persönlichsten Entscheidungen im Leben ist die Frage nach einem eigenen Kind. Viel diskutiert wird die Vereinbarkeit von Beruf und Kindeserziehung. Arbeitgeber rüsten diesbezüglich auf, aber wie steht es um junge Eltern im PJ? Ein Überblick.
„Als Student kann man sich die Zeit freier einteilen und ist lockerer, weil man keinen Arbeitsplatz verlässt, an den man nach einem Jahr wieder sein möchte oder muss. Das Studium ist diesbezüglich wie ein Kokon. Man macht sich weniger Gedanken und sieht die Dinge entspannter. Das haben mir auch andere Kommilitonen so bestätigt. Wir sind noch nicht so sehr in diesem ‚Projekt-Denken‘ verhaftet, das vielen Akademikern mit Berufserfahrung zu Eigen wird.“ Katharina D. studiert Medizin an der Universität Mainz und hat im vergangenen Jahr den klinischen Studienabschnitt vollständig absolviert. Normalerweise ginge es dann direkt ins Praktische Jahr – Schnittstelle zwischen Studium und Berufsleben. Katharina hätte das PJ bereits im November 2014 beginnen können. Doch die Medizinstudentin ist glückliche Mutter eines einjährigen Sohnes. Eigentlich sollte dies im Zeitalter von Frauenquote und Betriebskindergärten kein Hindernis sein, doch für ihr Kind erhielt sie den ersehnten Krippenplatz erst wesentlich später. Das PJ beginnt für die angehende Ärztin nun im Mai 2015 – einerseits sicherlich keine Katastrophe, aber eben ein völlig unverschuldeter Zeitverlust in einem Land, das sich über immer weiter rückläufige Geburtenraten beklagt. Es ist nicht so, dass in Mainz keine Möglichkeiten zur Kinderbetreuung an der Universität – einem der größten Arbeitgeber der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt – bestünden, aber „das ist bei uns in Mainz sehr interessant: Es gibt zwei Uniklinik-eigene Kindertageseinrichtungen. Allerdings bekommen dort ausschließlich Mitarbeiterkinder einen Platz, bei denen die Eltern mehr als 50%-Stellen haben. Studenten sind davon ausgeschlossen. Allerdings arbeiten PJ'ler (wenn auch unbezahlt) im Sinne einer vollen 100%-Stelle.“ Sicherlich nicht zu Unrecht wird vielerorts die Forderung gestellt, PJ'ler für Ihre Arbeit zu entlohnen und damit letztlich zu zeigen, dass sie bereits mehr zur Ärzteschaft als zur Gruppe der Studenten gehören. Beide Gruppen sollten allerdings eine umfangreiche Betreuung erhalten, sobald sie sich für ein Kind während des Studiums entscheiden. Katharina hat Glück, mittlerweile nun doch eine Betreuung für Ihren Sohn erhalten zu haben. Die junge Frau übt dennoch berechtigte Kritik: „Mein Sohn hat einen Krippenplatz an der universitären Kindertagesstätte bekommen. Diese liegt am Ende des Universitätscampus und die Uniklinik hat ein eigenes Gelände in einem anderen Stadtteil. Von daher geht besonders morgens viel Zeit für Fahrerei verloren.“ Zeit, die gerade für junge Eltern in der beruflichen Laufbahn sehr kostbar ist. Neben Vollzeitarbeit an der Uniklinik und umfassenden Prüfungsvorbereitungen fürchtet Katharina, dass nicht mehr viel Zeit für ihren Sprössling bleibt. Die Fahrt zur Krippe teilt sie sich mit ihrem Mann, der den Einjährigen morgens in die Betreuungsstätte fährt, während sie ihn nachmittags wieder abholt.
In den Medien wird häufig von zwei gravierenden Zukunftsproblemen berichtet. Zum einen der demografische Wandel, der durch eine sinkende Geburtenrate weiter verschärft wird. Bekam eine Frau in den 1960ern noch durchschnittlich 2,5 Kinder, so sind es heute nur rund 1,4. Eine Überalterung der Gesellschaft steht zu befürchten, mit allen Folgen für Rentenkasse und Gesundheitssystem. Und für Letztgenanntes sind die Prognosen ebenfalls düster: „Der Ärztemangel und der Mangel an Arztstunden sind keine Prognose mehr, sondern in vielen Regionen Deutschlands längst Realität. Und wir müssen davon ausgehen, dass sich dieser Mangel in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen wird“, so Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery mit Blick auf die Ärztekammer-Statistik der BÄK. Zwar gibt es in den Städten nach wie vor ein großes Angebot an qualifizierten Medizinern, das Problem wird sich aber zunehmend im ländlichen Bereich intensivieren. Hierbei wirkt es wie ein Kuriosum, dass die Menschen, die beide Probleme auf einmal lösen wollen, immer noch stark benachteiligt sind. Gemeint sind die angehenden Ärzte mit Kind. Ohne angemessene Kinderbetreuung ist ein Studium mit Nachwuchs unvereinbar – insbesondere im PJ. Deutschlandweit sieht es hier unterschiedlich aus: „Ich habe davon gehört, dass die Uniklinik in Kiel z. B. eine hauseigene Kindertagesstätte betreibt, die auch PJ'lern offensteht, sofern zum gefragten Zeitpunkt freie Plätze verfügbar sind. Das bedeutet aber auch hier, dass PJ-Studierende keine Sicherheit auf einen Platz haben“, so Katharina. Positiv aus dem Rahmen fällt hier z. B. eine andere Universität im Norden der Bundesrepublik. Das Studentenwerk Schleswig-Holstein bietet an der Universität Lübeck eine ganztätige Kinderbetreuung, speziell für den Nachwuchs von Studierenden. Bis zu 70 Kinder können hier frühkindliche Gemeinschaft erleben, während bei den Mamas und Papas die „Köpfe rauchen“. Sind nicht alle Plätze belegt, können auch die Kinder von Nicht-Studenten (z. B. Mitarbeitern) untergebracht werden. Es fällt auf: Hier wird ein umgekehrter Weg beschritten. Auch Lübeck besitzt eine medizinische Fakultät, folglich können auch PJ'ler bzw. deren Nachwuchs von dieser KiTa profitieren.
In Sachen studentische Kinderbetreuung sehr engagiert sind zudem ausgerechnet die Anbieter ehemaliger „Männerberufe“ – die Technischen Universitäten. Ob Aachen oder München, bundesweit sind in den letzten Jahren zahlreiche KiTas und Familienbüros entstanden. Die TUs der beiden Städte beispielsweise besitzen auch Unikliniken, sind also ebenfalls für PJ'ler interessant. Allerdings ist der Ansturm auf die Einrichtungen so immens, dass es sehr schwer ist, einen Platz für seinen Junior zu ergattern. „Eine derartige Einrichtung hat nie freie Plätze“, betont Wolfgang Dachtera, Leiter der Kindertagestätte Königshügel Aachen. Auch in Freiburg wirbt man mit einer Kinderkrippe für die dortige Uni, bei genauerem Hinsehen stellt der enttäuschte PJ'ler aber fest, dass sich diese vordergründig wieder nur an wissenschaftliche Mitarbeiter der Hochschule richtet. Weniger selektiv und beinahe vorbildlich scheint es hier in den neuen Bundesländern, speziell in Leipzig, zuzugehen. Das dortige Studentenwerk bietet eine ganze Bandbreite an studentischer Kinderbetreuung an, die weit über die reine Unterbringung in KiTas hinausgeht. So finden sich z. B. spezielle Informationsabende für die künftigen Akademiker mit Kind. Ins Auge fällt auch ein Team aus speziell geschulten Sozialberatern, die Informationsgespräche rund um das Thema Finanzierungshilfen für Studierende mit Kind anbieten. Ist der studentische Nachwuchs nicht älter als zehn Jahre, darf sich dieser sogar kostenlos in den Mensen der Leipziger Universität stärken. Mittagessen mit den Eltern und das kostenlos: Leipzig zeigt, dass die Problematik vielerorts bereits verstanden wurde.
Sich bereits im Studium für ein Kind zu entscheiden, ist keinesfalls unverantwortlich. Sätze wie: „Mach Du erst einmal Dein Studium und verdien' ordentlich Geld“ sollten ins Reich der Stammtischpolemik verbannt werden. Denn: Zum einen ist der Medizinstudent im PJ schon weit vorangeschritten, zum anderen gibt es durchaus Vorteile, sich den Kinderwunsch schon zu Studienzeiten zu erfüllen: Semesterferien sind einer davon, dieser „Luxus“ entfällt aber freilich im PJ. Kurz nach Einstieg ins Berufsleben ein Kind zu bekommen, kann wiederum belastend sein und ist nicht immer der Karriere zuträglich. Das PJ bietet gegenüber dem Alltag als Assistenzarzt noch relativ geregelte Arbeitszeiten. Und wenn es dann noch eine angemessene Kinderbetreuung gibt, spricht nichts gegen eine Erfüllung des Kinderwunsches vor Erhalt der ärztlichen Approbation. Ein Medizinstudium bzw. PJ durchzuziehen und dabei noch ein Kind zu erziehen, zeugt außerdem von großer Belastbarkeit und einem vorzüglichen Organisationstalent. Dies wird ein künftiger Arbeitgeber zu schätzen wissen. Aber natürlich gibt es auch Nachteile. Katharina bringt es auf den Punkt: „Die finanzielle Situation ist nach dem Studium vermutlich einfacher. Als Student muss man mehr auf das Geld achten. Andererseits ist genau das auch ein Ansporn, trotz der Doppelbelastung von Baby/Kleinkind, weiter zu studieren und eine eventuell eingelegte Pause nicht zu lang werden zu lassen.“ Im Übrigen steht den Jungakademikern eine ganze Reihe von finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung: Elterngeld, Kindergeld, Unterhaltsvorschuss, BAföG, Studienkredite etc. Trotzdem gibt es Nachholbedarf: Da PJ'ler offiziell noch als Studenten gelten, wird ihnen trotz Vollzeitstelle der gesetzliche Mutterschutz versagt. Einzelheiten werden hier von den zuständigen Landesprüfungsämtern geregelt. Als einziges LPA erteilt Rheinland-Pfalz hier keinerlei Auskunft, es „werde immer im Einzelfall entschieden“. Die saarländischen Nachbarn erlauben eine Unterbrechung des PJs von bis zu zwei Jahren in Härtefällen, ohne dass bereits abgeleistete Tertiale verfallen. Möglich ist auch eine entsprechende Verlängerung des Praktischen Jahres, dafür kann dieses in Teilzeit abgeleistet werden und es bleibt mehr Zeit für das Kind. In der Bundeshauptstadt belässt man es diesbezüglich bei theoretischen Floskeln: Das Berliner LPA erlaubt nach Absprache eine Ableistung des PJs in Halbzeit für Jungmediziner mit Kind, die Universität selbst lehnt dies bislang ab. Schwangeren PJ'lern kann übrigens zu ihrem eigenen Schutz und zum Schutz des ungeborenen Kindes die Teilnahme am Chirurgie-Tertial verweigert werden.
Es wird also klar, dass das Thema PJ und Kind kein einheitliches Statement oder eine Empfehlung ermöglicht. Positiv sind im Fall von Katharina in jedem Fall die Reaktionen der Zeitgenossen: „Die weiblichen Kommilitonen finden das gut. Viele fangen in Momenten, in denen wir darüber sprechen, an, laut darüber nachzudenken, wann wohl der beste Zeitpunkt für Nachwuchs ist. Eine ablehnende Reaktion habe ich noch nicht erlebt. Weder von Seiten der Kommilitonen noch von Seiten der Dozenten [...].“ Katharina wird in drei Monaten ihr Praktisches Jahr beginnen und möchte danach direkt ins Berufsleben als Assistenzärztin starten. Mainz mag nicht als „Garten Eden für Studierende mit Kind“ in die Geschichte eingehen. Bundsweit zeigt sich aber, dass viele Universitäten den Trend der Zeit erkannt haben.