Mein Sohn ist nach langer Zeit im Ausland wieder in Deutschland heimisch – und wurde beim ersten Arztbesuch direkt über den Tisch gezogen. Statt kostenlosem Check-up bot die Praxis teure IGeL-Leistungen an. Was soll das?
Als mein Sohn und seine Frau nach längeren Auslandsaufenthalten wieder in Deutschland heimisch wurden, hatten sie die halbe Welt bereist. Hin und wieder hatte man in den Ländern fern ihrer Heimat versucht, sie ein kleines bisschen zu betrügen, manchmal mag es wohl auch gelungen sein. Und manchmal wurden die Dinge auch ein bisschen teurer, als es zuerst den Anschein hatte – das gehört nun mal zum Leben in fernen Ländern dazu. Die beiden passten sich an und lernten, mit wachem Blick, ihren Frieden damit zu schließen.
Nun aber spülte sie das Schicksal wieder an die deutsche Küste, wo sie in meiner alten Studienstadt heimisch wurden.
„Mach mal bei Gelegenheit einen Check-up“, riet ich meinem Sohn, der gerade die 35 Jahre überschritten hatte. Gesagt, getan – er suchte und fand im Netz dann auch eine Praxis dafür in der Nähe. Weil auf deren Homepage zwar der kostenlose „Check ab 35“ angeboten wurde, unter dieser Rubrik aber nur privat zu zahlende Leistungen gelistet waren, rief er in der Praxis an. Fazit: Es gab einen bunten Strauß an teuren, aufwändigen IGeL-Leistungen, aber kein Angebot für die in Deutschland kostenlose normale Vorsorgeuntersuchung, die auf der Homepage angeboten wurde. Mein Sohn führte sich so hinter die Fichte geführt, dass er seine guten Vorsätze zunächst wieder begrub.
Dank einer guten Gesundheit war in den nächsten Monaten kein Arztbesuch nötig, und die Check-Idee blieb im Hintergrund (wahrscheinlich wird sie dort bleiben, bis er mal wieder in meine Praxis kommen kann). Nun kam aber der Zeitpunkt, dass meine Schwiegertochter für einen beruflichen Aufenthalt in Ghana eine Gelbfieberimpfung brauchte. Sie googelte eine entsprechende Praxis, stellte sich dort vor, bekam einen Zettel über die empfohlenen Impfungen und ein Rezept für den Gelbfieberimpfstoff ausgehändigt. Eine Woche später kam sie mit dem Impfstoff wieder, wurde gefragt, wie sie die Covid-Impfung vertragen hätte und dann zügig geimpft.
Die Rechnung war dann eine Überraschung: Neben einer Beratung am ersten Tag und der Hygienepauschale wurde auch eine symptombezogene Untersuchung (Ziffer 5) abgerechnet (sie wurde weder untersucht, noch hatte sie Symptome). Am zweiten Tag stand neben der Hygienepauschale nicht nur eine weitere Untersuchung auf der Rechnung (mit der Bemerkung „Akuterkrankung“ – sie war nicht krank), sondern auch noch eine „eingehende therapeutische Beratung von mindestens 10 Minuten“, die natürlich nicht stattgefunden hatte. Es ging ja um Vorsorge, nicht um Therapie.
Hier platzte ihr die Hutschnur: Für eine simple Impfung, die mit 2 x 3 Minuten Aufwand verbunden war, sollte sie über 65 Euro bezahlen! Mein Sohn und seine Frau haben also nun beide das Gefühl, in einer „Bananenrepublik“ zu leben, wobei dieser Ausdruck wahrhaftig nicht passend ist: In Ländern, in denen Bananen wachsen, ist keiner von uns je so abgezockt worden!
Ja, die Allgemeinmedizin ist nicht unbedingt ein Fach zum Reichwerden. Aber für den Beruf braucht man doch Anstand als Basistugend, oder denken das nur solche Medizin-Fossile wie ich? Ködern und Abzocken sind Verben, die ich bisher in Zusammenhang mit meinem Fach nur in Ausnahmefällen gehört habe. Ich hoffe, dass diese Zusammentreffen nur ein großer Zufall sind und daraus nicht ein weiterer Baustein zum (eh vorhandenen) Wunsch der beiden, mal wieder in der Ferne zu leben. Denn in Deutschland ist es leider kalt … dabei könnten wir das doch mit Anstand, Aufrichtigkeit und Freundlichkeit ein bisschen wieder wettmachen! Theoretisch.
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