Herzinsuffizienz macht Rückstau, macht Darmödem, macht Resorptionsproblem – heißt es. Und deswegen gibt man Schleifendiuretika bei Dekompensation oft intravenös. Aber was ist mit oral?
Das Schleifendiuretikum Furosemid wird bei kardialer Dekompensation gerne i. v. gegeben. Das ist im Krankenhaus kein Problem. Allerdings fungiert die angeblich unverzichtbare i. v. Gabe von Furosemid mitunter als Begründung, kardial dekompensierte Patienten stationär einzuweisen, statt sie ambulant zu rekompensieren. Ist das wirklich zwingend?
Pathophysiologisch wird das Primat der i. v. Diurese in der dekompensierten Situation meist wie folgt hergeleitet: Der kardiale Rückstau führe neben peripheren Ödemen und den der klinischen Untersuchung ebenfalls gut zugänglichen Flüssigkeitseinlagerungen in Leber und Milz auch zu einem Ödem der gastrointestinalen Schleimhäute. Und das wiederum bewirke, dass Furosemid nicht optimal resorbiert werde, sondern quasi durch den Verdauungstrakt durchrutsche. Intuitiv plausibel, aber: Ist da was dran? Dr. Tony Breu von der Veterans' Administration in Boston hat diesem Thema kürzlich ein Tutorial gewidmet.
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Ein paar Basics: Furosemid wird bei oraler Aufnahme im oberen Gastrointestinaltrakt resorbiert, wobei gezeigt wurde, dass die Resorption im Duodenum etwas schneller verläuft als im Magen. Die Bioverfügbarkeit ist dabei ziemlich variabel, und zwar sowohl zwischen unterschiedlichen Patienten als auch bei ein- und demselben Patienten.
Bei der Herzinsuffizienz wurde schon 1985, bei einer Kohorte von damals elf Patienten, bewiesen, dass oral aufgenommenes Furosemid während einer dekompensierten Phase im Vergleich zum rekompensierten Zustand langsamer resorbiert wird und in der Spitze niedrigere Plasmakonzentrationen erreicht. Quod erat demonstrandum, ist man versucht zu sagen. Buch zu. Nächstes Thema.
Doch halt: Wer die Studienlektüre an dieser Stelle beendet, agiert voreilig. Denn die Case-Serie aus den 80er Jahren konnte auch zeigen, dass es keinen signifikanten Unterschied in der „area under the curve“ – also der Kurve der Plasmakonzentration über die Zeit – gab. Mit anderen Worten: Bei Dekompensation wurde zwar langsamer resorbiert, allerdings machte das für die Gesamtmenge an Wirkstoff, der das Blut des Patienten erreichte, keinen Unterschied. Dies wurde 13 Jahre später in einer weiteren Arbeit noch einmal bestätigt.
Zur These einer verringerten Absorption in Folge eines Darmwandödems passen diese Kurvenverläufe definitiv nicht. Aber was genau passiert dann? Einiges deutet darauf hin, dass die verzögerte Resorption Folge einer verzögerten Magenentleerung sein könnte. So konnten Physiologen aus Florida im Jahr 2008 zeigen, dass der Herzinsuffizienz- und Dekompensations-Marker BNP mit einer Verzögerung der Magenentleerung assoziiert ist. Auch der für Dekompensation typische, erhöhte Sympathikotonus führt tendenziell zu einer langsameren Magenentleerung. Entsprechend könnten sich die Verschiebungen in der Furosemid-Pharmakokinetik schlicht durch eine Magenentleerungsstörung erklären lassen. Dazu passt, dass die Resorption von Furosemid bei Patienten mit Roux-Y-Magenbypass und einer entsprechend schnellen Magenentleerung beschleunigt ist.
Nun könnte es natürlich sein, dass die reduzierte Spitzenkonzentration des Furosemids bei Dekompensation ausreicht, um eine geringere Wirksamkeit des Diuretikums zu erklären. Schließlich kennt die Pharmakologie durchaus so etwas wie Schwellenwerte für Wirksamkeit. Das allerdings passt nicht zu experimentellen Befunden, wonach die Pharmakodynamik von Furosemid durch eine Dekompensation eben gerade nicht beeinträchtigt wird. Tatsächlich hatte bereits die Elf-Patienten-Studie aus dem Jahr 1985 gezeigt, dass die Natrium-Exkretion – unter oraler Furosemid-Therapie während einer Dekompensation – wenn irgendwas dann höher ist als in der rekompensierten Phase.
Insgesamt spricht also herzlich wenig für den alten kardiologischen Mythos, wonach die gastrale und duodenale Furosemid-Resorption bei dekompensierten Patienten per se schlechter funktioniere als bei rekompensierten Patienten. Eine pauschale Einweisung zur i.v.-Diurese ohne Ansicht des individuellen Patienten erscheint vor diesem Hintergrund nicht angebracht – jedenfalls nicht wegen eines hypothetischen Darmwandödems.
Bildquelle: Pablo García Saldaña, unsplash