Bei einer Narkose werden Arzneistoffe angewendet, die teilweise auch in die Muttermilch übergehen. Können sie dem Säugling beim Stillen nach der OP schaden? Ein Überblick.
95 % aller Stillenden nehmen in der 1. Woche postpartum mindestens einmal ein Medikament ein. 17–25 % nehmen um den 4. postpartalen Monat Medikamente ein. 5–10 % nehmen während der gesamten Stillzeit Medikamente ein. Ihr seht: Der Medikationsplan dieser Frauen verdient einen zweiten Blick, denn viele sind betroffen. Hier geht's um den zusätzlichen Sonderfall einer Narkose.
Eine Herausforderung sind Narkosen im Rahmen eines operativen Eingriffs fast immer, da mehrere Pharmaka eingesetzt werden. Erst recht also Augen auf bei Schwangeren! Grundsätzlich sind die Säulen einer Narkose Sedierung mit Benzodiazepinen, häufig eine Muskelrelaxierung und die Gabe von Hypnotika wie Propofol. Zur Analgesie kommen Opiate oder Esketamin zum Einsatz. All dies sind hochpotente Pharmaka. Nach einer Operation mit einer Totalnarkose stellt sich also die Frage, ab wann wieder gestillt werden darf.
Der Ratschlag ist scheinbar einfach: „Wenn die Mutter das Kind nach der Narkose sicher halten kann, darf sie stillen.“ An dieser Stelle wäre der Artikel beendet und damit sehr kurz. Es sind aber Hintergrundinformationen nötig, um diesen Ratschlag nachvollziehen zu können.
Sehr häufig wird Stillenden geraten, nach einer Operation oder einer Schmerztherapie abzustillen. Das Protokoll der Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) beschäftigt sich mit Schmerztherapie und Anästhesie der stillenden Mutter. Diese Protokolle gelten weltweit als Standard für medizinisch sinnvolle, den aktuellen Erkenntnissen angemessene Vorgehensweisen bei stillenden Frauen und Stillkindern.
Die Empfehlungen haben sich auch in der aktuellen Version nicht geändert: Bei reifgeborenen, gesunden Neugeborenen oder Stillkindern außerhalb der Neugeborenen-Phase kann die Mutter nach einer Allgemeinanästhesie das Kind stillen, sobald sie wieder wach und stabil ist. Auch der kurzzeitige Einsatz von Opioiden bei der stillenden Mutter gilt als sicher und erfordert keine Einschränkungen.
Das Protokoll bezieht sich auch auf Maßnahmen unter der Geburt. Es heißt dort, dass zur PDA bislang keine abschließende wissenschaftliche Bewertung über die Auswirkungen auf das Stillen möglich ist. Studien hierzu sind häufig von niederer Qualität, kommen zu unterschiedlichen und widersprüchlichen Ergebnissen und hängen zudem von den gegebenen Dosen an Opioiden und anderen Medikamenten ab. Auch die Auswirkungen auf das Neugeborene sind unklar. Einige Studien geben Hinweise auf eine verringerte Aktivität beim Suchen und Saugen, andere Studien können das nicht bestätigen.
Die ABM weist darauf hin, dass eine PDA vermutlich kaum oder keine Auswirkungen auf den Stillerfolg einer Mutter hat, die stillen möchte und dabei gute fachliche Unterstützung erhält, dass sie aber für eine weniger gut informierte Mutter in ungünstigem Setting ein Risiko darstellen kann. Daher empfiehlt sie, Müttern, die mit Hilfe einer PDA entbunden haben, besonders intensive Unterstützung anzubieten und zudem zu berücksichtigen, dass diese Mütter häufig auch hohe Flüssigkeitsmengen i. v. unter der Geburt erhalten haben
Eines der Standardnarkotika mit guter Steuerbarkeit und Verträglichkeit ist Propofol. Propofol wird in der Roten Liste als kontraindiziert erwähnt, bzw. eine Stillpause von 24 Stunden empfohlen. Im Beipackzettel ist zu lesen: 24 Stunden Stillpause, Milch verwerfen.
Im Standardwerk Schaefer/Spielmann steht dagegen, eine Stillpause sei nicht erforderlich. Embryotox führt aus: „Es liegen publizierte Untersuchungen zu 12 Mutter-Kind-Paaren vor. Propofol geht nur in sehr geringen Mengen in die Muttermilch über. Bisher wurden keine Symptome bei gestillten Kindern nach mütterlicher Narkose mit Propofol berichtet. Empfehlung: Die Mutter darf stillen, sobald sie nach einer Narkose mit Propofol in der Lage ist, ihr Kind selbstständig anzulegen. Dies gilt für alle Narkosen, insbesondere nach Kaiserschnitt. Die pharmakokinetischen Daten und die klinische Erfahrung begründen keine zusätzliche Stillpause. Eine eventuelle Verminderung der Milchmenge nach einem operativen Eingriff ist vermutlich eher auf die Flüssigkeitsrestriktion prä- und intraoperativ zurückzuführen und keine direkte Nebenwirkung des Medikaments.“
Propofol und andere Narkotika wirken nicht analgetisch. Auch wenn sich der Patient in Narkose befindet, steigert ein Schmerzreiz den Pegel an Stresshormonen. Deshalb ist eine wichtige Säule bei einer Narkose immer auch ein potentes Analgetikum.
Neugeborene haben eine deutlich längere Verweildauer für viele Opioide (wie Fentanyl, Alfentanil oder Pethidin) als Erwachsene.
Das ABM-Protokoll geht auch auf eine systemische Opioidgabe unter der Geburt ein und empfiehlt, diesen Mutter-Kind-Paaren aufgrund möglicher Auswirkungen auf das Kind besondere Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen bewusst mehr Zeit im Haut-zu-Haut-Kontakt zu ermöglichen. Das Protokoll geht außerdem auf die Anästhesie während einer Sectio ein und beschreibt, dass eine Anästhesie mit Hilfe einer PDA gegenüber einer Vollnarkose vom Gesichtspunkt der Stillförderung wünschenswert ist, sofern dies medizinisch möglich und vertretbar ist.
Bei Anästhesie mit einer PDA sollte die Mutter nach Möglichkeit sofort im Operationssaal mit dem Kind in Haut-zu-Haut-Kontakt gebracht werden. Bei einer Vollnarkose sollte dies geschehen, sobald die Mutter wach und in der Lage ist, ihr Kind selbst zu halten. Besonders wenn keine Daten zum Übergang in die Muttermilch vorliegen, sollte bei jeder stillenden Mutter, die Opioide bekommt, das Kind auf Zeichen von Atemdepression, Sedierung und herabgesetzter Aufmerksamkeit beobachtet werden. Fast alle Opioide können eine Atemdepression auslösen. Eine Ausnahme bilden Buprenorphin und Nalbuphin. Auch in sehr hohen Dosen wirken diese Opioide sich nicht negativ auf das Atemzentrum aus.
Bei stillenden Müttern können intravenöse Einzeldosen von Fentanyl, transdermale Fentanylpflaster oder epidural appliziertes Fentanyl sicher angewendet werden. Morphin wird als Referenzanalgetikum mit einer Wirkstärke von 1 gewertet, Fentanyl mit etwa 100.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat bereits 2017 vor dem Einsatz des Opioids Tramadol bei Stillenden gewarnt. Die Autorengruppe um Kinsella et al. hält den Einsatz für vertretbar, wenn der gestillte Säugling danach auf Zeichen einer vermehrten Schläfrigkeit hin untersucht wird. Eine Kontraindikation besteht bei Codein, das im Körper in Morphin umgewandelt wird. Die FDA und die europäische Arzneimittelagentur EMA betrachten Codein in der Stillzeit deshalb als kontraindiziert.
Injektionsanästhetika sind lipophil und diffundieren schnell vom Plasma in die Muttermilch. Dank ihrer kurzen Halbwertszeit und raschen Umverteilung sinkt die Plasmakonzentration, was eine Rückdiffusion der Anästhetika von der Muttermilch ins Plasma bewirkt.
In der „Guideline on Anaesthesia and Sedation in Breastfeeding Women 2020“ werden konkrete Hinweise für Stillende nach einer Narkose gegeben:
Die Arzneistoffkonzentration im mütterlichen Plasma hängt von der Bioverfügbarkeit, der Resorptionsquote und den Stoffeigenschaften des Wirkstoffs und seiner Abbauprodukte ab. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Plasmaeiweißbindung (PPB).
Je stärker ein Wirkstoff an die Plasmaeiweiße gebunden ist, desto geringer ist der Anteil des freien Arzneistoffs. Nur der freie, nicht an Proteine gebundene Anteil kann in die Muttermilch übergehen. Je größer die Plasma-Eiweißbindung, desto sicherer ist der Arzneistoff für den gestillten Säugling. Aber: je größer die Plasma-Eiweißbindung, desto größer ist die Gefahr für Arzneimittelwechselwirkungen. Das Arzneimittel mit der größeren PPB verdrängt das mit der geringeren aus dem Transportprotein und steigert seine freie und wirksame Menge im Plasma. Bei einer Plasmaeiweißbindung über 85 Prozent kann eine Gefährdung wegen des Übertritts in die Muttermilch vernachlässigt werden.
Je lipophiler ein Wirkstoff oder seine Metaboliten sind, umso leichter diffundieren sie in die Muttermilch. Zur Prämedikation ist beispielsweise das Benzodiazepin Midazolam besser geeignet als Diazepam. Es hat eine kürzere Wirkdauer und ist weniger fettlöslich. Die Wasser- und Fettlöslichkeit sind in der Fachinformation ersichtlich.
Fazit: Auch wenn Pharmaka zur Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose sehr potent sind, sind in vielen Fällen die Ängste vor dem Stillen nach einer Operation unbegründet.
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