Kompressionsstrümpfe und Heparin sind die Klassiker der postoperativen Thromboseprophylaxe. Was früher gut war, kann heute ja nicht schlecht sein – oder?
Die postoperative Thromboseprophylaxe ist immer eine Nutzen-Risikoabwägung. Auf der einen Seite können Patienten mit Heparin vor tiefen Venenthrombosen und tödlichen Lungenembolien geschützt werden. Andererseits können alle bisher verfügbaren Mittel lebensgefährliche Blutungen auslösen. Die Vermeidung einer pathologischen Thrombose war bisher also nicht ohne die Hemmung der physiologischen Hämostase möglich. Neue Therapieoption machen jetzt aber Hoffnung auf Optimierung.
Der monoklonale Antikörper Abelacimab hemmt die intrinsische Blutgerinnung. Er bindet an Faktor XI der Blutgerinnungskaskade und fixiert ihn in der Konformation des inaktiven Vorläufer Zymogens. Die Rolle von Faktor XI in der Pathogenese postoperativer venöser Thromboembolien ist allerdings ungewiss.
Eine neue Studie zur Thromboseprophylaxe nach Operationen verglich nun Abelacimab mit Heparin. Die Ergebnisse wurden auf dem Jahreskongress der International Society on Thrombosis and Hemostasis vorgestellt und im New England Journal of Medicine publiziert. In der Open-Label-Studie mit Parallelgruppen wurden 412 Patienten, die sich einer Knie-Totalendoprothetik unterzogen, nach dem Zufallsprinzip einem von drei Behandlungsschemata mit Abelacimab (30 mg, 75 mg oder 150 mg) zugeteilt. Das Pharmakon wurde postoperativ in einer einzelnen intravenösen Dosis verabreicht und mit der Wirksamkeit einer 40 mg Dosis Enoxaparin subkutan verglichen. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war eine venöse Thromboembolie. Das wichtigste Sicherheitsergebnis war eine Kombination aus schweren oder klinisch relevanten, nicht schweren Blutungen bis zu 30 Tage nach der Operation.
Venöse Thromboembolien traten bei 13 % in der Gruppe mit 30 mg Abelacimab, bei 5 % in der Gruppe mit 75 mg Abelacimab und bei 4 % in der Gruppe mit 150 mg Abelacimab auf. In der Heparingruppe erlitten 22 % ein Ereignis. Die Therapie mit 30 mg Abelacimab war Enoxaparin nicht unterlegen und die Therapien mit 75 mg und 150 mg Abelacimab waren Enoxaparin überlegen. Blutungen traten bei 2 % der Patienten in den Gruppen mit 30 mg, 75 mg bzw. 150 mg Abelacimab und bei keinem der Patienten in der Enoxaparin-Gruppe auf.
Die Studie zeigt zudem, dass Faktor XI wichtig für die Entstehung postoperativer venöser Thromboembolien ist. „Die Hemmung des Faktors XI mit einer einzelnen intravenösen Dosis von Abelacimab nach einer Knie-Totalendoprothetik war zur Prävention venöser Thromboembolien wirksam und mit einem geringen Blutungsrisiko verbunden“, so die Autoren.
Die neuen Pharmaka hemmen nicht, wie bisherige Antikoagulanzien, den gemeinsamen Teil von intrinsischer und extrinsischer Blutgerinnung, sondern nur den intrinsischen Arm.
Der intrinsische Arm ist die spontane Blutgerinnung, die in vitro ohne äußere Einwirkung erfolgt. Zu seinen Zwischenstufen gehört der Faktor XI. Dass dieser ein möglicher Ansatzpunkt für eine Antikoagulation ist, gründet sich auf Beobachtungen an Menschen mit Gendefekten. Der Ausfall des Faktors XI schützt diese vor tiefen Venenthrombosen, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen.
Der erste Wirkstoff, der den Faktor XI ausschalten kann, ist das Antisense-Molekül FXI-ASO (ISIS 416858). Es verhindert die Bildung von Faktor XI durch die Blockade der Boten-RNA. In einer offenen Phase-II-Studie hat FXI-ASO das Thromboserisiko von Patienten nach Kniegelenkersatz gegenüber einer Standardbehandlung mit einem niedermolekularen Heparin deutlich gesenkt, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen.
In einer offenen Parallelgruppenstudie wurden 300 Patienten, die sich einer elektiven primären unilateralen Knie-Endoprothetik unterzogen, randomisiert und einer von zwei Dosen FXI-ASO (200 mg oder 300 mg) oder alternativ einer 40 mg Dosis Enoxaparin zugeteilt.
In der Per-Protocol-Population trat der primäre Wirksamkeitsendpunkt bei 36 von 134 Patienten (27 %) in der 200-mg-FXI-ASO-Gruppe, bei 3 von 71 Patienten (4 %) in der 300-mg-FXI-ASO-Gruppe, und bei 21 von 69 Patienten (30 %) in der Enoxaparin-Gruppe auf. Die Studie zeigt, dass das 200-mg-Dosierungsschema von FXI-ASO Enoxaparin bei der Prävention von venösen Thromboembolien nicht unterlegen und dass das 300-mg-Dosierungsschema Enoxaparin überlegen war. Der Nachteil von Antisense-Molekülen: Sie müssen mehrere Wochen vor der Operation gegeben werden.
Monoklonale Antikörper, die den Faktor XI neutralisieren, könnten dagegen nach der Operation als Infusion verabreicht werden. Wegen der langen Halbwertszeit von monoklonalen Antikörpern muss die Behandlung nur 1 Mal erfolgen.
Im vergangenen Jahr wurden die Ergebnisse einer Phase-II-Studie zum monoklonalen Antikörper Osocimab vorgestellt. Osocimab bindet am Faktor XIa in der Nähe seines aktiven Zentrums und verhindert dadurch die Aktivierung des nachgeschalteten Faktors IX. In dieser Studie wurden 813 Patienten mit Kniegelenkersatz auf eine Behandlung mit Osocimab, Enoxaparin oder Apixaban randomisiert. Osocimab wurde in zwei verschiedenen Dosierungen vor der Operation oder in vier verschiedenen Dosierungen nach der Operation verabreicht.
Bei Patienten, die sich einer Knie-Endoprothese unterzogen, waren die postoperativen Osocimab-Dosen von 0,6 mg/kg, 1,2 mg/kg und 1,8 mg/kg im Vergleich zu Enoxaparin nicht unterlegen. Die präoperative Osocimab-Dosis von 1,8 mg/kg erfüllte die Kriterien für Überlegenheit im Vergleich zu Enoxaparin in Bezug auf den primären Endpunkt des Auftretens venöser Thromboembolien nach 10 bis 13 Tagen postoperativ. Weitere Studien sind erforderlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Osocimab im Vergleich zur Standard-Thromboseprophylaxe zu belegen.
Dieselbe Forschergruppe untersuchte in einer Phase-II-Studie den Antikörper Abelacimab (MAA868). Der Wirkungsmechanismus ist ähnlich wie bei Osocimab, aber nicht identisch. Abelacimab soll sowohl am inaktiven Faktor XI als auch am aktivierten Faktor XIa binden. Der Antikörper wurde in der Studie an 412 Patienten getestet, bei denen ein operativer Kniegelenkersatz geplant war. Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip auf eine postoperative intravenöse Gabe von Abelacimab oder auf eine Standardtherapie mit Enoxaparin randomisiert. Enoxaparin wurde an den ersten 10 Tagen nach der Operation 1 Mal täglich subkutan in der Dosis von 40 mg injiziert.
Die Therapie mit 30 mg Abelacimab war Enoxaparin nicht unterlegen. Unter den beiden höheren Dosierungen von 75 mg und 150 mg war eine Überlegenheit von Abelacimab nachweisbar. Die Effektivitätshemmung der intrinsischen Blutgerinnung könnte höher sein als nach der Standardbehandlung, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen. Eine endgültige Einschätzung wird allerdings erst nach dem Abschluss der Phase-III-Studien möglich sein.
Nicht nur Faktor XI, sondern auch Xa kann das Ziel einer postoperativen Thromboseprophylaxe sein. In den RECORD-Studien wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban in der Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach Knie-Totalendoprothese oder Hüf-Totalendoprothese untersucht.
Das Studienziel war, die Wirksamkeit und Sicherheit von Rivaroxaban und Enoxaparin bei erwachsenen Patienten mit Hüft-, oder Knie-Endoprothesen zu vergleichen. Für alle RECORD-Studien wurde eine signifikante Reduktion der venösen Thromboembolien (Gesamt-VTE, primäres Wirksamkeitsendpunkt) in der mit Rivaroxaban behandelten Gruppe gegenüber Enoxaparin – bei vergleichbarer Inzidenz schwerer Blutungen – beobachtet.
Patienten mit erhöhtem Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) erhalten nach elektiven Operationen meist eine pharmakologische plus mechanische Thromboseprophylaxe. Doch wenn schon an der Ära Heparin gerüttelt wird, sollte auch das Tragen von Kompressionsstrümpfen nach einer OP hinterfragt werden. Eine offene, multizentrische, randomisierte, kontrollierte Nichtunterlegenheitsstudie hat dies – mit erstaunlichem Ergebnis – getan.
1.905 elektive, stationäre, chirurgische Patienten (≥ 18 Jahre), bei denen ein mittleres oder hohes Risiko für venöse Thromboembolien festgestellt wurde, nahmen an der Studie teil. Das Ergebnis: die alleinige Gabe einer Pharmakothromboprophylaxe ist einer Kombination aus Pharmakothromboprophylaxe und GCS nicht unterlegen.
Bemerkenswerterweise empfanden die Patienten der Studie das Anziehen und Tragen der Strümpfe als nicht unangenehm. Es wurden keine Unterschiede in der Lebensqualität zwischen den Gruppen zu Studienbeginn, nach einer Woche sowie bei Entlassung aus dem Krankenhaus festgestellt. Fast 80 % der Patienten zeigten eine hohe Adhärenz zum Tragen der Kompressionsstrümpfe.
Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass das Tragen von Strümpfen/Strumpfhosen mit abgestufter Kompression bei den meisten Patienten, die sich einer elektiven Operation unterziehen und Heparin erhalten, unnötig ist.
Bildquelle: Solen Feyissa, Unsplash