TEIL 1 | Bei der Hyponatriämie handelt es sich um die häufigste Elektrolytstörung. Doch sie hat ihre Tücken. Wie ihr sie richtig diagnostizieren und behandeln könnt, erklärt euch Notarzt Felix Sokolowski von dasFOAM.
Man könnte diesen Artikel damit beginnen darüber zu philosophieren, dass die Hyponatriämie die häufigste Elektrolytstörung ist und mit langweiligen Zahlen werfen. Aber jedem, der eine Weile in der Akutversorgung gearbeitet hat, ist sicherlich schon aufgefallen, wie häufig Hyponatriämien auftreten. Sparen wir uns also das Vorgeplänkel, denn wir haben viel vor.
Zunächst muss man grundsätzlich verstehen, wie es zur Entwicklung einer Hyponatriämie kommt und welche Ursachen es gibt, da sich die Therapie (und vor allem auch die Gefahren durch die Therapie) stark unterscheiden. Ihr erinnert euch dunkel: Primum non nocere!
Im ersten Schritt gilt es, „echte“ von „falschen“ Hyponatriämien (Pseudohyponatriämie) zu unterscheiden. Hierfür reicht eine Bestimmung der Serum-Osmolalität aus.
Bei erhöhten Werten liegt im Serum ein osmotisch aktiver Stoff vor, welcher zu einer Verschiebung von Wasser nach intravasal führt und somit die Natriumkonzentration senkt, ohne dass absolut weniger Natrium vorhanden wäre. Für erhöhte Blutzuckerwerte (die mit Abstand häufigste Ursache der hypertonen Hyponatriämie) kann man schnell und unkompliziert das „korrigierte Natrium“ berechnen (pro 5,5 mmol BZ Korrektur des Natriums um ca. 2 mmol nach oben – oder einfach in einer Kalkulator-App Eurer Wahl, z.B. hier) und feststellen, dass in Wirklichkeit gar keine Hyponatriämie vorliegt.
Bei normwertiger Osmolalität trägt das Labor möglicherweise die „Schuld“ für das scheinbar niedrige Natrium – zumindest, wenn das Natrium im Serum bestimmt wurde. Hierbei kommt nämlich eine indirekte Messmethode zum Einsatz. Das Labor misst die Konzentration im Plasma anhand von verdünnten Proben mit automatisierten ionensensitiven Elektroden. Im Anschluss wird die Verdünnung korrigiert, und zwar unter der Annahme, dass das Plasma zu 93 % aus Wasser besteht. Das ist aber nicht immer der Fall. Insbesondere bei Lipidstoffwechselstörungen kann der Anteil des Wassers im Plasma zu einem nicht unerheblichen Teil durch Lipide reduziert sein. Ähnliches kann beim Vorliegen von übermäßig viel Protein im Plasma der Fall sein (z. B. im Rahmen eines multiplen Myeloms oder nach Immunglobulintherapie).
Wie kann man dieses Problem umgehen? Durch Natrium-Bestimmung mittels direkt messender ionensensitiver Elektrode oder einfacher ausgedrückt: mit einer simplen Blutgasanalyse (BGA) (und ja, es tut definitiv auch eine venöse BGA – tut es übrigens fast immer, aber das ist ein anderes Thema).
Im Fall einer echten Hyponatriämie gilt es als nächstes zu klären, ob es sich um eine ADH-unabhängige oder eine ADH-abhängige Hyponatriämie handelt. Hierfür kann uns die Osmolalität des Urins (UOSM) behilflich sein. (Kommentar: Die UOSM ist, wie viele andere Tests, leider nicht zu 100 % sensitiv und spezifisch, was man daran merkt, dass immer eher grobe Bereiche für die Einteilung in ADH-abhängig vs. -unabhängig angegeben werden. Für das Grundverständnis ist es aber unabdingbar!)
Bei den ADH-unabhängigen Formen ist die ADH-Aktivität bei den Patienten extrem gering und die UOSM somit (sehr) niedrig (< 100-200 mOsm/kg H2O). Wenn die Patienten so viel freies Wasser ausscheiden (niedrige UOSM = hohe free water clearance), wie kann es dann trotzdem zur Entwicklung einer Hyponatriämie kommen?
Hierzu müssen wir (leider) kurz in die Nierenphysiologie abtauchen. Eine gesunde Niere kann die Urinosmolalität maximal im Bereich von 50–1.200 mOsm/kg H2O „einstellen“ und somit die Serumosmolalität, auch bei wechselnder oraler Flüssigkeitsaufnahme, konstant halten. Um Urin herzustellen braucht der Körper aber auch immer lösliche Stoffe: die renal solute load – renale Molenlast (wir haben schon tolle Wörter in der deutschen Sprache), die er zusammen mit freiem Wasser ausscheiden kann.
Die durchschnittliche renale Molenlast liegt bei ausgewogener Ernährung bei 10 mOsm/kg KG/Tag (ca. zur Hälfte Elektrolyte und zur anderen Hälfte Harnstoff). Bei einer UOSM von 50 mOsm/l könnte eine 70 kg schwere Person (=700 mOsm Molenlast) also maximal 14 Liter Urin produzieren. Somit müsste diese Person mehr als 14 Liter am Tag trinken, um eine Hyponatriämie zu entwickeln. Wenn die renale Molenlast aber nur bei zum Beispiel 200 mOsm läge, was im Rahmen einer einseitigen Ernährung (Stichwort Tea-and-Toast-Syndrom oder Beer-drinking-potomania) möglich ist, könnten die Nieren schon nur noch maximal vier Liter Urin produzieren (200/50 = 4). Ab einer Flüssigkeitsaufnahme von fünf Litern würde es rechnerisch also bereits zu einer Hyponatriämie kommen (wie viel Bier schafft ihr so in 24 Stunden?).
Die ADH-unabhängige Hyponatriämie entsteht also auf Grund eines Mangels an löslichen Stoffen, die (oral) aufgenommen werden (= renale Molenlast). Bei Patienten mit einer psychogenen Polydipsie besteht ein relativer Mangel (an sich genug Molenlast, aber zu viel Wasseraufnahme). Bei Patienten mit Tea-and-Toast-Syndrom oder der „Bier-Trunksucht“ besteht ein absoluter Mangel an Molenlast bei nicht unbedingt exzessiver Flüssigkeitsaufnahme. Überlappungen zwischen den Krankheitsbildern sind sicherlich häufig und nicht immer ist eine klare Abgrenzung möglich oder sinnvoll.
Kommen wir nun zu den ADH-abhängigen Formen. Auf Grund der erhöhten ADH-Aktivität liegt eine höhere Urin-Konzentration (>200-300 mOsm/kg H2O) vor. Auch hier ist es wieder nicht möglich, einen definitiven Cutoff festzulegen. Ein Vergleich mit der Serum-Osmolalität ist zum Verständnis sicherlich sinnvoll. So lange die UOSM unterhalb der Serum-Osmolalität liegt, versucht der Körper freies Wasser auszuscheiden. Somit kann keine nennenswerte ADH-Aktivität vorliegen. Liegt die UOSM oberhalb der Serum-Osmolalität, wird aktiv freies Wasser zurückgehalten, was nur unter dem Einfluss von ADH möglich ist.
Als wäre es bisher nicht schon kompliziert genug, werden die ADH-abhängigen Formen in Abhängigkeit vom Volumenstatus nun auch noch in drei Untergruppen eingeteilt (hypovoläm, euvoläm und hypervoläm).
Die hypervoläme Hyponatriämie ist vermutlich noch am einfachsten zu erkennen, z.B. bei Ödemen, Pleuraerguss, Ascites und – weil in jedem dasFOAM-Artikel Ultraschall gepriesen werden muss – venöser Kongestion nach VExUS-Score.
Hierbei kommt es aufgrund einer Fehlverteilung mit effektiv zu wenig arteriellem Blutvolumen zu einer vermehrten Freisetzung von ADH. Zu finden ist diese Art der Hyponatriämie daher typischerweise bei den Krankheitsbildern (dekompensierte) Herzinsuffizienz sowie Leberzirrhose, dem nephrotischen Syndrom und allgemein der akuten oder chronischen Niereninsuffizienz.
Die Konzentration von Natrium im Urin kann eine weitere Unterteilung ermöglichen. Im Rahmen der Herz- und Leberinzuffizienz sowie beim nephrotischen Syndrom ist die Konzentrationsfähigkeit der Niere gegeben, sodass die allgemeine RAAS-Aktivierung im Rahmen dieser Grunderkrankungen zu einer verstärkten Natrium-Resorption führt. Dies spiegelt sich in einer geringen Natrium-Konzentration im Urin wider (<30 mmol/l). Im Rahmen der akuten oder chronischen Niereninsuffizienz liegt die Urin-Na+ Konzentration in der Regel über 30 mmol/l. Je nach Quelle wird diese Art der Hyponatriämie gelegentlich auch den ADH-unabhängigen Formen zugeordnet.
Insgesamt ist gerade unter Einnahme von Diuretika die absolute Natrium-Konzentration im Urin kritisch zu sehen und dann häufig „falsch“ hoch.
Große Schwierigkeit bereitet die Unterscheidung zwischen hypo- und euvolämer Hyponatriämie. Hierzu gibt es eine schöne Arbeit von Chung et al. (bereits 1987!). Hier wurde der Volumenstatus von Patienten mit Hyponatriämie ohne Ödeme klinisch (durch „erfahrene“ Kliniker) und laborchemisch (Urin-Natrium, Renin, Kreatinin, Harnstoff) untersucht. Im Anschluss erhielten alle Patienten parenteral NaCl 0,9 %. Kam es hierunter zu einem suffizienten Anstieg (> = 5 mmol) des Serum-Natriums, wurden die Patienten als hypovoläme Hyponatriämien gewertet, bei fehlendem Anstieg als euvoläme. Die Wahrscheinlichkeit, dass die erfahrenen Kliniker die hypovolämen Patienten richtig erkannten, lag bei 47 % – etwas schlechter als ein Münzwurf. Alle klinischen Untersuchungsmethoden (Blutdruck stehend/liegend, Herzfrequenz stehend/liegend, Hautturgor, Feuchte der Schleimhäute etc.) waren nicht signifikant unterschiedlich in den beiden Gruppen. Im Vergleich dazu waren alle laborchemischen Marker in den Gruppen signifikant unterschiedlich. Die beste Spezifität (100 %) und Sensitivität (80 %) zur Vorhersage, ob die Hyponatriämie auf Flüssigkeitsgabe ansprechen würde (und somit als hypovoläme Hyponatriämie klassifiziert werden kann), hatte die Urin-Natrium-Konzentration <30 mmol/l.
Nach diesen wenig ermunternden Worten für die Tugend der sorgfältigen klinischen Untersuchung zurück zur Ätiologie der euvolämen und hypovolämen Hyponatriämien.
Die häufigste Ursache für die euvoläme Hyponatriämie ist das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH). Der Name führt immer wieder zu Verwirrungen. Bei diesem Krankheitsbild wird inadäquat zu viel ADH ausgeschüttet, sodass es zu einer übermäßigen Rückresorption von freiem Wasser und somit zur Entstehung einer Hyponatriämie kommt. Auslöser sind vielfältig und oft auch nur vorübergehend. So kann es transient zum Beispiel im Rahmen von Schmerzen, Stress, Übelkeit und Erbrechen, Überdruckbeatmung und vielem mehr zu einer vermehrten ADH-Freisetzung kommen. Es ist also nicht immer das kleinzellige Bronchialkarzinom, das sich noch versteckt hält.
Auch verschiedene Pharmaka sind als Ursachen zu nennen, z.B. SSRI, Neuroleptika, NSAR, Trizyklische Antidepressiva, MDMA und viele mehr. Weitere häufige Gründe sind pulmonale Erkrankungen (z. B. Pneumonie) oder ZNS-Erkrankungen (Infektionen, Blutungen, Tumore etc.). Durch die ständige ADH-Aktivität ist der Urin bei den erkrankten Personen durchweg (zu) hoch konzentriert. Ein Rechenbeispiel: Die Urinosmolarität beträgt 600 mOsm/l, die Beispielpatientin wiegt 60 kg und hat eine renale Molenlast von 600 mOsm/l am Tag. Damit könnte die Beispielpatientin nur einen Liter Urin pro Tag produzieren. Somit trägt jede zusätzliche Wasseraufnahme über diesen Liter hinaus (Perspiratio insensibilis nicht berücksichtigt) zur Entstehung bzw. Verschlimmerung der Hyponatriämie bei. Weitere Ursachen für eine euvoläme Hyponatriämie wären ein Cortisolmangel bei Nebennierenrindeninsuffizienz (CAVE: nicht Mineralokortikoidmangel) und eine Hypothyreose.
Bei der hypovolämen Hyponatriämie ist die zu Grunde liegende Pathophysiologie eine erhöhte ADH-Freisetzung auf Grund einer verminderten Perfusion der Peripherie. Hierüber soll erhöhtes intravasales Volumen generiert werden. Die Serum-Osmolalität ist in diesem Fall nachrangig. Man kann zunächst über die Urin-Natrium-Konzentration (< bzw. >30 mmol/l) herausfinden, ob es sich um extrarenale Wasserverluste handelt oder nicht. Niedriges Urin-Natrium spricht für extrarenale Verluste z. B. im Rahmen von Durchfall, Erbrechen, Verbrennungen, Pankreatitis usw. Höhere Natriumkonzentrationen im Urin sprechen für die Unfähigkeit der Nieren ausreichend Natrium zurückzuhalten. Dies ist häufig unter Diuretikatherapie (eher Thiazide als Schleifendiuretika, da die Schleifendiuretika über eine Abschwächung des Gegenstromprinzips seltener Hyponatriämien auslösen, Stichwort gestörter Konzentrationsmechanismus), bei Mineralokortikoidmangel (CAVE: bei gleichzeitig erhöhtem Kalium und niedrigem RR an Addison-Krise denken!), bei Salzverlustsyndromen (renale und cerebrale, wenn es letztere denn überhaupt gibt) und im Rahmen von osmotischer Diurese zu beobachten.
So viel zur Pathophysiologie, aber Fortbildung soll ja handlungsrelevant sein. Kommen wir also zu den Therapieprinzipien und vor allem den Gefahren durch die Therapien. Beginnen wir mit ein paar grundlegenden Überlegungen. Was passiert pathophysiologisch, wenn man den verschiedenen Formen der Hyponatriämie 1.000 ml Vollelektrolytlösung gibt?
(Anm: die Pseudohyponatriämie berücksichtigen wir ab jetzt nicht mehr, denn die wollen wir ja nicht behandeln und auch der hypervolämen Hyponatriämie gibt hoffentlich niemand noch mehr Wasser. Nein, auch nicht bei aktuell höherem Kreatinin als im Voraufenthalt und bitte erst recht nicht zusammen mit einem Schleifendiuretikum zur „Nierenspülung“.)
Das sind natürlich geschönte Beispielrechnungen, in vivo gibt es reichlich Störfaktoren, die das Ergebnis beeinflussen. Für das Verständnis finde ich die Überlegung dennoch hilfreich. Was fällt uns bei Betrachtung dieser drei Szenarien auf? Die Gefahr der Überkorrektur liegt oft in der Therapie an sich. Und sowohl die hypovoläme als auch die ADH-unabhängige Hyponatriämie bessern sich durch Flüssigkeitsgabe. Deshalb ist es umso wichtiger vor Einleitung der Therapie die Ursache der Hyponatriämie zu klären.
Doof wäre es nämlich, wenn man der Patientin mit dem „Tea and Toast Syndrom“ (welche sowie so schon relativ zu viel Wasser zu sich nimmt) sagt, dass sie doch bitte mehr trinken soll (weil man selbst die Hyponatriämie fälschlicherweise als hypovoläm und nicht als ADH-unabhängig gewertet hat).
Im zweiten Teil des Artikels geht es nächsten Dienstag um die Therapie und ihre Gefahren.
Bildquelle: Piotr Miazga, unsplash