TEIL 2 | Letzte Woche ging es hier um verschiedene Formen der Hyponatriämie, eine häufige Elektrolytstörung. Im zweiten Teil des Artikels nimmt sich Felix Sokolowski von dasFOAM die Therapie vor und klärt über verbreitete Mythen auf.
Zu Teil 1 des Artikels geht's hier.
Jedem, der eine Weile in der Akutversorgung gearbeitet hat, ist sicherlich schon aufgefallen, wie häufig Hyponatriämien auftreten. Deshalb haben wir ihnen einen zweiteiligen Artikel gewidmet. Im ersten Teil ging es um die Unterscheidung von „echten“ und „falschen“ Hyponatriämien, außerdem um euvoläme und hypovoläme Hyponatriämien.
Bevor wir nun die genaue Therapie besprechen, müssen wir noch einmal einen Schritt zurück gehen und darüber reden, warum es überhaupt notwendig ist, zu therapieren bzw. was die konkrete Gefahr der Therapie ist.
In der Notaufnahme werden uns zwei Patientengruppen begegnen. Die einen sind komplett asymptomatisch (zum Teil auch bei absurd niedrigen Natriumwerten) und die anderen sind symptomatisch. Die Symptome können von leichten, unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen bis hin zu Krampfanfällen, Koma und nicht-kardialen Lungenödemen reichen. Die Höhe des aktuellen Natriums ist hierbei nicht wirklich hilfreich.
Die kleine, alte Dame, die seit Monaten mit Hilfe ihres HCT auf eine ausgeprägte Hyponatriämie mit 115 mmol/l hingearbeitet hat, kann völlig beschwerdefrei sein. Der 24-jährige Student, der im Rahmen einer Mutprobe innerhalb kürzester Zeit 5 Liter Wasser getrunken hat, kann dagegen mit einem Natrium von 122 mmol/l im Status epilepticus vorgestellt werden. Bei der alten Dame müssen wir langfristig die Hyponatriämie beseitigen, weil diese zu vermehrten Stürzen und Frakturen (zum einen durch die Stürze selbst, zum anderen durch eine Störung des Knochenstoffwechsels im Rahmen der Hyponatriämie) und in der Folge auch zu einer erhöhten Mortalität führt (Kuo et al, Usala et al, Corona et al). Allerdings wäre hier eine schnelle Korrektur des Natriums bei fehlenden akuten neurologischen Symptomen nicht sinnvoll und mit einem hohen Komplikationsrisiko verbunden.
Anders sieht es bei dem krampfenden Studenten aus. Was passiert da pathophysiologisch? Ein akuter Abfall der Serumosmolalität (überwiegend durch die Natrium-Konzentration bestimmt) führt dazu, dass Zellen, die ihre intrazelluläre Osmolalität nicht so schnell ändern können, freies Wasser von extrazellulär aufnehmen. In den meisten Geweben ist das nicht weiter problematisch, beim Gehirn sieht das allerdings anders aus.
Wenn die Osmolalität des Serums schnell abfällt, beginnen die Gehirnzellen zunächst Elektrolyte abzugeben (v. a. Natrium, Kalium und Chlorid). Im weiteren Verlauf werden auch kleine organische Osmolyte abgegeben (v. a. Aminosäuren wie Glutamat und Glycin) (Giuliani et al). Ziel hierbei ist es, intrazellulär die gleiche Tonizität wie im Blut zu erreichen, damit es netto zu keiner Verschiebung von Wasser kommt. Der Anpassungsprozess des Gehirns ist allerdings verhältnismäßig langsam. Kommt es also zu abrupten Änderungen, droht die Verschiebung von freiem Wasser. Wenn das Natrium zu schnell fällt, nehmen die Zellen Wasser auf, schwellen dadurch an und es kann zum Hirnödem kommen. Wenn das Natrium zu schnell steigt, verlieren die Zellen freies Wasser und es kann zu einer osmotischen Demyelinisierung kommen (Anm. d. Autors: Ich habe in der Uni immer noch den Begriff der „pontinen Myelinolyse“ gelernt. Da dieser Prozess aber nicht isoliert im Pons ablaufen muss, wird hier der allgemeinere Name verwendet).
Der akute Abfall des Natriums führt also zur Ausbildung eines Hirnödems und somit zum Krankheitsbild der hyponatriämischen Enzephalopathie, welches sich in den oben genannten Symptomen (Übelkeit und Erbrechen, Vigilanzminderung, Krampfanfälle etc.) widerspiegelt. Da bei schweren Symptomen die Letalität der Hyponatriämie immens ist, ist es notwendig, das Natrium in den ersten ein bis zwei Stunden um 5–6 mmol/l anzuheben. Hierfür empfiehlt die europäische Leitlinie für Hyponatriämie die Gabe von 150 ml einer 3 %-igen NaCl Lösung und ggf. wiederholte Gaben bis zum Erreichen des gewünschten Anstiegs (Ziel: Anstieg um 5 mmol/l), erst danach soll eine spezifische Therapie abhängig von der Ätiologie eingeleitet werden.
Leider ist NaCl 3 % in Deutschland nicht verfügbar. Man könnte also alternativ eine 5,85 %-Lösung auf nahezu 3 % verdünnen (90 ml NaCl 0,9 % und 60 ml NaCl 5,85 % ergeben rechnerisch ca. 2,9 %) oder alternativ einen auf 100 ml reduzierten Bolus NaCl 5,85 % geben und im Anschluss das Serumnatrium kontrollieren. Andere Autoren erinnern an den hohen Natrium-Gehalt von Natrium-Bicarbonat 8,4 % Lösungen (1 mmol/ml) und schlagen anstelle von hypertoner Kochsalzlösung die Gabe von 1–2 Boli von je 100 ml NaBic 8,4% vor.
Es besteht immer wieder (unbegründete) Angst vor der Anwendung von hypertoner NaCl-Lösung.
Zeit für ein dasFOAM-Mythbusting
Mythos 1: „Hypertone NaCl-Lösung darf nur zentral gegeben werden.“
Mythos 2: „Die Patienten bekommen nach Gabe von hypertoner Kochsalzlösung sehr häufig eine osmotische Demyelinisierung (OD).“
Mythos 3: „Die Hyponatriämie bzw. die hyponaträmische Enzephalopathie (HE) ist doch nicht so schlimm.“
Nein, in vielen Studien ist die Letalität von Patienten mit Hyponatriämien immens (und das liegt sicher nicht an der eher seltenen OD). Diese Studie aus 1999 beschäftigt sich mit chronischer-hyponatriämer Enzephalopathie bei postmenopausalen Frauen (kleine Studie, 53 Patientinnen in 3 Gruppen):
Bei der asymptomatischen Hyponatriämie sieht die Therapie anders aus. Zum Programm
Hier ist weniger oft mehr, da die Gefahr der Hyponatriämie vor allem in ihrer Therapie liegt. Der Ausgleich des Natriums sollte spezifisch je nach Ätiologie der Hyponatriämie erfolgen. Hierfür ist es sinnvoll, die komplette Diagnostik (Serum: Osmolalität, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Natrium, Kalium, venöse BGA; Urin: Status, Osmolalität, Kreatinin, Natrium, Harnsäure) abzuwarten, bevor man weitere Maßnahmen ergreift (das schließt auch scheinbar banale Maßnahmen wie 1.000 ml Vollelektrolytlösung mit ein).
1. ADH-unabhängige Hyponatriämie (insb. Tea-and-Toast-Syndrom und Bier-Potomanie):
Wenn das Natrium im Serum zu schnell ansteigt (Ziel < 8–10 mmol/24 Stunden), muss man den Natriumanstieg bremsen oder ggf. das Natrium wieder senken – der Netto-Anstieg zählt! Die Maßnahmen, die hierfür ergriffen werden müssen, können wir uns anhand der eben mühselig erarbeiteten Pathophysiologie herleiten: Es kann nur zu einem Anstieg des Natriums kommen, wenn entweder zu viel Natrium zugeführt wird (dieses Problem lässt sich leicht beheben: Zufuhr der hypertonen NaCl-Lösung stoppen) und/oder der Patient beginnt freies Wasser (= viel wenig konzentrierten Urin) auszuscheiden. Deshalb sollte bei der Korrektur der Hyponatriämie auch immer die Urinausscheidung im Auge behalten werden.
Als erster Schritt um den Natriumanstieg zu bremsen, kann ein Therapieversuch mit 5 %-Glukoselösung intravenös erfolgen (= freies Wasser nachdem die Glucose verstoffwechselt wurde). Kommt es hierunter zu einem weiteren Anstieg des Natriums oder weiterhin ausgeprägter Diurese, sollte die Gabe von Desmopressin erfolgen (2 µg i. v. oder 20 µg nasal alle 8–12 Stunden). Durch Desmopressin wird die Niere aus dem Spiel genommen und auf die Ersatzbank verbannt. Die Urinausscheidung kommt kurzzeitig zum Erliegen, da durch das Desmopressin über Aquaporine nahezu alles an freiem Wasser rückresorbiert wird. Es gibt sogar das Konzept, dass man den Ausgleich des Natriums direkt unter Desmopressingaben (im Englischen als „DDAVP clamp“ bezeichnet und z. B. im IBCC toll beschrieben) und kontinuierlicher hypertoner NaCl-Gabe durchführt. Der Patient darf dann allerdings auch oral keine Flüssigkeit zu sich nehmen, sonst droht ein (weiterer/erneuter) Abfall des Natriums.
Also noch einmal zum Verständnis: Wenn ein Patient keinen Urin ausscheidet und keine Flüssigkeit zu sich nimmt/erhält, wird sich das Natrium im Serum nicht verändern. Nimmt man also die Urinausscheidung aus der Gleichung, was mit der DDAVP clamp der Fall ist, kann man über die Auswahl der parenteralen Flüssigkeit (beim durstenden Patienten, also eher etwas für sediertes ITS-Patientengut!) ziemlich exakt den Natriumanstieg kontrollieren (auch hierfür gibt es wieder verschiedene Formeln in der Kalkulator-App eurer Wahl).
Diagnose-Algorithmus: zunächst Pseudohyponatriämie ausschließen (BGA, Serumosmolalität), dann Unterscheidung zwischen ADH-abhängiger und ADH-unabhängiger Hyponatriämie (Urinosmolalität)
„Aggressive“ Therapie nur bei hyponatriämischer Enzephalopathie, sonst vorsichtige Therapie abhängig von der Ursache – im Idealfall erst bei vollständiger Diagnostik. Die Gefahr liegt bei den asymptomatischen Hyponatriämien in der Therapie selbst (v. a. bei SIADH, ADH-unabhängiger und hypovolämer Form).
Als Hilfestellung gibt's hier nochmal eine Übersicht in grafischer Form:
Bildquelle: Matthew Wheeler, unsplash