Tag der Entscheidung in Sachen Corona-Maßnahmen: Kurz vor dem Bund-Länder-Gipfel zeichnet sich ab, dass Deutschland stärker lockert als bisher angekündigt. Aber das ist nicht die einzige Wendung.
Eine neue Beschlussvorlage sorgt im Vorfeld des heutigen (Mittwoch, 16. Februar 2022) Bund-Länder-Gipfels zur Corona-Lage für Aufsehen: Deutschland lockert mehr als zunächst geplant – und sägt offenbar am Start der umstrittenen Pflege-Impfpflicht am 15. März. Welche Pläne sich noch geändert haben und was die größten Streitpunkte der Länderchefs sind, lest ihr hier im Überblick.
In einer Vorbesprechung für den Corona-Gipfel haben sich die Chefs der Senats- und Staatskanzleien der Länder auf weitreichendere Lockerungen geeinigt als ursprünglich angekündigt. Vor allem betroffen sind die Regelungen zu Kontaktbeschränkung und Großveranstaltungen. Das geht aus einer neuen Beschlussvorlage von Dienstagabend (15. Februar 2022) hervor, die unter anderem Business Insider vorliegt.
Konkret heißt es in der aktuellen Beschlussvorlage, dass es für Geimpfte und Genesene gar keine Kontaktbegrenzungen mehr bei privaten Treffen geben soll. In einem ersten Entwurf von Montag war zunächst eine Obergrenze von bis zu 20 Personen diskutiert worden – dieser Plan wurde jetzt offenbar über Bord geworfen. An der strengen Regelung für Ungeimpfte hat sich hingegen nichts geändert: Für sie sollen Treffen bis Ende März weiterhin nur mit dem eigenen Haushalt plus maximal zwei weiteren Personen möglich sein.
Auch für Veranstaltungen sollen die Zuschauer-Obergrenzen weiter erhöht werden. Statt einer maximalen Auslastung von 40 Prozent soll in Innenräumen eine maximale Auslastung von 60 Prozent erlaubt werden. Insgesamt dürfen dabei nicht mehr als 6.000 Zuschauer (zuvor 4.000) zusammenkommen.
Unabhängig vom Impfstatus sollen alle Personen wieder vollen Zugang zum Einzelhandel haben, die Eingangskontrollen fallen weg. Lediglich Masken sollen weiterhin getragen werden.
Begründet werden die Änderungen mit der sich abzeichnenden Überwindung der Omikron-Welle. „Die Omikron-Variante des Corona-Virus breitet sich in Deutschland aus. Allerdings scheint der Höhepunkt der Omikron-Welle in den meisten Ländern überschritten zu sein“, heißt es. Bereits den vierten Tag in Folge sank die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz, sie liegt nun bei knapp 1.400.
Wird der 20. März für Deutschland also zum Freedom Day? Eher nicht. Bis zuletzt gab es Zank darüber, wie stark gelockert werden soll. Während die FDP für ein Auslaufen aller Maßnahmen plädiert, pocht vor allem die CDU weiterhin auf eine Option, um bei erneuten Corona-Wellen mit Maßnahmen gegensteuern zu können.
Auch über den 19. März 2022 hinaus sollen „niedrigschwellige Basisschutzmaßnahmen“ bleiben, heißt es in dem Entwurf. Aus Sicht der Länder zählen hierzu insbesondere Maskenpflichten in geschlossenen Räumen sowie in Bussen und Bahnen, das Abstandsgebot sowie die Möglichkeit zu 2G- und 3G-Regeln. Um das zu ermöglichen, verlangt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein Basisschutzgesetz in Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes. Laut Entwurf soll das Gesetz „rechtzeitig vor dem 20. März zum Abschluss kommen“. Darin soll geregelt werden, welche Schutzmaßnahmen im Fall eines lokalen Ausbruchsgeschehens gelten, „bei denen eine Überlastung der lokalen Kapazitäten des Gesundheitssystems droht.“ Sollte sich das Infektionsgeschehen nach dem 20. März deutlich verschlechtern, werde die Bundesregierung „zügig die nötigen Gesetzgebungsverfahren einleiten“, heißt es im Entwurf.
Auch die niedersächsische Landesregierung signalisiert, dass es noch nicht an der Zeit ist, alle Einschränkungen fallen zu lassen. „Ich würde nicht von einem ‚Freedom Day‘ Mitte März sprechen, dafür ist es auch noch zu früh“, so eine Regierungssprecherin vor den Bund-Länder-Treffen am Mittwoch. Es müsse weiterhin genug Handlungsspielraum bleiben, auch wenn ein Rückgang der Infektionszahlen erkennbar sei.
Einige andere Punkte dürften in der Runde für hitzige Debatten sorgen – allen voran das Thema Pflege-Impfpflicht. Es bleibt zwar dabei, dass an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht festgehalten werden soll. In der neuen Version der Beschlussvorlage wurde aber der Hinweis auf den Stichtag 15. März 2022 für den Start der Impfpflicht gestrichen. Dieses Datum wurde in der alten Version noch konkret als Startdatum genannt.
Wörtlich heißt es dazu im aktuellen Entwurf: „Die Gesundheitsämter haben ein Ermessen bei der Umsetzung der Maßnahmen“. Bis zum Abschluss des heutigen Gipfels darf man gespannt sein, was das konkret bedeutet – zumindest scheinen sich die Länderchefs von einem einheitlichen Start Mitte März distanziert zu haben. Das dürfte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schmecken, schließlich hatte er die Pläne zur Umsetzung der Pflege-Impfpflicht bis zuletzt scharf kritisiert.
Eine weitere Wendung: Laut Beschlussentwurf will Bundesgesundheitsminister Kar Lauterbach (SPD) dem Robert Koch-Institut (RKI) die Entscheidungsmacht zur Verkürzung des Genesenenstatus wieder abnehmen. Nachdem die Aufregung um die plötzliche Entscheidung des RKI zur Verkürzung des Genesenenstatus im Januar groß war, zieht Lauterbach jetzt offenbar die Konsequenzen.
So heißt es in dem Entwurf, bei der Ausgestaltung der Verordnung „entfällt in Hinblick auf die Festlegungen zum Geimpften- und Genesenenstatus die Delegation auf das Paul-Ehrlich-Institut und Robert-Koch-Institut“.
Gegenüber der Bild erklärte Lauterbach: „Über tiefgreifende Entscheidungen wie etwa den Genesenenstatus möchte ich selbst und direkt entscheiden. [...] Sonst trage ich die politische Verantwortung für das Handeln anderer.“ Die umstrittene Verkürzung des Genesenenstatus soll nach Beschlussvorlage außerdem wieder rückgängig gemacht werden, berichtet Spiegel Online.
Noch ein weiterer Punkt in dem Entwurf ist neu: Die Gesundheitsminister werden beauftragt, endlich für aktuelle und aussagekräftige Daten zu sorgen. Das soll vor allem die Hospitalisierungsinzidenz betreffen. Deutschland wurde im Zuge der Pandemie viel dafür kritisiert, auf Daten aus anderen Ländern angewiesen zu sein, weil das Monitoring schlecht läuft. Jetzt sollen die Minister laut Beschlussvorlage daran zu arbeiten, „dass die für die Erfassung der Krankheitslast relevanten Parameter (7-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen, Inzidenz der Hospitalisierungen, Belegung der Intensivstationen) altersabhängig, tagaktuell, regionalisiert und mit guter Qualität erfasst und digital ermittelt werden können.“ Wie das konkret aussehen soll, erfahren wir hoffentlich am Ende des Gipfels.
Der Deutsche Hausärzteverbandes stellt sich hinter die geplanten Lockerungen von Bund und Ländern. „Es ist aktuell nicht davon auszugehen, dass die maßvollen und gestuften Lockerungsmaßnahmen in den kommenden Wochen diesen positiven Trend nachhaltig stören“, sagte der Verbandsvorsitzende Ulrich Weigeldt.
Es sei positiv, dass die Politik „endlich eine konkrete Öffnungsperspektive“ vorgelegt habe, so Weigeldt. „In Anbetracht der in der Regel milderen Verläufe bei einer Infektion mit der Omikron-Variante und den Erfahrungen aus dem Ausland ist dieser Schritt richtig und notwendig.“
Weniger Grund zu Optimismus sehen die Intensivmediziner. Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) könne man noch nicht von einem Trend sprechen, den man als „stabilen Abfall“ bezeichnen könnte. Die Zahl der Corona- Intensivpatienten steige kontinuierlich an, statt zurückzugehen. Die Zahl der Patienten sei seit Anfang des Monats von 2.280 auf 2.450 gestiegen.
Das gelte auch für die Hospitalisierungsinzidenz. Diese lag am Dienstag (15. Februar 2022) bei 5,9 bundesweit. Das sei nur unwesentlich weniger als am Montag. Zwar sei die Inzidenz einige Tage in Folge zurückgegangen. Dieser Abschwung folge aber einem steten Anstieg der Zahlen, der Mitte Februar begann. Von einer stabilen Entspannung könne also nicht die Rede sein.
Die Konferenz der Bundesregierung mit den Länderchefs soll um 14 Uhr beginnen, die Pressekonferenz im Bundeskanzleramt folgt im Anschluss.
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