Vor zwei Jahren wurde bei einem Mädchen ein Vitamin-B12-Mangel festgestellt und behandelt. Nun hat es wieder neurologische Symptome entwickelt, doch ein erneuter Mangel scheint nicht ursächlich zu sein.
Im Alter von 13 Jahren stellte sich ein Mädchen erstmalig mit einem Zittern der Hände, einem brennenden Gefühl in der Zunge, Muskelschmerzen und -krämpfen, Parästhesien in Händen und Füßen, Müdigkeit sowie Konzentrations- und Gedächtnisproblemen bei ihrem Hausarzt vor. Dieser diagnostizierte einen Vitamin-B12-Mangel. Es ergaben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zufuhr über die Nahrung nicht ausreichend wäre, weshalb er damals eine Beeinträchtigung der intestinalen B12-Aufnahme vermutete. Weitere Untersuchungen wurden jedoch nicht durchgeführt, stattdessen erhielt das Mädchen zweimal wöchentlich Hydroxocobalamin-Injektionen, welche dann schrittweise auf auf eine Injektion alle 6 Wochen reduziert wurden. Darunter klangen ihre Symptome ab und nach etwa 2 Jahren Behandlung wird diese auf Anraten des Hausarztes beendet.
Es dauert nicht lange bis das Mädchen in den darauffolgenden Monaten erneut neurologische Symptome entwickelt. Da diese nun so fortgeschritten sind, dass sie keinen Sport mehr machen kann, konsultiert sie einen Neurologen. Doch merkwürdigerweise scheint es nicht am Vitamin B12 zu liegen. Denn bei einer Serum-B12-Konzentration von >1476 pmol/L schließt er eine Mangelerscheinung als Ursache für die neurologischen Beschwerden aus. Doch eine alternative Erklärung kann auch er nicht finden.
Auch sechs Monate später ist der Zustand unverändert: die Serum-B12-Konzentrationen betragen immer noch >1476 pmol/L, obwohl das Mädchen weder Cobalamin-Injektionen erhalten noch seit zwei Jahren orale Vitamin-B12-haltige Präparate eingenommen hatte. Der Hausarzt überweist es daraufhin in die endokrinologische Abteilung eines Krankenhauses. Die Anamnese liefert hinsichtlich der Ernährung keinerlei Anhaltspunkt für einen Vitamin-B12-Mangel. Kardiovaskuläre oder gastrointestinale Beschwerden verneint das Mädchen ebenfalls. Die körperliche Untersuchung ist abgesehen von einem leichten, aber deutlichen Tremor an beiden Händen unauffällig. Im Krankenhaus werden erneut Blutuntersuchungen durchgeführt. Auch hier zeit sich eine B12-Konzentration im Serum von >1476 pmol/L, der Methylmalonsäure-Wert beträgt 222 nmol/L und das Gesamthomocystein 7,8 µmol/L (normal <10 µmol/L). Hier wird nun auch erstmals die intestinalen B12-Aufnahme untersucht, doch Tests zum Nachweis von Antikörpern gegen Parietalzellen und Intrinsic Factor sind allesamt negativ.
Doch die Ärzte haben noch eine weitere Theorie: Vielleicht ist der Vitamin-B12-Wert verfälscht - beispielsweise durch das Vorhandensein von Makro-B12. Dabei handelt es sich um Komplexe aus Vitamin-B12-bindenden Proteinen und Immunglobulinen. Um dies zu Untersuchen, wird ein spezielles Verfahren angewendet, bei dem die Makroproteine mittels Polyethylenglykol (PEG) ausgefällt werden und anschließend die B12-Konzentration im Überstand gemessen wird. Tatsächlich fällt die B12-Konzentration nach der PEG-Fällung auf 136 pmol/L, was bedeutet, dass es sich bei der Serum-B12-Konzentration zu über 95% um Makro-B12 handelt. Das Mädchen hat also in der Tat nach wie vor einen Vitamin-B12-Mangel.
Daher wird die Behandlung mit intramuskulären Hydroxocobalamin-Injektionen wieder zweimal wöchentlich aufgenommen. Etwa zwei bis drei Monate später sind die Symptome abgeklungen und die Häufigkeit der Injektionen kann schrittweise auf einmal monatlich verringert werden.
Text- und Bildquelle: Wolffenbuttel et al. / BMJ Case Reports
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