Gefangen zwischen grummeligen Bauern und arroganten Pferdebesitzern, dazu noch Dauerdienst und mickrige Bezahlung? Ich finde, die Großtierpraxis hat ihren schlechten Ruf zu Unrecht – auch, oder vielleicht gerade als Frau.
Es ist kein Geheimnis: Genau wie den Landarztpraxen fehlt auch den ländlichen Großtierpraxen der Nachwuchs. Natürlich gibt es für junge Tierärztinnen und Tierärzte viele Wege, um ein erfülltes Leben im Beruf zu führen, aber die Großtierpraxis scheint ein schlechtes Image zu haben und wird deshalb oft gar nicht in Erwägung gezogen. Dabei bietet sie denen, die prinzipiell keine Berührungsängste mit den Großen haben, einige Vorteile.
Das erste Abschreckende ist die Tatsache, dass die Verdienstmöglichkeiten schlechter sind als in der Großstadt – in der Kleintierklinik zum Beispiel. In der Tat wird man nicht reich, aber man kann durchaus gut davon leben, vor allem, wenn man für den Vergleich auch davon ausgeht, dass niemand als Klinikchef in der Stadt anfängt. Die Anfangsbezüge sind dort dann doch eher bescheiden, während man in einer Großtierpraxis erheblich schneller aufsteigt und aufgrund geringer Nachfrage durchaus zwischen verschiedenen Stellen wählen kann.
Dazu kommt, dass man zwangsläufig auf dem Land lebt und damit weniger Ausgaben für Miete und Lebenshaltung hat, was zu mehr Wohnraum, Garten, Tierhaltungsmöglichkeit und damit in meinen Augen zu mehr Lebensqualität führt. Was nützt ein großes Kulturangebot, wenn ich es mir nicht leisten kann? Später ist die Anschaffung und Unterhaltung eines Praxisautos nebst Kellerapotheke erheblich leichter zu bezahlen als Kleintierpraxisräume, in denen Röntgengeräte und Angestellte inzwischen erwartet werden. Mit all dem belastet sich der Großtierpraktiker nicht.
Zum Zweiten fürchten viele einen Dauerdienst – und es ist absolut richtig, dass noch immer keine praktikablen Notdienstringe wie in der Humanmedizin existieren. Aber Großtierpraxis läuft in den meisten Fällen so: Morgens geht der Kunde füttern, sieht ein Problem, ruft an. Dann arbeitet man von morgens bis mittags. Das gleiche Spiel um fünf Uhr abends, dann Arbeit von fünf bis acht meistens. Tatsächlich finde ich diese Arbeitszeiten extrem familienfreundlich, da man zum Mittagessen und den Hausaufgaben (fast) immer da sein kann.
Um fünf kommt im Idealfall der Gatte von der Arbeit und freut sich schon auf seine Zeit mit den Kindern. Kinder von Großtierärztinnen sind arm dran? Mitnichten, keine Mama in einem herkömmlichen Angestelltenverhältnis kann die Nachmittage bei ihren Kindern verbringen, im Sommer an den See fahren und Schlitten im Winter. Zum Gutenachtkuss ist Mama meist schon wieder zu Hause. Realistisch klappt dieser Plan etwa dreimal im Monat nicht. Dann wäre ein flexibler Partner oder eine Oma bei kleineren Kindern nett, aber so einen Fall gibt es in allen Familien. Kleintierpraxis verbraucht oft den ganzen Nachmittag, mit geplanten OPs und dann Sprechstunde.
Die Großtierwochenenden sind besonders spaßig: Bauern haben Anstand, sie stören nur, wenn es brennt. Daher sind oft die interessantesten Geburten am Wochenende und das ist dann auch noch besser bezahlt. Das gleiche gilt für Koliken beim Pferd. Eine Kolik am Sonntagmorgen reicht völlig, um den Ausflug am Nachmittag zu finanzieren und ist ja auch spannend, letztlich das coole Ding, weswegen man sich der Medizin zuwendet. Ich verstehe alle Notärzte gut, das ist schon spannender als die fünfte Impfung am Montagvormittag. Wie oft rücken wir am Wochenende aus? Realistisch sind maximal 5 Notfälle an zwei Tagen. Wie oft mitten in der Nacht? Zweimal im Jahr. Patientenbesitzer schlafen ja auch. Das letzte große Gegenargument zur Großtierpraxis betrifft die psychologische Situation. Es heißt, Bauern seien frustriert und ließen einen das spüren, Pferdebesitzer wären anstrengend. Zu einem gewissen Grad stimmt das auch, aber Bauern entwickeln auch große Dankbarkeit, sind manchmal fast ehrfürchtig und stecken als kleine Geste Eier ins Auto. Das lässt mich immer lächeln. Pferdebesitzer möchten nur verstanden und angenommen werden und auch von ihnen kommt oft ein großes Gefühl der Wertschätzung dem Tierarzt gegenüber. Ihr seht schon, ich habe nicht Tierärztin geschrieben, denn tatsächlich ist das Geschlecht für diese Arbeit vollkommen irrelevant. Für das Privatleben sind aber die anstrengendsten Kunden die Besten: Man kann die Lektion in Geduld und Größe gut brauchen, wenn das Kind Karottenbrei über die weiße Couch niest und man dann nur lachen muss.
Viele reden immer von Work-Life-Balance, das ist für mich ein Fehler an sich. Tierarzt zu sein ist mein Leben, zumindest ein großer Teil davon, daher muss ich nie in die Arbeit, ich mache den ganzen Tag nur Dinge, die ich gerne tue. Wer es schafft, einen Beruf zu haben und keinen Job – psychologisch ein Riesenunterschied – der muss nie zur Maloche. Natürlich gibt es harte Tage, an denen was nicht klappt, aber die lassen die normalen Tage nur noch erfolgreicher erscheinen.
Das Beste an der eigenen Großtierpraxis ist und bleibt die Flexibilität. Notfall in der Familie, Kind krank? Kein Problem, kann jederzeit die Kunden an die netten Nachbarkollegen verweisen (wenn man das denen auch anbietet) und bin sofort für die Familie da. Kann Kinder von der Schule holen, wenn Stunden ausfallen, ohne einem Chef Rechenschaft zu schulden. Versucht das mal als Angestellter im Veterinäramt. An ruhigen Tagen (auch etwa dreimal im Monat) gehe ich vormittags einkaufen, ausreiten, trainieren, was ich will. Schon nicht übel …
Wenn man also mit dem Gefühl schlafen gehen kann, für einige Tiere und deren Besitzer die Welt verbessert zu haben und dabei die Familie und man selbst auch nicht zu kurz gekommen sind, dann ist der Kontostand vollkommen ok. Bestimmt kann man hier noch viele Argumente und Sonderfälle einbeziehen, sicher ist auch einiges recht pauschal formuliert (das geht aber schlecht besser, wenn es nicht komplett ausufern soll), aber ihr merkt: Ich finde, die Großtierpraxis verdient ein besseres Image. Denn sie bietet viel.
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