Intelligenz ist offenbar eng an bestimmte Strukturen im Gehirn geknüpft. Würzburger Forscher zeigen: Je besser diese ausgebildet sind, desto leichter kann sich das Hirn auf verschiedene Anforderungen einstellen.
Man sitzt auf dem Sofa, döst gemütlich vor sich hin – plötzlich kommt der Sohn und bittet um Unterstützung bei den Mathe-Hausaufgaben. Für das Gehirn ist dieser Wechsel vom Ruhezustand in den Arbeitsmodus eine ziemliche Herausforderung. Je nachdem, um welche Art von Aufgabe es sich handelt, muss ein bestimmtes neuronales Netzwerk aktiviert werden; je nach Komplexität müssen eventuell auch verschiedene Netzwerke zusammen tätig werden. Das alles kostet Kraft und Energie.
Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Cerebral Cortex erschienen ist, legt nahe: Je höher die Intelligenz eines Menschen ist, desto leichter gelingt ihm der Wechsel zwischen Ruhezustand und verschiedenen Aufgabenzuständen. Die Grundlage dafür bilden bestimmte neuronale Netzwerke und deren Strukturen. „Die Netzwerkarchitektur im Gehirn von Personen mit höheren Intelligenzwerten ähnelt bereits im Grundzustand der Architektur, die für verschiedene kognitive Anforderungen erforderlich ist“, sagt Dr. Kirsten Hilger.
Hilger ist Akademische Rätin und Leiterin der Forschergruppe „Networks of Behavior and Cognition“ am Lehrstuhl für Psychologie I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Die neuronalen Grundlagen der menschlichen Intelligenz bilden einen Schwerpunkt ihrer Forschung. Dabei interessiert sie sich vor allem für den Zusammenhang von funktionellen und strukturellen Gehirnnetzwerken und deren Bedeutung für inter-individuelle Intelligenzunterschiede. Sie hat die Studie in Zusammenarbeit mit ihrem Doktoranden Jonas A. Thiele und einem Team der Indiana University, USA, verfasst.
Funktionelle und strukturelle Gehirnnetzwerken – um diesen Unterschied zu erklären, greift die Neurowissenschaftlerin auf ein einfaches Bild zurück. Setzt man den Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Hirnarealen mit dem Transport einer Ware von München nach Hamburg gleich, entspricht die Autobahn den strukturellen Gehirnverbindungen. Je besser die Autobahn ausgebaut ist, desto schneller fließt der Verkehr. Der Verkehr seinerseits entspricht der funktionellen Verbindung des Gehirns. Diese funktionellen Verbindungen standen im Zentrum der aktuellen Studie.
Hierfür hat das Team auf die Daten von Untersuchungen an mehr als 800 Erwachsenen zugegriffen, die den Forschern im Rahmen von internationalen Data-Sharing-Initiativen zur Verfügung gestellt wurden. Die Teilnehmer dieser Untersuchungen befanden sich entweder im Ruhezustand oder mussten verschiedene Aufgaben bearbeiten. Währenddessen wurde mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) die Aktivität ihrer Gehirnareale erfasst.
Sieben Aufgabenarten galt es, dabei zu bewältigen – jede von ihnen steht für einen anderen kognitiven Prozess. Um das Arbeitsgedächtnis zu aktivieren, mussten die Probanden beispielsweise entscheiden, ob in einer langen Bilderpräsentation das jeweils zuletzt gezeigte Bild einem vorherigen entsprach. Um die Sprachverarbeitung zu untersuchen, wurde ihnen eine Geschichte erzählt; anschließend mussten sie anhand zweier Alternativen entscheiden, was das Thema der Geschichte war. Für den Bereich der sozialen Kognition bekamen sie Video-Clips zu sehen, in denen sich geometrische Objekte bewegten. Die Aufgabe lautete dabei, zu entscheiden, ob diese Objekte miteinander interagierten oder nicht.
„Mit den Bildern aus dem Magnetresonanztomografen konnten wir unsere Hypothese testen, dass ein höheres Maß an allgemeiner Intelligenz mit einer geringeren Rekonfiguration der Gehirnnetzwerke einhergeht“, erklärt Hilger. Rekonfiguration: Auch dieser Begriff lässt sich gut anhand des Vergleichs mit dem Straßenverkehr erläutern.
„Im Ruhezustand messen wir bei den Probanden sozusagen den Grundverkehr, der immer fließt“, erklärt Hilger. Eine externe kognitive Anforderung ist dann vergleichbar mit der Rushhour, einem Ferienwochenende oder einem Autocorso nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft. Zum Grundverkehr kommt anforderungsspezifischer Verkehr hinzu, und je nach Anforderung sind unterschiedliche Anpassungen erforderlich.
Hilger und ihr Team haben die Vorgänge sowohl im gesamten Gehirn analysiert als auch begrenzt auf verschiedene funktionelle Gehirnnetzwerke, von denen man weiß, dass sie mit bestimmten Gehirnfunktionen verbunden sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die funktionellen Netzwerke von Menschen mit einem höheren Intelligenzwert beim Wechsel zwischen verschiedenen kognitiven Zuständen eine geringere Anpassung erfordern – ihre Netzwerk-Architektur ist so gestaltet, dass der Wechsel beispielsweise vom Ruhe- in den Arbeitsmodus nur geringe Umstellungen erfordert. Oder: Der Grundverkehr fließt bei ihnen auf eine Art und Weise, dass diese Anpassungen weniger aufwendig sind und es trotzdem zu keinen Staus kommt.
Dieser Effekt trat unabhängig von der Art der zu bearbeitenden Aufgaben auf, also auch unabhängig von den verschiedenen zu bewältigenden kognitiven Anforderungen. Ihr relativer Beitrag zu dem beobachteten Effekt war nahezu identisch. Dieses Ergebnis lässt aus Sicht der Wissenschaftlerin den Schluss zu, dass Intelligenz eine Eigenschaft eines weit verteilten Multitask-Gehirnnetzwerks ist. Anders ausgedrückt: „Intelligenz ist demnach ein Phänomen des gesamten Gehirns, sich an verschiedenen Anforderungen anzupassen“, so Hilger. Je intelligenter ein Mensch ist, desto besser ist also die Netzwerkarchitektur seines Gehirns dafür geeignet, verschiedene kognitive Anforderungen zu erfüllen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: JJ Ying, Unsplash