Das Gehirn eines Kleinkinds ist plastischer als das eines Erwachsenen. Kann es sich dadurch womöglich besser von einem Schlaganfall erholen? Eine Schweizer Studie demonstriert das Gegenteil.
Akute Durchblutungsstörungen durch arteriell-ischämische Schlaganfälle sind bei Kindern relativ selten (2–3 : 100.000 pro Jahr). Der Schlaganfall gehört jedoch zu den zehn häufigsten Todesursachen bei Kindern. Zudem führt er in 70–80 Prozent der Fälle zu Langzeitfolgen und kognitiven Auffälligkeiten in späteren Entwicklungsphasen. Einem Forscherteam des Universitätsspitals Bern und der Universität Bern ist es gelungen, diese in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Ereignisses zu beschreiben.
Das Alter, in dem ein Schlaganfall auftritt, spielt eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Erholung. Es ist ausschlaggebend für das Auftreten von Langzeitfolgen, unabhängig von der Läsionsgröße und der genauen Lage der betroffenen Hirnregion.
Das Forscherteam konnte 52 junge Patienten nach Schlaganfall in die Studie einschließen, was angesichts des seltenen Auftretens eine große Gruppe darstellt. Zudem konnten dank des umfangreichen Datenmaterials des Swiss Neuropediatric Stroke Registry (SNPSR) Angaben über die genaue Lokalisation und die Größe des Schlaganfalls erfasst werden. Die Studie vermag aufgrund ihres Umfangs und ihrer Beobachtungstiefe bestehende Theorien zum Schlaganfall im Kindesalter infrage zu stellen.
Die sogenannte Plastizitätstheorie ging bisher davon aus, dass sich das kindliche Gehirn besser von einem Schlaganfall erholen kann, da es plastischer ist als das Gehirn eines Erwachsenen. Die Daten der Studie bestätigen diese Theorie jedoch nicht. Vielmehr zeigt sich, dass die Entwicklungsphase zwischen einem Monat und fünf Jahren besonders wichtig für die kognitive Entwicklung zu sein scheint. Ein Schlaganfall in diesem Alter hat deutlich gravierendere Langzeitfolgen als eine Hirnschädigung zwischen 0 und 28 Lebenstagen oder eine solche mit sechs Jahren und älter.
Die Resultate der Studie zeigen vielmehr eine erhöhte „Verletzlichkeit“ des Gehirns von Kleinkindern. In diesem frühen Alter sind zahlreiche kognitive Funktionen in Entwicklung, was die besondere Empfindlichkeit auf eine Hirnläsion mit zu erklären vermag. Die Studie unterstützt somit die Bestrebungen, auch bei Kleinkindern in den ersten Stunden nach einem Schlaganfall aktive Therapien zur Rekanalisation zu prüfen. Die neurologische sowie die neuropsychologische Nachsorge sind in diesem Alter zudem dringend notwendig und sollten systematisch angewandt werden.
Die Forschergruppe engagiert sich derzeit an der Erforschung geeigneter Therapieoptionen in der Phase direkt nach dem Schlaganfall. „Da wir dank der publizierten Studie nun wissen, wie folgenreich ein Schlaganfall im frühen Kindesalter sein kann, gilt es als nächstes, geeignete Therapien zur Akutbehandlung und kognitive Interventionen zur Vermeidung von Langzeitfolgen zu finden und zu verbessern“, erklärt Prof. Regula Everts, die Projektleiterin der Studie.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Universitätsspitals Bern. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jason Yuen, unsplash.