Die Arzneimitteltherapiesicherheit ist ganz oben auf Hermann Gröhes Agenda. Ärzte und Apotheker sind bereit, das zeigen viele Modellprojekte. Nur arbeiten sie teils gegeneinander, nicht miteinander. Ihr gemeinsames Ziel, den Patienten, haben sie nicht unbedingt im Blick.
Wenn Therapien krank machen: Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge lässt sich jede zehnte stationäre Behandlung auf Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen der Pharmakotherapie zurückführen. Für Deutschland gibt das Netzwerk regionaler Pharmakovigilanzzentren (NRPZ) an, dass drei Prozent aller stationären Aufnahmen in internistischen Abteilungen durch Medikamente zustande kommen. Genaue Zahlen gibt es nicht, und Experten rechnen mit hohen Dunkelziffern. Besonders häufig sind Senioren betroffen.
Der Hintergrund: Nicht immer halten sich Ärzte und Apotheker bei der Verordnung von Rx-Präparaten oder bei der Abgabe von OTCs an wissenschaftliche Standards. Laut Untersuchungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) nahmen im Untersuchungszeitraum von drei Monaten 87,1 Prozent aller GKV-Versicherten über 65 ärztlich verordnete Arzneimittel ein. Rund ein Viertel von ihnen (27,4 Prozent) kam auf fünf oder mehr Packungen und bewegte sich damit im Bereich der Polymedikation. Von diesen Patienten schluckten 17,2 Prozent Präparate, die für Senioren gemäß der Beers-Liste sowie der Priscus-Liste als ungeeignet gelten. Knapp ein Drittel aller Bürger mit Polymedikation (30,4 Prozent) kaufte noch OTCs. Pharmaka zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen waren an zwei Dritteln aller potenziell gesundheitsgefährdenden Arzneimittelkombinationen beteiligt. Ein perfektes Chaos: „Häufig wissen weder Arzt noch Apotheker, was ein Patient einnimmt und ob er sich an die Therapie hält“, so WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Kommt es zu lebensbedrohlichen Situationen, ist guter Rat teuer.
Genau hier setzen mehrere Projekte an. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erforscht ab sofort Medikationsfehler bei Patienten im Krankenhaus. Zwölf Monate lang werden Experten in den Notaufnahmen der Unikliniken Bonn, Fürth und Ulm untersuchen, ob Verschreibungsfehler zum medizinischen Notfall geführt haben. Bei rund 90.000 Notaufnahmen rechnen sie mit 9.000 unerwünschten Arzneimittelereignissen. Auf Basis entsprechender Daten wollen Julia Stingl und Dirk von Mallek, Wissenschaftler am BfArM beziehungsweise an der Uni Bonn, in Erfahrung bringen, wie viele Medikationsfehler vermeidbar gewesen wären. Das Bundesministerium für Gesundheit finanziert ihr Projekt mit 580.000 Euro. Als Partner ist die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) beteiligt. Um Medikationsfehler jenseits der Klinik zu erfassen, setzt die AkdÄ auf ihr Spontanmeldesystem. Über diesen Kanal sollen niedergelassene Ärzte nicht nur produktbezogene, sondern auch anwendungsbezogene Medikationsfehler und deren Folgen kommunizieren.
Doch pharmazeutische Konkurrenten schlafen nicht. Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), forderte im Rahmen der letzten pharmakon, Apotheker stärker einzubinden. Gemeinsam mit Kollegen aus Österreich und aus der Schweiz entwickelte Kiefer drei Thesen: Für Patienten, die fünf oder mehr Präparate einnähmen, müsste das Medikationsmanagement ausgebaut werden. Bei der Ausgestaltung müssten die Apotheker federführend sein. Und ihre Leistungen müssten auch honoriert werden. Verbände arbeiten jetzt mit Hochdruck an der Umsetzung ihres Perspektivpapiers „Apotheke 2030“. An erster Stelle sollten klare Absprachen getroffen werden, welche Aufgaben Ärzte und Apotheker beim Medikationsplan und beim Medikationsmanagement übernehmen. „Wenn jeder Heilberuf seine klar definierten und voneinander abgegrenzten Zuständigkeitsbereiche engagiert ausfüllt, dann erreichen wir das optimale Ergebnis für die Patienten“, so Kiefer.
Grund genug für Apotheker, ihrerseits ein Projekt auf die Beine zu stellen. Mit PRIMA (Primärsystem-Integration des Medikationsplans mit Akzeptanzuntersuchung) wollen sie untersuchen, wie sich elektronisch erstellte Medikationspläne in den medizinischen beziehungsweise pharmazeutischen Arbeitsalltag integrieren lassen. Zur Umsetzung hat die ABDA aus BMG-Mitteln eine finanzielle Förderung bewilligt bekommen. Gleichzeitig avancierten Sachsen und Thüringen erneut zu Testregionen. Läuft alles nach Plan, könnten Resultate aus PRIMA in ARMIN, die Arzneimittelinitiative Sachsen/Thüringen, mit einfließen.
Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an Modellprojekten zur Arzneimitteltherapiesicherheit. Im Januar präsentierte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen) fünf Initiativen allein aus ihrem Zuständigkeitsbereich. Im südwestfälischen Siegerland machen die Barmer GEK, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe und das Versorgungsnetz Siegen gemeinsame Sache. Ihr Projekt, das „strukturierte Arzneimittelmanagement“, richtet sich vorwiegend an Mediziner. Patienten in Bochum-Wattenscheid profitieren von „TEAM eGK“. Dahinter stehen die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, der Apothekerverband Nordrhein und die ABDA. In der Region Düren profitieren Patienten vom „Medikationsplan NRW“. Geleitet wird die Initiative von beiden Ärztekammern in Abstimmung mit der Arzneimittelkommission der Ärzteschaft. Weitere 40 Praxen in Lennetal und in Bonn testen zeitgleich das „Arzneimittelkonto NRW“. Und die Knappschaft will mit ihrem Tool „elektronische Behandlungsinformation“ Versicherte unterstützen. Welche Erfahrungen tatsächlich in Hermann Gröhes noch recht abstrakte Vorstellungen zum Medikationsmanagement einfließen, wird sich zeigen. Jedenfalls plant der Bundesgesundheitsminister, Ärzte und Apotheker mit einzubeziehen.