Hyperoxalurie ist eine seltene und lebensbedrohliche Erkrankung, die bisher nur durch Transplantationen behandelt werden konnte. Ein neu zugelassenes Orphan Drug ermöglicht jetzt eine medikamentöse Behandlung.
Teil 11 unserer Serie über seltene Krankheiten und ihre Behandlung. Hier geht's zu Teil 10.
Oxalsäure kennt man von Rhabarber und Spinat, es erzeugt ein „stumpfes Gefühl“ auf den Zähnen. Der übermäßige Konsum von oxalsäurehaltigen Lebensmitteln kann das Risiko von Nierensteinen erhöhen. Bei bestimmten Formen der Hyperoxalurie liegt eine genetische Oxalatspeicherkrankheit vor. Man unterscheidet eine primäre von einer sekundären Hyperoxalurie. Zur Zeit sind drei Formen der primären Hyperoxalurie bekannt, deren schlimmste die primäre Hyperoxalurie Typ 1 ist (PH1). Sie ist eine seltene, fortschreitende genetische Erkrankung mit lebensbedrohlichen klinischen Manifestationen aufgrund einer erhöhten hepatischen Oxalatproduktion.
Diese Form liegt vor, wenn durch einen Enzymdefekt im Körper zu viel Oxalat produziert wird. Es kommt häufig frühzeitig zum Nierenversagen durch stets wiederkehrende Nierensteinabgänge, oder aber eine zunehmende Nierenverkalkung. Auch Säuglinge und Kleinkinder können dabei betroffen sein (infantile Oxalose). Studien schätzen die Häufigkeit von PH1 auf etwa eine betroffene Person pro 150.000 Einwohner.
Die sekundäre Hyperoxalurie findet sich oft bei Darmerkrankungen wie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn), Malabsorptionssyndromen (Zöliakie, Cystische Fibrose), oder aber Kurzdarmsyndromen. Bei diesen Erkrankungen kommt es zur übermäßigen Aufnahme von Nahrungsoxalat, welches später über die Nieren ausgeschieden werden muss. Aber auch das Fehlen von oxalatabbauenden Bakterien im Darm kann zur gesteigerten Oxalataufnahme und dann zur Hyperoxalurie führen.
Der Stoffwechseldefekt bei PH1 resultiert aus einem Mangel des leberspezifischen peroxisomalen Enzyms Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase (AGT), das die Oxalat-Vorstufe Glyoxylat zu Glycin umwandelt. Bei fehlender oder unzureichender AGT-Aktivität wird Glyoxylat zu Oxalat oxidiert, was zu erhöhten Oxalatspiegeln im Plasma führt.
In der Leber produziertes Oxalat wird größtenteils über die Nieren ausgeschieden und ist die toxische Substanz der Endorganschädigung bei PH1. Patienten mit PH1 leiden bereits häufig in der Kindheit an Nierensteinen, Nephrokalzinose oder Nierenerkrankungen im Endstadium. Dies führt zu Oxalatablagerungen in Geweben wie Knochen, Netzhaut, Herz und Haut. Der Zustand wird oft jahrelang nicht diagnostiziert. 43 Prozent der Patienten, bei denen PH1 diagnostiziert wurde, haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits eine Nierenerkrankung im Endstadium, und 14 Prozent der Patienten im Register waren gestorben, mit einem Durchschnittsalter zum Zeitpunkt des Todes von nur 15,5 Jahren.
Eine Studie von Zhao et al. hat gezeigt, dass die Oxalatspiegel im Urin bei PH1 eine primäre Determinante für das Fortschreiten einer Nierenerkrankung im Endstadium sind. Daher zielt die Behandlung von PH1 darauf ab, die Oxalatspiegel im Urin zu reduzieren.
Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten für PH1 waren bisher begrenzt. Hyperhydratation, hochdosiertes Pyridoxin (ein Coenzym für AGT) und Kalziumoxalat-Kristallisationshemmer wie Citrat können das Auftreten von Nierensteinen verringern und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen.
Eine Hyperhydratation ist jedoch belastend, was zu einer schlechten Adhärenz und der Notwendigkeit einer Gastrostomiesonde bei einigen Kindern führt. Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung, die wegen eingeschränkter Nierenfunktion oder Nierenversagen überschüssiges Oxalat nicht mehr ausscheiden können, erhalten oft eine intensive Hämodialyse an 6 Tagen pro Woche – manchmal mit zusätzlicher Peritonealdialyse.
Eine Lebertransplantation kann den Stoffwechseldefekt bei PH1 heilen und normalisiert nachweislich die Oxalatspiegel, verbessert die Krankheitsmanifestationen und verhindert – wenn sie präventiv durchgeführt wird – das Fortschreiten einer Nierenerkrankung im Endstadium. Eine Lebertransplantation ist jedoch mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität sowie mit einer lebenslangen immunsuppressiven Therapie verbunden.
Eine duale Leber-Nieren-Transplantation wird häufig durchgeführt, um sowohl den Stoffwechseldefekt in der Leber zu beheben als auch die verlorene Nierenfunktion wiederherzustellen.
Ganz neu wurde erstmal ein Medikament gegen die PH1 zugelassen: Lumasiran. Das Pharmakon ist ein subkutan verabreichtes, auf die Leber gerichtetes RNA-Interferenz (siRNA)-Therapeutikum.
Bei Patienten mit PH1 reduziert Lumasiran die hepatische Oxalatproduktion. Der Wirkstoff erhöht die Konzentrationen an Glykolat durch den Abbau der Boten-RNA, die Glykolatoxidase codiert, ein Enzym stromaufwärts von AGT. Es ist nicht zu erwarten, dass die Hemmung der Glykolatoxidase die hepatische Oxalatproduktion bei Patienten mit einer der beiden nicht-PH1-genetischen Ursachen der primären Hyperoxalurie reduziert.
Eine groß angelegte, internationale Studie macht Hoffnung: „Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf, die meisten Patientinnen und Patienten hatten nach sechs Monaten mit Lumasiran normale Oxalsäurewerte in Blut und Urin“, so die Studienautoren. Die Publikation entstammt der „ILLUMINATE-A-Studie“, einer internationalen, randomisierten, Placebo kontrollierten Doppelblindstudie. Die Studie wurde an 16 Zentren u.a. in den USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz ausgeführt.
Ziel der Studie war es, die Sicherheit und Wirksamkeit einer Lumasirantherapie festzustellen. Die Reduktion der nicht abgebauten Oxalsäure im Urin der untersuchten Patienten stand im Mittelpunkt. Die Studie Schloss 39 Patienten (Alter über 6 Jahre) ein. 13 Personen erhielten Placebo, 26 wurden mit Lumasiran behandelt. Nach 6 Monaten lagen die Werte für Oxalsäure im Urin der behandelten Gruppe im normalen oder fast-normalen Bereich.
Die Resultate der Studie können als zukunftsweisend bezeichnet werden, indem erstmals eine kausale, wirksame und gut verträgliche Therapie zur Verfügung steht.
Steckbrief Lumasiran
Name der Erkrankung
primäre Hyperoxalurie Typ 1
Weitere Namen
PH 1
Häufigkeit
1: 150.000
Gestörte Funktion/Symptome
Niereninsuffizienz
Entzündungen
Oxalatablagerungen in den Organen
Ablagerungen in der Netzhaut
Herzrhythmusstörungen
Herzinsuffizienz
Steinbildung in den Ableitenden Harnwegen
Anämie
Genlokalisation
Defekt des peroximalen Leberenzyms Glyoxylat-Aminotransferase
Orphan drugs
Lumasiran (Oxlumo®)
Wirkung
Wirkung auf RNA-Interferenz (RNAi)/ RNA-Silencing (Gen-Stilllegung)
Auch bei Kleinkindern erfolgreich
In der ILLUMINATE-B-Phase-III-Studie konnten die Ergebnisse zur Wirksamkeit und zum Sicherheitsprofil von Lumasiran in der Anwendung bei Kindern unter sechs Jahren bestätigt werden. Die Ergebnisse waren vergleichbar mit denen aus der ILLUMINATE-A-Studie.
Lumasiran hatte ein akzeptables Sicherheitsprofil bei Säuglingen und Kleinkindern unter sechs Jahren. Es gab keine Todesfälle, schwere unerwünschte Ereignisse, Behandlungsabbrüche oder Studienabbrüche. Die häufigsten arzneimittelbedingten unerwünschten Ereignisse waren leichte und vorübergehende Reaktionen an der Injektionsstelle (ISRs), die bei 3 von 18 Patienten berichtet wurden. Es wurden keine klinisch relevanten Veränderungen bei Laborwerten (einschließlich Leberfunktionstests), Vitalfunktionen oder Elektrokardiogrammen im Zusammenhang mit Lumasiran beobachtet. Derzeit läuft die ILLUMINATE-C-Studie.
Auch der G-BA sieht „Anhaltspunkte für einen nicht-quantifizierbaren Zusatznutzen für das Orphan Drug Lumasiran (Oxlumo®) zur Behandlung der Hyperoxalurie.“ Die Hoffnung, eine Leber- und Nierentransplantation zu vermeiden, dürfte mit Lumasiran erfüllt werden.
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Bildquelle: Hiroshi Tsubono, Unsplash