Sollten man seiner Gesundheit zuliebe weniger Fleisch essen oder sogar ganz zum Vegetarier werden? Das haben Forscher einmal mehr untersucht. Dieses Mal ging es um das Krebs- und kardiovaskuläre Risiko.
Dass mehr Gemüse auf dem Teller gesund ist, steht außer Frage – insbesondere was das kardiovaskuläre Risiko angeht. Doch wie sollte man es am besten zubereiten? Lieber in einem frischen Salat mit leckerem Dressing oder doch als pikantes Ratatouille? Forscher stellten sich genau diese Fragen und untersuchten Effekte des Verzehrs von rohem und gekochtem Gemüse auf das kardiovaskuläre Risiko.
Die Forscher analysierten dazu eine Kohorte der UK Biobank aus 399.586 Teilnehmern ohne kardiovaskuläre Erkrankungen. Der Konsum von rohem, sowie gekochtem Gemüse wurde mithilfe eines Ernährungsfragebogen zu Studienbeginn erfasst. Dabei versuchten die Forscher Zusammenhänge zwischen Gemüseverzehr und kardiovaskulärer Inzidenz und Mortalität abzuschätzen – angepasst an sozioökonomischen Status, Gesundheitszustand und Lifestyle. Der Nachbeobachtungszeitraum erstreckte sich über 12 Jahre.
Im Durchschnitt konsumierten die Teilnehmer insgesamt 5 Esslöffel Gemüse am Tag: etwa 2,3 Esslöffel rohes Gemüse und etwa 2,8 Esslöffel gekochtes Gemüse. Während des Follow-ups traten 18.052 schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse und 4.4096 kardiale Todesfälle auf. Dabei stach der Genuss von Rohgemüse laut Autoren heraus: „Es gab eine umgekehrte Assoziation zwischen der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankung un der Gesamt- und Rohgemüseaufnahme, aber nicht bei der Aufnahme von gekochtem Gemüse.“
Verglichen mit dem niedrigsten Niveau an Gesamtgemüsezufuhr war der höchste Konsum mit 10 % weniger Vorfällen kardiovaskulärer Erkrankungen verbunden (HR [95 % KI]: 0,9 [0,83–0,97]). Ein höherer Konsum von Rohgemüse wurde invers mit kardiovaskulären Vorfällen (HR [95 % KI]: 0,89 [0,83–0,95]) und Todesfällen (HR [95 % KI]: 0,85 [0,74–0,97]) assoziiert, wobei es bei der Aufnahme von gekochtem Gemüse und der niedrigsten bzw. höchsten Menge keinen solchen Zusammenhang gab (HR [95 % KI]: 1,0 [0,91–1,09] und 0,96 [0,8–1,13).
Einfacher ausgedrückt: Ob man mehr rohes Gemüse zu sich nimmt, macht einen Unterschied und wird mit niedrigeren kardiovaskulären Risiken assoziiert; ein höherer Konsum von gekochtem Gemüse hat hingegen keinen solchen Effekt erzielt. Jedoch wurde dieser Effekt erheblich abgeschwächt, als die Forscher mögliche sozioökonomische, ernährungsbedingte sowie gesundheits- und medikamentenbezogene Störfaktoren berücksichtigten. Die Kontrolle dieser Faktoren reduzierte die statistische Aussagekraft der Rohgemüseaufnahme zu kardiovaskulären Erkrankungen um etwa 80 %. Daraus schließen die Autoren, dass die scheinbar schützende Wirkung des Gemüsekonsums vor kardiovaskulären Risiken wahrscheinlich auf Verzerrungen von Störfaktoren zurückzuführen sind, die im Zusammenhang mit soziökonomischen und Lifestyle-Unterschieden stehen. Die Zusammenhänge zwischen einem verringerten Schlaganfallrisiko und dem Verzehr von Rohgemüse wurden ebenfalls nach statistischer Prüfung auf Störfaktoren deutlich schwächer.
„Diese Beobachtungsstudie stellt fest, dass nach der Korrektur potenzieller Störfaktoren der Zusammenhang zwischen Gemüsekonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich reduziert wird“, erklärt Dr. Dipender Gill, Dozent für klinische Pharmakologie und Therapeutik der St. George’s University of London. „Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die einem geringen Gemüsekonsum in Bevölkerungsgruppen mit hohem Einkommen zugeschrieben wird, neu bewertet werden muss.“ Dies solle aber Personen nicht davon abhalten, Gemüse zu konsumieren. Es gebe eine Fülle an anderen Beweisen, die die gesundheitlichen Vorteile einer ausgewogenen Ernährung, die reich an Gemüse ist, bestärken, erklärt Gill.
Ähnlich sieht das auch die Senior Ernährungsberaterin Victoria Taylor von der British Heart Foundation: „Um das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verringern, sind eine ganzheitliche Ernährungsweise – wie die traditionelle mediterrane Ernährung – sowie ein bewusster Lebensstil, zu dem das Nichtrauchen, körperliche Aktivität und ein kontrolliertes Gewicht gehören, wichtig.“
Für viele Menschen gehört jedoch nicht nur Gemüse auf den Teller, Fisch und Fleisch sind für die meisten unverzichtbar – dennoch werden vegetarische bzw. vegane Ernährungsformen immer beliebter. Forscher untersuchten nun, wie sich das Krebsrisiko bei regulärem und geringem Konsum von Fleisch, sowie bei einer pescetarischen oder einer vegetarischen Ernährung verhält.
Für die prospektive Studie analysierten sie 472.377 Teilnehmer der UK Biobank, die zum Zeitpunkt der Aufnahme an keiner Krebserkrankung litten. Darüber hinaus teilten sie basierend auf einen Fragebogen die Probanden in verschiede Kategorien: reguläre Fleischesser (245.571 bzw. 52,4 %), mäßige Fleischesser (205.385 bzw. 43,5 %), Fischesser (10.696 bzw. 2,3 %) und Vegetarier bzw. Veganer (8.685 bzw. 1,8 %). Ein geringer Fleischkonsum zeichnete sich dabei durch den Verzehr von fleischhaltigen Lebensmitteln von weniger als 5 Tagen die Woche aus.
Im Durchschnitt durchliefen die Probanden ein Follow-up von 11,4 Jahren, wobei in 54.961 Fällen Krebserkrankungen auftauchten – 5.882 Fälle von Darmkrebs, 7.537 Fälle von Brustkrebs nach der Menopause und 9.501 Fälle von Prostatakrebs. Insgesamt schnitt ein höherer Fleischkonsum dabei am schlechtesten ab: Denn verglichen mit denjenigen, die mehr als 5 Tage in der Woche Fleisch essen, verringerte sich das Gesamtkrebsrisiko bei Teilnehmern, die wenig Fleisch essen um 2 % (HR [95 % KI]: 0,98 [0,96–1,0]); bei Pescetariern um 10 % (HR [95 % KI]: 0,9 [0,84–0,96]) und bei Vegetariern bzw. Veganern sogar um 14 % (HR [95 % KI]: 0,86 [0,8–0,93]).
Ein geringer Konsum von Fleisch war im Vergleich zum regulären Verzehr auch mit einem 9 % geringerem Darmkrebsrisiko verbunden (HR [95 % KI]: 0,91 [0,86–0,96]). Eine vegetarische Ernährung zeigte sich als vorteilhaft bei Brustkrebs mit einem um 18 % verringerten Risiko (HR [95 % KI]: 0,82 [0,68–0,99]); jedoch konnte nach Anpassungen keine Signifikanz für ein geringeres Risiko festgestellt werden – die Forscher vermuten eher, dass diese Beobachtung mit einem niedrigeren BMI bei den vegetarischen Probandinnen zusammenhängt. Sie fanden auch heraus, dass das Prostatakrebsrisiko bei Männern, die Fisch, aber kein Fleisch aßen, um 20 % (HR: [95 % KI]: 0,8 [0,65–0,99]) und bei Männern, die sich vegetarisch ernährten, um 31 % niedriger war (HR: 0,69 [0,54–0,89]) als bei Männern, die mehr als fünfmal pro Woche Fleisch aßen.
Laut Autoren suggerieren die Ergebnisse, dass ein niedriger Fleischkonsum, Fischkonsum oder eine gar vegetarische Ernährung mit einem geringeren Risiko für alle Krebsarten einhergeht, die eine Folge von Ernährungsfaktoren sein können, aber auch von Unterschieden im Lifestyle wie etwa das Rauchen.
„Dies bestätigt viele frühere Studien, die zeigen, dass eine vegetarische Lebensweise insgesamt mit einem geringeren Risiko für chronische Erkrankungen verbunden ist“, sagt Prof. Gunter Kuhnle, Professor für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften der University of Reading, Großbritannien. Es sei aber auch schwierig, anhand solcher Ergebnisse den tatsächlichen Einfluss von Ernährungsfaktoren oder anderen Faktoren zu unterscheiden. Es gebe jedoch bereits starke Beweise dafür, dass es einen Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und Darmkrebs gebe, die allerdings im Rahmen dieser Studie eher schwach waren. „Das auffälligste Ergebnis war ein viel geringeres Risiko für Prostatakrebs bei Menschen, die sich vegetarisch ernähren, und es wird wichtig sein, die zugrunde liegenden Gründe besser zu verstehen“, fügt Kuhnle hinzu.
Eine wesentliche Limitierung der Ergebnisse ist jedoch die Erfassung der Ernährungsform: „Obwohl diese Studie eine große Anzahl von Menschen (fast 1/2 Million) untersuchte, um einen Zusammenhang zwischen fleischarmer und fleischloser Ernährung und einem geringeren Krebsrisiko zu finden, ist es wichtig, dass dieses Ergebnis auf einer sehr kurzen Umfrage der Essgewohnheiten basiert, die nur einmal zu Beginn der 11-jährigen Studie ausgefüllt wurde“, erklärt Dr. Duane Mellor, Diätspezialist und Senior Teaching Fellow der Aston University, USA. Darüber hinaus merkt er an, dass auch nicht die Gesamtmenge des verzehrten Fleisches erfasst wurde, sondern nur an wie vielen Tagen in der Woche die Probanden es konsumierten. „Dies bedeutet, dass die Studie nicht beurteilen konnte, ob die Teilnehmer mehr oder weniger als die gemäß den Richtlinien für gesunde Ernährung empfohlene Fleischmenge aßen“, erklärt Mellor. „Ein Problem bei dieser Studie […] besteht darin, dass sie nicht die gesamte Ernährung betrachtet – es kann genauso wichtig sein, zu sehen, was gegessen wird und was nicht!“ Dies sei auch bei vielen anderen ernährungswissenschaftlichen Studien ein Problem.
Trotz Limitierungen der Studien weist Taylor darauf hin, wie wichtig eine abwechslungsreiche Ernährung für die eigene Gesundheit ist: „Obst und Gemüse bleiben eine wichtige Quelle für Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe, die sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer gesunden, ausgewogenen Ernährung machen.“
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