Das Lambert-Eaton-Syndrom ist eine seltene Muskelerkrankung, die Myasthenia gravis stark ähnelt. Was die Erkrankung so besonders macht und wie sie behandelt wird, erfahrt ihr hier.
Teil 12 unserer Serie über seltene Krankheiten und ihre Behandlung. Hier geht's zu Teil 11.
Das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) ist deutlich seltener, als die von den Symptomen sehr ähnliche Myasthenia gravis (LEMS ca. 0,5:100.000, Myasthenia gravis ca. 10:100.000). Bei der Myasthenia gravis führen Autoimmunprozesse zu einem Verlust von ACh-Rezeptoren (AChR) an der neuromuskulären Endplatte. Dadurch kommt es zu einer Störung der Erregungsübertragung. Etwa 85% der Patienten mit einer generalisierten Myasthenia gravis haben Autoantikörper gegen den nikotinergen ACh-Rezeptor entwickelt.
Die gegen den AChR gerichteten Autoantikörper führen zu einer verminderten Anzahl verfügbarer AChR sowie einem erweiterten synaptischen Spalt. Das Komplementsystem spielt bei der AChR-Antikörper-positiven generalisierten Myasthenia gravis eine Schlüsselrolle, insbesondere bei der Zerstörung der motorischen Endplatte.
Das Komplementsystem ist ein Teil des angeborenen Immunsystems und bildet eine unspezifische Abwehr gegen Pathogene. Die Aufgaben des Komplementsystems umfassen die Markierung von Erregern, die Lyse von Immunkomplexen und die Auslösung von Entzündungsreaktionen.
Beim Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS) ist – wie bei der Myasthenia gravis – die Impulsübertragung zwischen Nerv und Muskel gestört. Die Folge ist eine Muskelschwäche. Das Lambert-Eaton-Syndrom ist im Gegensatz zu Myasthenie eine präsynaptische Störung, die u.a. durch Antikörper ausgelöst wird.
LEMS ist eine seltene Erkrankung der neuromuskulären Synapse mit charakteristischen pathophysiologischen, klinischen, elektrophysiologischen und Labormerkmalen. Mehr als die Hälfte der Fälle weist eine paraneoplastische Form (P-LEMS) auf, die mit einem bösartigen Tumor assoziiert ist, der normalerweise ein kleinzelliges Lungenkarzinom ist. Die restlichen Fälle gelten als Autoimmunerkrankungen (A-LEMS) und überschneiden sich häufig mit anderen Immunerkrankungen.
Der Name Lambert-Eaton-Syndrom geht auf Dr. Edward H. Lambert und Dr. Lee M. Eaton zurück, zwei amerikanische Neurologen der Mayo-Klinik. 1956 beschrieben sie sechs Patienten mit neuromuskulären Störungen, die Myasthenia gravis (MG) ähneln, obwohl einige unterschiedliche klinische und elektrophysiologische Merkmale vorhanden waren.
Bei drei dieser Patienten wurden bösartige Tumore entdeckt, und die Röntgenbildgebung bei zwei weiteren Patienten deutete auf das Vorliegen einer bösartigen intrathorakalen Erkrankung hin. Bald darauf veröffentlichten diese Neurologen einen neuen Artikel, in dem sie die elektrophysiologischen Merkmale der neu erkannten Störung der neuromuskulären Übertragung, die sie „myasthenisches Syndrom in Verbindung mit malignen Tumoren“ nannten, genau beschrieben.
Von diesem Zeitpunkt an und insbesondere vor der Entdeckung der Anti-VGCC-Antikörper (VGCC engl.: voltage gated calcium channel) dienten diese elektrophysiologischen Kriterien als Grundlage für die Diagnose dieses Syndroms und verhinderten eine mögliche Verwechslung mit MG. Der Nachweis der Calcium-Kanal-Autoantikörper ist entscheidend in der Diagnostik des Lambert-Eaton Syndroms.
Calciumionen spielen eine zentrale Rolle bei der Neurotransmission. Sie lösen die Exozytose von Vesikeln aus, die auf der zytoplasmatischen Seite der präsynaptischen Membran angedockt sind und freigesetzt werden können. Außerdem beeinflussen sie auch die kurzfristige synaptische Plastizität.
Der VGCC ist entscheidend für die Depolarisation der Zellmembran und den zellulären Calciumeinstrom als Reaktion auf das Aktionspotential. Es fungiert als sekundärer Botenstoff bei der elektrischen Signalisierung und initiiert mehrere zelluläre Mechanismen. Sie kommen in mehreren Zellen vor, wie glatten und skelettartigen Muskelfasern, endokrinen Zellen und Neuronen. Der Kanal befindet sich auch auf der präsynaptischen Membran des Axonterminals. VGCC öffnet sich durch das Aktionspotential und führt zum Eintritt von Calciumionen in die Axonenden. Der Calciumeinstrom führt zur Bewegung von Acetylcholinvesikeln in Richtung der präsynaptischen Membran und Acetylcholin wird in den synaptischen Spalt freigesetzt.
Mitte der 1960er und Anfang der 1970er Jahre führten mehrere Fallberichte von LEMS mit gleichzeitig bestehenden Autoimmunerkrankungen zu der Hypothese einer immunvermittelten Störung. Diese Hypothese wurde 1983 gefestigt, als die passive Übertragung von Immunglobulin G (IgG) von betroffenen Patienten auf Mäuse die elektrophysiologischen Merkmale der Krankheit reproduzierte. Kalziumkanäle der neuromuskulären Endplatte sind die Ziele der pathogenen Autoantikörper bei LEMS.
Häufige klinische Befunde sind allgemeine Müdigkeit, autonome Dysfunktion und Areflexie. Angesichts der Tatsache, dass LEMS selten, aber häufig eine paraneoplastische Erkrankung im Anfangsstadium von Krebs ist, sind Bewusstsein und ein hohes Maß an Misstrauen wesentliche Faktoren für eine frühzeitige Diagnose, die zu einer optimalen Behandlung dieser Patienten führen kann.
LEMS hat einen schleichenden Beginn und einen langsam progredienten klinischen Verlauf. In den frühen Stadien ist die Schwäche im Allgemeinen auf proximale Muskelgruppen beschränkt, breitet sich später distal auf die Hand- und Fußmuskulatur aus und breitet sich schließlich auf die okulobulbären Muskeln aus.
Die okulären oder bulbären Symptome sind weniger häufig und ausgeprägter als bei MG. Selten können diese Symptome während der Erstmanifestation der Krankheit auftreten, so eine Übersicht von Katyal et al.
Eine Kasuistik beschreibt eine 80-jährige Patientin mit einer zunehmenden Gangstörung. Es bestehen Polyarthralgien und ein Schmerzsyndrom der Rückenmuskulatur. Bei langjähriger Dermatomyositis mit derzeit unauffälliger Kreatinkinase (CK) klagt die Patientin über zunehmende Morgensteifigkeit, Gelenksschmerzen, starke permanente Rückenschmerzen, ungerichteten Schwindel und Kribbelparästhesien in Füßen und Händen sowie einer in letzter Zeit zunehmender Ermüdung bei bereits geringerer Wahrscheinlichkeit. Die Schwäche reagierte sehr gut auf eine Behandlung mit 3,4 Diaminopyridin (Amifampridin).
Der therapeutische Hauptfokus bei LEMS liegt auf der Verbesserung der neuromuskulären Übertragung. In den letzten Jahrzehnten wurden viele symptomatische Behandlungen erprobt, darunter Pyridostigmin, Guanidin, 4-Aminopyridin und Amifampridin (3,4 DAP) - wobei sich das letzte als das wirksamste Mittel erwies.
Es wurde erstmals in den 1970er Jahren in Schottland entdeckt und seine klinische Wirksamkeit bei neuromuskulären Erkrankungen, einschließlich des Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndroms (LEMS), wurde in den 1980er Jahren untersucht. Es wird derzeit als symptomatische Erstlinienbehandlung für LEMS bei erwachsenen Patienten eingesetzt und wird als orale Tablette in geteilten Dosen drei- oder viermal täglich verabreicht. Früher war in Deutschland kein Fertigarzneimittel mit Amifampridin zugelassen. Es wurde im Rahmen einer Individualrezeptur auf ärztliche Verordnung und nach den Angaben im Neuen Rezeptur-Formularium (NRF) in der Apotheke hergestellt.
Steckbrief Amifampridin
Name der Erkrankung
Lambert-Eaton-Syndrom
Weitere Namen
Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS)
Häufigkeit
0,5 : 100.000
Gestörte Funktion
Muskelschwäche
Ataxie
Sehstörungen
Gestörte Blasenentleerung
Mundtrockenheit
Hypohydrosis
Ursache
Gestörte Nerven-Muskel-Kommunikation
Orphan drugs
Amifampridin (3,4-Diaminopyridin, 3,4 DAP) (Firdapse ®)
Wirkung
Reversibler Kaliumkanalblocker
Amifampridin bindet als reversibler Kaliumkanalblocker an die VGCC, wodurch diese länger offen bleiben, indem sie präsynaptische Kaliumkanäle blockieren. Diese Kaliumkanäle verlängern die Depolarisation an den Nervenenden und erhöhen so den Kalziumeinstrom mit der anschließenden Freisetzung von ACh aus den motorischen Nervenenden, wodurch die LEMS-bedingte Muskelschwäche verbessert wird.
Daten aus randomisierten klinischen Studien und Fallserien haben gezeigt, dass die Symptome des Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndroms erfolgreich mit Amifampridinphosphat behandelt werden können. Daher ist das Medikament aufgrund seiner Wirksamkeit und Sicherheit ein wesentlicher Fortschritt in der symptomatischen Behandlung der Krankheit. Da Amifampridinphosphat wirkt, indem es die Freisetzung von Acetylcholin an der neuromuskulären Synapse verstärkt und es den K+-Efflux an der präsynaptischen Membran blockiert, ist es auch denkbar, es bei anderen Erkrankungen der neuromuskulären Synapse einzusetzen, bei denen eine solche Wirkung gesucht wird, so das Resümee einer Übersicht von Mantegazza et al.
Eine Studie von Sanders et al. lieferte signifikante Beweise für die Wirksamkeit von 3,4-DAP bei der Aufrechterhaltung der Kraft bei LEM. Die Nebenwirkungen sind gering, einschließlich perioraler Parästhesien und Parästhesien der Extremitäten, Übelkeit, Erbrechen und erhöhte Leberenzymwerte. Schwerwiegendere Nebenwirkungen wie Krampfanfälle haben aufgrund der geringen Penetration des ZNS durch die Medikamente ein geringes Risiko.
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Bildquelle: Nino Liverani, unsplash