Manchmal versuchen Patienten, mit unlauteren Mitteln an bestimmte Medikamente zu kommen. Bei der neuesten Masche setzt der Betrüger auf Verwirrung durch Paragraphen.
Es erreichte mich aus verschiedenen Schweizer Apotheken und mindestens einer Arzpraxis die Nachricht, dass jemand versucht, an Fentanyl zu kommen – in sehr hoher Dosierung und ohne gültiges Rezept – indem er per Mail Druck ausübt. Er zitiert Gesetzesartikel aus dem Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IV), dem Heilmittelgesetz (HMG), der Betäubungsmittelkontrollverordnung (BetmKV) und dem Strafgesetzbuch (STGB). Leider …. ach, ich zeige euch erst mal, was der Gute so schreibt:
„Vorab: Jahresumsatz mit Fentanylpflaster 50.000, wer nicht will, muss nicht.
Guten Tag,aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen ist mir eine Konsultation nicht möglich, benötige aber dringend Medikamente und Dauer-Rezepte für folgende Medikamente unter Hinweis auf Art. 26 und 26 bis IVG, Art. 26 HMG, Art. 41 und 51 Abs. 3 und 52 BetmKV und Art. 112, 113 und 128 STGB und die Möglichkeit, die bisherigen Medikamente bei der Zurrose [Anm. d. Red.: Online Apotheke „Zur Rose“] verlängern zu lassen oder selbst für drei Monate zu liefern.
Es ist mir nicht möglich, zu diskutieren. Wer mir nicht hilft, bringt mich in Lebensgefahr, darüber muss nicht diskutiert werden (abruptes Absetzen Fentanyl).
Die Krankengeschichte will ich auch nicht offen halten, wie das andere Reisende auch nicht tun müssen, um Medikamente zu bekommen (d. h., Sie können sie bei der Zurrose einsehen, ich möchte sie aber nicht per Mail herumschicken).Das Spital hat mich betrogen und ein falsches Btm-Rezept ausgestellt und es wollte es im Nachhinein nicht korrigieren und hat mich einfach sitzen gelassen.Besten Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüssen (Name)
Angehängt an die Mail war auch das Rezept als PDF.
Der Herr aus der Innerschweiz schreibt offenbar wahllos Apotheken und auch Ärzte in der Schweiz an. Er möchte die Medikamente gemäß des Rezeptes beziehen, respektive geliefert erhalten – eines davon (das Fentanyl) ist ein Betäubungsmittel in extrem überhöhter Dosierung. Mit der Zitierung verschiedener Gesetzesartikel versucht er, Druck auszuüben, damit er zu seinen Medikamenten kommt.
Leider zitiert er nur die Artikel, die ihm für sein Anliegen passen. Wir unterstehen aber noch ein paar mehr Vorgaben. In der Mail an die Apotheken droht er mit Konsequenzen aufgrund der Verweigerung von Nothilfe. Das entbehrt hier jeder Grundlage; er steht ja dafür nicht einmal in der Apotheke oder beim Arzt selber, sondern schreibt (von weiter her) Mails. Ein Arzt vor Ort oder im Spital muss Nothilfe leisten – eine Apotheke zum Beispiel ein Ventolin® abgeben, das lebensretend ist – auch ohne vorhandenes Rezept. Aber nirgends steht, dass ich verpflichtet bin, das zu verschicken.
Außerdem brauche ich als Apotheke eine Versandhandelsbewilligung, wenn ich Medikamente an Patienten versenden muss (die einzige Ausnahme ist das Nachsenden von Medikamenten an meine Stammpatienten). Offenbar hat er bisher seine Medikamente bei der „Zur Rose“-Versandapotheke bezogen … man fragt sich, weshalb das nicht mehr geht? Oder vielleicht frage ich mich besser nicht.
Ärzte müssen vor Ausstellen eines Rezeptes den Patienten gesehen und untersucht haben. Auf so eine Mail ein Rezept auszustellen (und gerade noch ein Dauerrezept) wäre fast schon ein Kunstfehler und illegal sowieso. Der Schreiber scheint aber auf eine gewisse Gier der Ärzte zu zählen (vor allem der selbstdispensierenden/derjenigen, die nachher via der „Zur Rose“ weiter liefern lassen) – oder wie soll ich die Anfangsbemerkung mit dem Jahresumsatz von Fentanyl verstehen?
Ah: Und das Rezept in der Mail des Patienten als PDF. Darüber habe ich schon ein paarmal geschrieben. Rezepte ohne elektronische Signatur des verschreibenden Arztes sind rechtlich gesehen nicht gültig. Ein PDF-Rezept ohne elektronische Signatur kann akzeptiert werden, falls das Rezept direkt von der Praxis an die Apotheke übermittel wird. Bei PDF-Rezepten, die vom Patienten an die Apotheke übermittelt werden, besteht immer das Risiko, dass sie dutzendfach eingelöst werden. Deshalb ist der Einzelfall zu betrachten. Falls es sich um einen Stammkunden handelt und sich die veschriebenen Medikamente soweit schlüssig in die bisherige Therapie einfügen, kann es ebenfalls akzeptiert werden. Ebenfalls denkbar ist, dass ein Kunde sein Rezept als PDF sendet mit der Bitte, seine Medikamente bereitzustellen und er dann bei der Abholung der Medikamente das Originalrezept vorlegt. Im Zweifelsfall ist mit dem verschreibenden Arzt Kontakt aufzunehmen.
Das angehängte Rezept hat tatsächlich Fentanyl drauf – aber selbst wenn das Rezept nicht in der Mail, sondern ausgedruckt vorhanden wäre: Fentanyl als Betäubungsmittel braucht ein eigenes, spezielles Rezeptformular (mit zweifachem Durchschlag). Und Assistenzärzte dürfen keine Betäubungsmittelrezepte ausstellen, das braucht die Unterschrift des Oberarztes.
Dann bezweifle ich sehr, dass ein Arzt so etwas einfach durchwinkt:
Klebt der sich echt 650 Microgramm Fentanyl auf? 8 (in Worten: acht!) Pflaster?
Also, falls ihr als Arzt oder Apotheke diese Mail bekommt oder davon hört: Ihr müsst gar nichts tun. Vor allem kein (Dauer-) Rezept dafür ausstellen, oder Medikamente verschicken. Der Patient hat ganz sicher diverse medizinische Probleme (nicht zuletzt die Schmerzen), das gehört zuallererst direkt angeschaut von einem Arzt – und wenn er selber nicht zum Arzt kommt, gibt es heute Institutionen, die einen holen kommen. Außerdem empfehle ich, eine Stammapotheke zu suchen, die einen kennt. Die kann einerseits überbrücken, Ausnahmen machen etc. und andererseits vielleicht auch schauen, dass das nicht so aus dem Ruder läuft, wie das hier passiert zu sein scheint.
Autsch. Ist euch so etwas auch schon einmal passiert?
Bildquelle: Mathyas Kurmann, Unsplash