Das genetische Ende der Menschheit ist nah. Das glauben zumindest ein paar Querköpfe, die Berichte über DNA-Umschriften von mRNA-Impfstoffen für das Tor zur Apokalypse halten.
Eine kleine, aber laute Minderheit hält mRNA-Impfstoffe wie jene gegen COVID-19 bekanntlich für Teufelszeug. Neben den nach allen bisherigen Daten sehr seltenen, aber unstrittig existierenden Impfstoff-Myokarditiden sind postulierte genetische Effekte der verimpften Nukleinsäuren das dabei am häufigsten genannte Argument.
Eine aktuelle schwedische In-vitro-Studie liefert den querdenkenden mRNA-Gegnern jetzt Munition: Die Wissenschaftler um Markus Aldén von der Universität Lund in Malmö haben eine menschliche Leberzelllinie genommen und sie im Labor unterschiedlichen Konzentrationen des mRNA-Impfstoffs BNT162b2 von Biontech ausgesetzt. Untersuchen wollten sie, ob die externe mRNA in menschlichen Zellen in DNA umgeschrieben werden kann.
Das galt bisher als eher abwegig, vor allem deswegen, weil der Mensch nicht über das Enzym Reverse Transkriptase (RT) verfügt, das die Umschrift von RNA in DNA erledigt. Die RT ist jenes Enzym, mit dem das HI-Virus (und andere Retroviren) seine RNA in Einzelstrang-DNA umschreibt. Diese wird dann von menschlichen Enzymen zu einem doppelsträngigen Molekül weiterverarbeitet.
So ganz stimmt das allerdings nicht mit der pauschalen Aussage, dass es eine reverse Transkription beim Menschen nicht gebe. Insbesondere gibt es im menschlichen Genom die so genannten long interspersed nuclear elements (LINE), auch Retroelemente genannt, die wahrscheinlich rund ein Fünftel des gesamten menschlichen Genoms ausmachen. Sie werden zumindest teilweise als evolutionäres Relikt alter Virusinfektionen angesehen. LINEs sind im Genom in der Regel inaktiviert, sie besitzen aber in gewissem Umfang die prinzipielle Fähigkeit, revers zu transkribieren.
Die Schweden setzen mit ihrer bisher nur als Preprint veröffentlichten, noch keinem Peer-Review ausgesetzten Arbeit jetzt auf die Beobachtung auf, dass sich der Biontech-Impfstoff in pharmakokinetischen Tiermodellen nicht nur im Muskel an der Injektionsstelle sondern, in deutlich geringerem Umfang, auch in der Leber und einigen anderen Organen anreichert. Dies führt in diesen Modellorganismen zu Leberschäden, ablesbar an einer Erhöhung der Leberenzyme. Die Lipid-Nanopartikel, in die der mRNA-Impfstoff von Biontech verpackt ist, lösen alleine keine derartigen Reaktionen aus. Es könnte also ein RNA-Effekt sein.
Genutzt haben die Schweden für ihre Untersuchung eine menschliche Leberzellkrebslinie, Huh7 genannt. Diese wurde mit mRNA-Impfstoff in den Konzentrationen 0,5 µg/ml, 1 µg/ml und 2 µg/ml inkubiert, und zwar für 6 bis 48 Stunden. Letzteres ist das Zeitfenster, in dem in den pharmakokinetischen Studien das Maximum der Anreicherung des Impfstoffs in der Leber beobachtet wurde.
Die Schweden konnten jetzt zum einen zeigen, dass der Impfstoff von den Huh7-Leberzellen aufgenommen wird. Das war nicht weiter überraschend und quasi nur das Startexperiment. Im zweiten Schritt haben sich die Wissenschaftler angesehen, ob der jetzt intrazelluläre Impfstoff die Genexpression bestimmter LINE-Gene beeinflusst, konkret LINE-1. Dabei zeigte sich, dass zumindest bei hoher Konzentration des Impfstoffs die LINE-1-Expression signifikant anstieg. Bei den beiden niedrigeren Konzentrationen fiel sie dagegen eher ab.
Bei der Untersuchung auf Proteinebene sah das im nächsten Schritt insofern etwas anders aus, als LINE-1 bei allen drei Impfstoffkonzentrationen verstärkt nachweisbar war, und zwar nicht nur im Zytoplasma, sondern auch im Zellkern. Im letzten und entscheidenden Experiment konnten die Schweden dann zeigen, dass die BNT162b2-mRNA bei erhöhtem LINE-1 in der Zelle in gewissem Umfang revers transkribiert wird, dass also DNA-Abschriften der Impfstoff-mRNA entstehen. Dies galt für alle drei Messzeitpunkte – 6, 24 und 48 Stunden nach Injektion – und bereits bei der niedrigsten gewählten Konzentration von 0,5 µg/ml.
Dass diese Ergebnisse von mRNA-Impfstoffgegnern begierig aufgegriffen werden, wundert erstmal nicht. „Irgendwas mit Genen“ reicht manchem schon, um den Blutdruck steigen zu lassen. Wie immer in der Medizin gilt es allerdings zu klären, wie relevant dieser mit aufwändiger Analytik in einem In-vitro-Modell mühsam nachgewiesene, molekulare Prozess im menschlichen Organismus tatsächlich ist und ob er, wenn er denn in relevantem Umfang stattfinden sollte, irgendwelche ernsthaften Konsequenzen hat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang zum einen die Frage, wie nah am Menschen das In-vitro-Modell ist. Zwar handelt es sich um eine humane Zelllinie und nicht um ein Mäuse- oder Rattenmodell. Allerdings ist Huh7 jetzt auch keine „normale“ Leberzelllinien, sondern eine hoch proliferative Krebszelllinie. Das macht eine Verallgemeinerung zumindest schwierig, zumal auch keine Bestätigungsexperimente mit anderen Zelllinien durchgeführt wurden.
Eine zweite Frage ist, wie realistisch die mRNA-Impfstoff-Konzentrationen sind, mit denen gearbeitet wurde. Intramuskulär injiziert wird der Impfstoff in einer Dosis von 100 µg/ml. Das sind die 30 µg Impfstoffdosis auf 0,3 ml Injektionsflüssigkeit, mit denen die BioNTech Spritze arbeitet. Die von den Schweden gewählte, 50- bis 200-fache Verdünnung „auf dem Weg zur Leber“ geht auf frühere Analysen zur Leberkonzentration bei anderen mRNA-Impfstoffe zurück, außerdem auf pharmakokinetische Studie zu BNT162b2, die zeigen, dass bis zu 18 % der Dosis in der Leber ankommen.
Das große Querdenker-Thema im Zusammenhang mit der schwedischen Studie ist die zumindest in der Twitter-Welt breit behauptete Integration der revers transkribierten DNA in das Leberzellgenom. Hier kann man klar sagen: Diese Integration wurde in der Arbeit nicht nachgewiesen. Ist sie deswegen undenkbar? Nein, aber sie sollte auch nicht einfach postuliert werden.
Tatsächlich geht die schwedische Arbeit unmittelbar auf eine andere Forschungsarbeit zurück, die aus der Gruppe des bekannten Molekularbiologen Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research kommt und die kürzlich in der Zeitschrift PNAS veröffentlich wurde. In dieser Arbeit, die zuvor ebenfalls zunächst als Preprint vorlag, konnten Jaenisch und Kollegen zeigen, dass SARS-CoV-2-Virus-RNA (also nicht Impfstoff-mRNA) in das Genom kultivierter menschlicher Zellen integrieren kann. Es war diese Studie, die die Schweden auf die reverse Transkription über den oben erwähnten LINE-1 Mechanismus überhaupt erst aufmerksam machte und die die Überlegung triggerte, ob dies nicht auch bei den mRNA-Impfstoffen passieren könnte.
Mit anderen Worten: Auch die COVID-19-Infektion kann zumindest in Zellkultur dazu führen, dass die SARS-CoV-2-Virus-RNA revers transkribiert wird, und hier ist dann auch die Integration ins Genom zumindest im Laborversuch gezeigt worden. Das alleine relativiert die potenzielle Bedeutung einer bisher nur denkbaren DNA-Integration revers transkribierter Impfstoff-mRNA in einer Pandemie, in der ohnehin nahezu jeder Organismus mit dem neuen Virus konfrontiert wird, ganz gewaltig. Jaenisch und Kollegen interessiert in ihrer Arbeit dann auch weniger die Frage nach gravierenden genetischen Folgen der Integration. Ihnen geht es vor allem um die Frage, ob die Integration eine mögliche Erklärung sein könnte, warum manche Covid-Patienten längerfristig positive PCR-Nachweise haben, auch wenn sich längst kein lebendes SARS-CoV-2-Virus mehr nachweisen lässt.
Insgesamt liefert die schwedische Studie also bisher nicht anderweitig bestätigte Hinweise auf eine reverse Transkription von Impfstoff-mRNA in einem Leberzellkrebsmodell bei wahrscheinlich eher (zu) hohen Impfstoffkonzentrationen. Die klinische Relevanz dieser Entdeckung wäre auch dann noch hoch fraglich, wenn es gelänge, die bisher nicht nachgewiesene Integration der umgeschriebenen DNA ins Host-Genom tatsächlich nachzuweisen. Mehr Forschung ist nötig, Panik ist unnötig.
Bildquelle: Sangharsh Lohakare, Unsplash