Angesichts der humanitären Katastrophe fragen sich auch Ärzte in Deutschland, wie man helfen kann. Wie ist die Lage und welche Unterstützung wird gebraucht? Ein Überblick.
Der Krieg in der Ukraine ist nach wie vor das Thema der Stunde. Ärztevereinigungen und Hilfsorganisationen reagierten schnell: Das deutsche Medikamentenhilfswerk Medeor etwa lieferte am Dienstag (01.03.) bereits elf Tonnen Material nach Ternopil in der Westukraine; auch das Deutsche Rote Kreuz bereitete einen ersten Hilfstransport vor. Eine Lieferung der Organisation Apotheker ohne Grenzen soll bereits am Sonntag die Grenze zwischen Polen und der Ukraine erreicht haben. Auch die erste große Hilfslieferung der WHO erreichte heute (03.03.) Polen.
Die medizinischen Hilfsgüter werden dringend benötigt, denn es fehlt an allen Enden. Ein großer Bedarf ist notfallmedizinisches Equipment. Doch es geht nicht nur um Schwerverletzte durch Kampfhandlungen. Ein weiteres Problem liegt in der fortwährenden medizinischen Behandlung von chronisch Kranken, die durch die Flucht in Gefahr gerät. Dr. Falk Stirkat erklärt in einem Podcast: „Das sind ganz normale Menschen, die zum Beispiel ihre Diabetes-Medikamente nicht mehr nehmen können, ihre Blutdruckmedikamente…“ Er organisiert zurzeit in Zusammenarbeit mit einigen bayrischen Krankenhäusern eine große Hilfslieferung, die sich am Freitag aus Erlangen auf den Weg ins ukrainische Limberg macht.
Auch die WHO bestätigt in einer Pressekonferenz (02.03.) den Bedarf an normaler Medikation. Welche Medikamente besonders gebraucht werden, variiere von Krankenhaus zu Krankenhaus; die Situation sei im Westen und im Osten unterschiedlich. Senior Emergency Officer Dr. Adelheid Marschang informiert: „Es gibt Anzeichen dafür, dass uns ein Mangel an Krebsmedikamenten und Insulin bevorstehen könnte.”
Nadija Pilipchuk, Leiterin für wohltätige Arbeit der Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland, berichtet DocCheck News aus Gesprächen mit Kontaktpersonen im Land: „Die Lage in Kiew ist katastrophal“. Im Osten und Süden der Ukraine seien viele Krankenhäuser zerstört worden. Dementsprechend werde zurzeit ein großer Teil der Hilfsgüter, die an ihren Verein gespendet werden, in die Städte Kiew und Charkiw geschickt, die zurzeit unter heftigem Beschuss stehen. Von Seiten der ukrainischen Botschaft habe der Verein eine Medikamentenliste erhalten. Sie sei lang und umfasse Schmerzmittel, Antibiotika und Verbandszeug, aber auch Desinfektionsmittel, Infusionslösungen und Materialien wie Spritzen und Handschuhe.
Yaroslava Verholen, Stellvertretende Vorsitzende des Vereins, erzählt von der großen Hilfsbereitschaft der Ärzte in Deutschland. Krankenhäuser, Apotheken und auch einzelne Ärzte wendeten sich an sie, ebenso wie Privatpersonen, die übrig gebliebene Medikamente spenden möchten. Auch Therapeuten seien schon an sie herangetreten, um psychotherapeutische Beratung für die Flüchtigen anzubieten.
Seit Beginn der Kampfhandlungen am 24.02. schicke der Verein laut Pilipchuk jeden Tag Transporter zur ukrainisch-polnischen Grenze. Sie betont ebenfalls, dass nicht nur die Krisengebiete Hilfe benötigten. Pilipchuk berichtet auch von Krankenhäusern in der Westukraine, die bei der Versorgung von Dialysepatienten nicht mehr hinterherkämen, da die Kapazitäten überfrachtet seien.
Die WHO zeigt sich derweil schwer erschüttert und besorgt über Berichte von gezielten Angriffen auf das ukrainische Gesundheitssystem. „Wir haben mehrere unbestätigte Berichte über Angriffe auf Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen erhalten und einen bestätigten Vorfall in der vergangenen Woche, bei dem ein Krankenhaus mit schweren Waffen angegriffen wurde, wobei vier Menschen getötet und zehn verletzt wurden, darunter sechs Mitarbeiter des Gesundheitswesens“, sagt General Direktor Tedros. „Die Unantastbarkeit und Neutralität des Gesundheitswesens […] müssen geachtet und geschützt werden. Angriffe auf die Gesundheitsversorgung sind ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.”
Bereits am Montag (28.02.) warnte die WHO vor gefährlichen Versorgungsengpässen mit medizinischem Sauerstoff. Lieferungen von Produktionsanlagen an die Krankenhäuser seien zurzeit nicht mehr möglich; 3 große Fabriken haben bereits den Betrieb eingestellt. Die Mehrzahl der ukrainischen Krankenhäuser sei in Gefahr, ihre Vorräte innerhalb kürzester Zeit aufzubrauchen. Nicht nur ist der Nachschub nicht gewährleistet, auch der Sauerstoffbedarf ist deutlich erhöht. Die WHO geht von einer Steigerung um 20 – 25 % im Vergleich zu den Wochen vor Eskalation des Konflikts aus.
WHO und UN weisen auch darauf hin, dass die Gefährdung durch Corona weiterhin bestehen bleibt und in den großen Menschenansammlungen in Flüchtlingsunterkünften, Hilfszelten und Warteschlangen an den Grenzen noch verschärft wird, insbesondere da die Testinfrastruktur stark eingeschränkt ist. Die UN weist darauf hin, dass die Fallzahlen in der Ukraine zuletzt aufgrund der Omikron-Variante stark angestiegen waren (555 %).
Eines der Hauptprobleme ist das Fehlen gesicherter Versorgungskorridore. Dies betonte die WHO in ihrer Pressekonferenz, mit einem Hinweis darauf, dass man sich mit russischen und ukrainischen Autoritäten in Kontakt setze, um dies zu ermöglichen. Auch die Hilfsorganisation Caritas International wies darauf hin. Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich: „Wir brauchen humanitäre Korridore, damit die humanitäre Hilfe die Menschen auch erreichen kann.“
Auch Fluchtkorridore fehlen. Im Guardian berichtet ein Wohltätigkeitsarbeiter eindrücklich aus der Lage in einem Krankenhaus in Tschernihiw. „Vor zwei Tagen schlug eine Granate 200 Meter von unserem Krankenhaus entfernt ein.” Eine Evakuierung sei nicht möglich, da alle Zufahrtsstraßen vermint seien; wenn sei nur eine Evakuierung per Helikopter möglich. Wie lange sie noch ausharren und die Versorgung fortführen können, wisse er nicht. Viele Medikamente seien bereits Mangelware, insbesondere Schmerzmittel: „Wenn Menschen an Krebs erkranken, brauchen sie viele Schmerzmittel, und wir haben ein Problem mit Morphium und anderen Medikamenten. Das onkologische Krankenhaus […] hat nur acht Ampullen Morphium oder andere Schmerzmittel.”
Ärzte ohne Grenzen berichtet, dass laufende Aktionen in der Ukraine, beispielsweise zur HIV- oder Tuberkulose-Versorgung, vorerst eingestellt werden mussten. Der Verein ist allerdings weiterhin vor Ort aktiv und arbeitet Nothilfemaßnahmen aus: „In Mariupol haben wir bereits Material zur Versorgung von Kriegsverletzten geliefert. Außerdem wurde von uns für 30 Chirurgen aus der Ostukraine ein Telemedizin-Training zur Versorgung von Verletzten organisiert. Gleichzeitig senden wir Teams nach Polen, Moldawien, Ungarn, Rumänien und in die Slowakei, um dort die Lage zu evaluieren. Weitere Teams halten sich in Russland und Belarus bereit, um bei Bedarf Hilfe zu leisten“, schreibt der Verein.
International und auch in Deutschland ist die Hilfsbereitschaft groß, viele Hilfstransporter kleinerer und größerer Organisationen sind auf dem Weg. Es bestehen zahlreiche Möglichkeiten, durch Geld- oder Sachspenden zu helfen. Neben bekannten Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Apotheker ohne Grenzen und dem Deutschen Roten Kreuz, organisieren auch lokale Vereine Hilfslieferungen und nehmen Spenden entgegen. Beispielsweise bitten die Stadt Erfurt und der dort ansässige Verband Ukrainischer Landsleute um Sachspenden; in Erlangen werden ebenfalls Mittel für einen großen Transport gesammelt. Ähnliche Aktionen lassen sich überall in Deutschland finden.
Auch Medizinstudenten engagieren sich: Das Team, das normalerweise die beliebten Medimeisterschaften organisiert, arbeitet mit der Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland zusammen und sammelt ebenfalls Spenden.
Und auch DocCheck hilft mit: Über den Zentralverband der Ukrainer in Deutschland liefern wir Handschuhe und Verbandsstoffe in die Ukraine.
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