ONKO-KLARTEXT | Welche Rolle spielt die Ernährung beim Kolonkarzinom? Und wieso sollte man bei einer Eisenmangelanämie nicht einfach nur substituieren? Ärzte stellen Fragen, hier gibt's die Antworten.
Der zweite Teil der Onkologie-Sprechstunde von DocCheck Experts drehte sich rund um das Thema gastrointestinale Tumoren. Unsere Sprechstunde mit dem Experten fand auch diesmal wieder als Live-Stream via Zoom statt. Moderiert wurde das Ganze von unserem Medical Content Manager Mats Klas, der eure Fragen ganz einfach an unseren Experten Dr. Malte Hülsemann gestellt hat. Fragen und Antworten könnt ihr hier bequem nachlesen oder lehnt euch zurück und schaut das Video.
B-Symptome bleiben die gleichen. Im Darmbereich ist unglaublich viel Platz – wenn da was wächst, merkt man das häufig gar nicht. Erste Warnsymptome: Patienten haben keinen Hunger und nehmen Gewicht ab, was sich auch in einem Leistungsknick äußert. Im Magen oder im Ösophagus kommt es zu Dysphagien, Blut im Stuhlgang oder Teerstuhl. Eisenmangelanämie bei 50- oder 60-Jährigen ist ebenfalls ein klares Warnzeichen und sollte nicht einfach nur mit Eisentabletten oder einer Ernährungsumstellung substituiert werden – in dem Fall eine Darmspiegelung machen. Ansonsten sind Stuhlunregelmäßigkeiten, paradoxe Diarrhö und Bleistiftstühle Warnsymptome – sofern sie über längere Zeit bestehen. Jeder kann mal Durchfall haben für eine oder zwei Wochen, doch Patienten mit solchen Tumoren haben über 4 Monate Durchfall und Verstopfungen. Dazu: Kolonkarzinom ist das einzige Karzinom, bei dem es eine recht gute Früherkennung gibt.
Es gibt die Adenom-Karzinom-Sequenz: Man geht davon aus, dass sich im Darmkrebs ein Adenom bildet, das aber noch nicht bösartig verändert ist. Aus diesem Adenom kann dann ein Karzinom entstehen – man nimmt an, dass es 5 bis 10 Jahre dauert. Daher ist die Empfehlung: Darmspiegelung ab 50 Jahren und wenn alles okay ist, dann nach 10 Jahren nochmal. Wenn hingegen Polypen gefunden werden, dann sind Adenome schon da und so verkürzt sich auch der Untersuchungsabstand. Wenn ein Adenom da ist, wird das abgetragen, mikroskopisch untersucht und histologisch aufgearbeitet. Aus meiner Sicht: Die Intervalle sind gerechtfertigt und wenn es keine weiteren Alarmsymptome gibt, muss man sich da keine Sorgen machen.
Das ist eine schwierige Frage – neuroendokrine Tumoren können verschiedene Formen und Farben haben. Sie entstehen aus neuroendokrinen Zellen, die in der Schleimhaut sitzen. Und die gibt es an verschiedenen Lokalisationen: Im Magen, Dünndarm oder in der Bauchspeicheldrüse. Häufig sind neuroendokrine Tumore Zufallsbefunde. Beispielsweise werden neuroendokrine Tumoren des Blinddarms immer häufiger. Der Patient kommt mit Beschwerden wie einer Blinddarmentzündung, wird operiert, dann routinemäßig aufgearbeitet und plötzlich stellt man einen neuroendokrinen Tumor fest. Das kann fast überall so sein.
FOLFOX4 ist eine Chemotherapie aus Fluoruracil (5-FU) und Oxaliplatin – Calciumfolinat fungiert als Wirkverstärker, damit 5-FU, das als Antimetabolit gegeben wird, besonders intensiv in die DNA eingebaut wird, auch in die DNA des Tumors. Das Uracil ist quasi ein DNA-Baustein.
Vor einigen Jahren gab es einen Aufschrei, dass rotes Fleisch, geräuchertes Fleisch oder ähnliches krebserregend sei. Dürfen wir nicht mehr grillen? Aus meiner Sicht gibt es keine richtigen Belege dafür. Problem: Krebsentstehung ist multifaktoriell. Es gibt häufig mehrere Veränderungen – wie bereits erwähnt, die Adenom-Karzinom-Sequenzen –, die dann dazu führen, dass Krebs entsteht. Das auf einen einzelnen Faktor zurückzuführen ist ganz schwierig. Insbesondere der Darm ist unglaublich vielen Einflüssen ausgesetzt. Alles was wir zu uns nehmen, kommt da vorbei. Die Darmflora ist auch ein Thema, das immer intensiver diskutiert wird und in vielen verschiedenen Dingen eine Rolle spielt – auch bei der Krebsentstehung. Das ist ein so komplexes Thema, das wir eigentlich nicht verstanden haben. Ernährung spielt da auch irgendwo eine Rolle. Man glaubt, dass die verbreitete industrielle Ernährung – viel Zucker etc. – eher schädlich ist; doch valide Untersuchungen, die etwas beweisen würden, gibt es aus meiner Sicht nicht.
Leider noch nicht. Für die frühen und lokal fortgeschrittenen Stadien hat sich eigentlich nichts geändert. Das heißt: Primär die Operation und dann gegebenenfalls eine Chemotherapie hinterher. Für die fortgeschrittenen Stadien hat sich ein bisschen was geändert, auch da hat die Immuntherapie Einzug gehalten. Es gibt aber auch bestimmte Sonderfälle – ist leider noch immer die Minderheit der Patienten –, die eine sogenannte Mikrosatelliteninstabilität haben, d.h. eine gestörte DNA-Reparatur. Diese Betroffenen können eine reine Immuntherapie bekommen, sie brauchen keine Chemotherapie im palliativen Setting. Was eine weitere Rolle im Darmtumor spielt, sind RAS-, BRAF-, RAF- bzw. KRAS- und NRAS-Mutationen. Wenn man in einem palliativen Setting eine Chemotherapie machen möchte, kombiniert man das immer mit einem Hemmer von einer Angiogenese. Das war bisher immer das Anti-VEGF-Medikament Bevacizumab. Dazu gibt es bereits einige Studien, auch zu anderen Medikamenten wie EGFR-Inhibitoren von EGFR-Mutationen. Wenn wir wissen, dass jemand eine RAS- oder RAF-Mutation hat, sollte man lieber das altbekannte Bevacizumab nehmen. Wenn jemand die nicht hat, sollte man lieber eines der neueren Medikamente nehmen. Bei der BRAF-Mutation bzw. speziell die BRAF-V600E-Mutation wird laut AWMF S3-Leitlinie eine Bestimmung bereits bei Erst-Diagnose der metastasierten Erkrankung empfohlen. Liegt diese vor, kann aufgrund der schlechten Prognose sogar frühzeitig eine intensivierte Chemotherapie – beispielsweise mit FOLFOXIRI und Bevacizumab – eingeleitet werden. Das ist die einzige Ratifizierung, die aktuell routinemäßig stattfinden.
Wir sind leider noch nicht so weit, dass wir ganz gezielt nach bestimmten Mutationen suchen können. Das wird sich sicherlich noch ändern – es gibt auch diesen Begriff „Mutation-driven Therapy“. Wir konzentrieren uns auf Tumorentitäten: Welche Veränderungen weist der Tumor auf und wie kann ich gezielt behandeln? Das ist aber auch nicht so leicht, denn: Beispielweise weist der Lungenkrebs eine Mutation auf, die nur in 10 % der Tumorzellen vorliegt und nicht homogen ist. Dann kann ich zwar die gezielte Therapie machen; sie behandelt dann allerdings lediglich 10 % und nicht die anderen Zellen. Die Diagnostik wird sicherlich noch besser werden, um mehr Tumorentitäten zu bestimmen. Doch aktuell spielt das beim Kolonkarzinom oder bei anderen gastrointestinalen Tumoren keine große Rolle. Beim Magenkarzinom schon eher, da wird standardmäßig HER2 getestet – kennt man auch vom Brustkrebs. Da wendet man auch die gleichen Medikamente wie beim Brustkrebs an, sowie die Settings der kurativen Behandlung. Aber wir sind auch da noch lange nicht dort, wo wir beispielsweise beim Bronchialkarzinom sind.
Wie erwähnt: FOLFOX aus 5-FU und Oxaliplatin, das ist eine Standardkombination. Bei jüngeren Patienten im fortgeschrittenen Stadium gibt es manchmal eine dreier Kombination, die ist dann voll von FOLFOXIRI – Irinotecan zusätzlich zu den gleichen beiden Medikamenten. Manchmal hat Oxaliplatin unangenehme Nebenwirkungen wie Polyneuropathie, dann ersetzt man es durch Irinotecan (FOLFIRI). Man kann das 5-FU auch durch eine Tablette Capecitabine ersetzen und hat dann die gleiche Kombination. Das sind die Standards beim Darmkrebs. Beim Magenkarzinom kann man die Behandlung noch um Docetaxel ergänzen, auch bekannt als FLOT.
Wir haben in den letzten Jahrzehnten nicht viele Fortschritte gemacht, obwohl es wild untersucht wurde – auch mit der Frage nach Mutationen, die man behandeln kann. Es gibt Mutationen, doch die sind sehr heterogen. Dann haben 10 % der Tumorzellen eine Mutation, 5 % eine andere – das ist nichts, was sich gut angehen lässt. Das heißt dann: FOLFIRINOX. Bei einem frühen Stadium wird immer operiert. Das sind große Operationen, da wendet man sich an ein Zentrum, denn die muss jemand mit viel Erfahrung machen. Beim Pankreaskarzinom wird häufig beobachtet, dass es zu Beginn nicht operabel ist, aber nah dran – nennt sich im englischen Borderline operabel. Da macht eine neoadjuvante Chemotherapie vor der Operation Sinn mit z.B. FOLFIRINOX. Das ist die wirksamste Therapiemöglichkeit. Nach 2 oder 3 Monaten macht man dann ein CT und schaut, ist das Karzinom kleiner geworden. Dann schaut der Operateur nochmals, ob eine Operation möglich ist – wenn es irgendwie zu schaffen ist, ist die Operation die beste Möglichkeit. Trotzdem: Patienten werden operiert, sind eigentlich R0-rezesiert und kriegen sechs Monate danach eine Chemotherapie. Man hat eigentlich alle Hoffnung und dennoch bekommen viele Patienten noch ein Rezidiv. Es ist eine extrem unangenehme Erkrankung und das Sorgenkind der Onkologie.
Auf jeden Fall. Patienten mit Pankreaskarzinom werden auch gerne in solchen molekularen Tumorboards vorgestellt. Wenn ich beispielsweise einen recht jungen Patienten habe, der eine intensive Chemotherapie bekommen hat, der Tumor zwar erst kleiner wird, aber dann wieder zurück kommt. Dann nimmt man eine Biopsie, macht ein Next-Generation-Sequencing, um zu gucken, wie man was behandeln kann und dann werden diese Fälle in den molekularen Tumorboards besprochen. Darüber versucht man, zu einer Targeted Therapy zu kommen. Häufig ist das Ansprechen nur kurzfristig. Diese Targeted Therapy hat aber den Vorteil – wenn sie gut wirkt –, dass die Patienten ein oder zwei Jahre behandelt werden, ohne mit einer Erkrankung nach 6 Monaten daran zu versterben – vor fünf Jahren war das noch anders. Doch leider ist sie beim Pankreaskarzinom nicht etabliert und nicht wirksam.
Es gibt Schwerionen-Bestrahlung, die an großen Zentren bzw. Unikliniken durchgeführt wird. Es gibt Indikationen dafür, gerade bei Hirntumoren oder bei Sarkomen. Somit spielt sie zwar eine Rolle, ist aber fast immer eine Einzelfallentscheidung und Abwägung für Pankreaskarzinom. In Deutschland wird sie fast gar nicht gemacht; es gibt einzelne Fälle. Das Problem: Strahlung funktioniert so ähnlich wie eine Operation. Das heißt, wenn ich die Sonne mit einer Lupe einfange, habe ich einen Punkt, den ich dann verbrennen kann. Wenn ich also einen sehr lokalisierten Befund habe, dann kann ich den gut bestrahlen. Doch das Pankreaskarzinom hat den Nachteil, dass es häufig diffus ist. Da ist die Bestrahlung schwer – da müsste man einen Strahlentherapeuten fragen. Aber in unserer Praxis spielt sie nicht so eine Rolle.
Es gibt die Weisse Liste, die Kliniken listet, in denen man bestimmte Operationen machen kann. Doch bei häufigen Tumorarten sind viele Verfahren auch standardisiert. Wenn der Fall hingegen sehr komplex ist, wird der entsprechende Onkologe jemanden suchen, der sich eventuell besser auskennt.
Das ist eine sehr hochdosierte Bestrahlung mit Gammastrahlen aus 201 kleinen Kobaltstrahlern. Der Vorteil: Es wird nur eine einzelne Sitzung benötigt. Sonst erfolgt Bestrahlung häufig fraktioniert über 6 Wochen – jeden Tag. Sie wird i.d.R. bei Hirnmetastasen oder Hirntumoren angewendet. Bei gastrointestinalen Tumoren spielt sie eigentlich keine Rolle. Es gibt auch nur wenige Zentren, die diese Bestrahlungstherapie ermöglichen. Denn die Geräte sind teuer und aufwendig zu betreiben – es braucht insbesondere Physiker.
Es gibt Radio-Peptid-Therapien, die funktionieren sehr gut beim Prostatakarzinom oder bei neuroendokrinen Tumoren. Sie ist auch eine Therapie mit wenig Nebenwirkung. Sie ist aber nicht für jede Erkrankung etabliert. Deswegen machen das auch Nuklearmediziner.