Das BMG-Papier zum Thema Triage sorgt für Diskussionen. Eigentlich soll es Menschen mit Behinderung vor Benachteiligung schützen, Kritiker sprechen aber von einem „Desaster“. Denn das Ministerium hält an einem umstrittenen Punkt fest.
Mit der vierten Corona-Welle in den letzten Wintermonaten stießen die Intensivstationen bundesweit an ihre Belastungsgrenzen. Patienten, aber auch (einige) Intensivmediziner forderten daher mit mächtig Druck klare gesetzliche Regelungen zu einer möglichen Triage in den Kliniken. Dann kam es zu einem Bundesverfassungsgerichtsurteil, das eine gesetzliche Regelung zwingend machte.
Jetzt berichtet die Ärzte Zeitung von einem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Triage-Gesetz. Demnach sollen Menschen mit Behinderungen und Hochbetagte im Fall einer pandemiebedingten Triage künftig besonders geschützt werden.
Ganz so konkret, wie es in dem Artikel klingt, ist es allerdings noch nicht: Das Dokument ist bisher nicht öffentlich vorgelegt. Es handelt sich aktuell noch um einen inoffiziellen Entwurf – um eine „Formulierungshilfe für die Fraktionen der SPD, Bündnis90/Die Grünen und der FDP“ aus dem Bundesgesundheitsministerium. Der Entwurf ist demnach Ampel-intern noch nicht abgestimmt und er sorgt in jedem Fall für kontroverse Diskussionen.
Das Triage-Gesetz soll Antwort auf die Frage liefern: Was ist zu tun, wenn die Kapazitäten auf den Intensivstationen in Pandemie-Krisenzeiten nicht ausreichen? Zum Hintergrund: Bislang sind in einer solchen Situation die zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 veröffentlichten „klinisch-ethischen Empfehlungen“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) maßgeblich entscheidend – und ziemlich umstritten. Demnach sollen klinische Erfolgsaussichten das entscheidende Kriterium für die weitere Behandlung sein. Das sorgte für heftige Kritik auf Patientenseite, auf die ein Rechtsstreit folgte.
Neun Menschen mit Behinderung oder Vorerkrankungen hatten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die bisherige Praxis geklagt. Ihr Vorwurf: Die DIVI-Empfehlungen würden sie diskriminieren. Sie fürchten bei einer hohen Auslastung der Kliniken benachteiligt zu werden, da die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung bei bestimmten Behinderungen oder Vorerkrankungen schlechter seien als im Durchschnitt.
Daher müsse der Gesetzgeber rechtsbindende Kriterien für den Fall einer Triage vorgeben. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Bundestag Anfang Januar daraufhin aufgefordert, „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz Behinderter im Fall einer pandemiebedingten Triage zu treffen.
Der jetzt durchgesickerte, inoffizielle Entwurf ist also die Reaktion auf die Anweisungen aus Karlsruhe. Wörtlich heißt es darin, „bei der ärztlichen Entscheidung über die Zuteilung von pandemiebedingt nicht ausreichenden überlebenswichtigen, intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten im Krankenhaus“ dürfe niemand aus „Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden“.
Entscheidend dürfe nur der Patientenwille sein sowie die „Dringlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung“ und die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“. Ärztliches Handeln dürfe nur dann durch Komorbiditäten oder die Gebrechlichkeit beeinflusst werden, wenn durch „Schwere oder Kombination“ die „aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ des betreffenden Patienten „erheblich“ verringert sei.
Letztlich sollen bei knappen Behandlungsmöglichkeiten zwei Intensivmediziner mit mehrjähriger Berufserfahrung entscheiden. Diese zwei Ärzte sollen den Patienten „unabhängig voneinander“ begutachten. Sind sie nicht einig, soll ein dritter Arzt mit gleichwertiger Qualifikation hinzugezogen werden und schließlich mehrheitlich entschieden werden, wie es mit dem Patienten weiter geht.
Der Entwurf ist damit sehr nah an den DIVI-Empfehlungen. Zu erwarten ist, dass Patientenvertreter, die zuvor gefordert hatten, die Politik dürfe sich in Sachen Triage nicht in erster Linie an die Ärzteschaft wenden, damit wenig zufrieden sein werden. Aber auch Vertreter aus Politik und Verbänden hatten eine intensive Beteiligung von Menschen mit Behinderungen gefordert.
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So folgt auf den Entwurf prompt Kritik vom Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein: Inhaltlich sei der Entwurf ein „Desaster“, schreibt er auf seinem Twitter-Profil. „Er leistet keinen effizienten Schutz von Menschen mit Behinderung“, so Tolmei. Der Jurist hatte die neun Mandanten mit Behinderungen und Vorerkrankungen im Prozess vertreten – er dürfte eine ähnliche Perspektive auf das Thema haben wie viele Patienten, die zu vulnerablen Gruppen gezählt werden.
Vor allem bemängelt Tolmein, dass der Entwurf die umstrittenen Kriterien wie Gebrechlichkeit und Komorbiditäten als Zuteilungskriterien zulasse. Aber auch, dass der Entwurf „nicht wirklich öffentlich vorgelegt wird, sondern über ein Medium lanciert wird“. Das sei fernab von Transparenz, Partizipation und einer angemessenen öffentlichen Auseinandersetzung mit Triage.
Auch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) scheint nicht ganz einverstanden zu sein: In Berlin ist zu hören, dass das BMJ starke Einwände habe und das Anhörungsverfahren deswegen erst einmal gestoppt wurde. Bestätigung dafür gibt es bisher nicht. Es bleibt abzuwarten, welche Teile der „Formulierungshilfe“ am Ende tatsächlich im Gesetz auftauchen werden.
Bildquelle: Hayley Seibel, Unsplash