Der Tamoxifen-Lieferengpass stellt Ärzte und Apotheker vor Herausforderungen. Wie den verängstigten Patientinnen helfen – und welche Arzneimittel als Ersatz verwenden? Ein Überblick zur Lage.
Das Gesundheitsministerium hatte Mitte Februar 2022 einen Versorgungsmangel mit Arzneimitteln bekanntgegeben, die den Wirkstoff Tamoxifen enthalten (BAnz AT 18.02.2022 B6). Da Tamoxifen als fester Bestandteil des Behandlungsschemas bei Mammakarzinom kaum ersetzbar ist, bitten nun viele Patientinnen in Apotheken um schnelle Hilfe. Noch gibt es durchaus verschiedene Möglichkeiten, an entsprechende Medikamente zu kommen, doch wie lange werden die Vorräte reichen?
Einen Ersatz für den selektiven Estrogenrezeptormodulator Tamoxifen zu finden, ist besonders bei Patientinnen vor der Menopause schwierig. Tamoxifen bindet an die gleichen Rezeptoren wie Östrogen. Hormonempfindliche Tumoren tragen Rezeptoren für Östrogen und Progesteron, über die das Wachstum der Tumorzellen angeregt wird. Wird Östrogen durch Tamoxifen verdrängt, verringert sich auch die Zellteilungsaktivität. Es gibt natürlich noch weitere Zytostatika aus der Gruppe der Antiöstrogene, beispielsweise den Wirkstoff Fulvestrant. Dieser wird jedoch injiziert und kann nicht in Tablettenform eingenommen werden. Er hat zudem deutlich mehr Nebenwirkungen und wird nicht zur Rezidiv-Prophylaxe genutzt wie Tamoxifen.
Aromatasehemmer wie Anastrozol, Letrozol und Exemestan kommen eher für Frauen nach der Menopause in Frage und haben außerdem generell ein schlechteres Nebenwirkungsprofil. Für Frauen vor den Wechseljahren müsste zudem gleichzeitig GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon) injiziert werden, um die Bildung von Östrogen in den Eierstöcken zu blockieren. Das ist der Grund, warum der Wirkstoff Tamoxifen auch Bestandteil der Liste versorgungsrelevanter Wirkstoffe ist. Grundsätzlich bestehen immer zusätzliche Gefahren von Neben- und Wechselwirkungen, wenn ein Wechsel auf andere Wirkstoffgruppen stattfindet, ganz zu schweigen von Problemen mit der Compliance. Hier sind die Ängste der Patienten gerade bei dieser Erkrankung groß und es ist viel Aufklärungsarbeit vonnöten, will man eine gut funktionierende medikamentöse Therapie ohne eine krankheitsbezogene Notwendigkeit umstellen.
Über die Hintergründe des Lieferengpasses gibt es bislang keine klaren Informationen. Gemutmaßt wird ein gestiegener Bedarf bei gleichzeitigen Produktionsproblemen durch die Lockdown-Maßnahmen. Es wird geschätzt, dass etwa 120.–130.000 Patienten vom derzeitigen Tamoxifen-Engpass betroffen sind. Die Herstellerfirmen haben daher die Produktion weiterer Chargen tamoxifenhaltiger Arzneimittel vorgezogen. Die nachproduzierten Arzneimittel sollen bis Ende April 2022 wieder zur Verfügung stehen. Bis dahin muss eine komplette Versorgungslücke durch verschiedene Kompensationsmaßnahmen vermieden werden.
Durch die Bekanntgabe des Versorgungsmangels haben die Länder die Möglichkeit erhalten, Allgemeinverfügungen zu erlassen, um die Patienten zeitnah versorgen zu können. Unter anderem besteht nun die Möglichkeit, von den Vorgaben des AMG abzuweichen, sodass tamoxifenhaltige Medikamente importiert werden können. Dabei sollen die pharmazeutischen Unternehmer ermitteln, ob und welche Arzneimittelkontingente für den deutschen Markt kurzfristig verfügbar gemacht werden können, ohne dabei einen Versorgungsmangel in anderen Staaten zu erzeugen.
Das BfArM informierte Anfang März darüber, dass von den Landesbehörden mittlerweile Importe für mehr als 5 Mio. Tabletten tamoxifenhaltiger Arzneimittel bezogen auf die Stärke 20 mg gestattet wurden. Sie sollen bereits im Markt angekommen sein, oder werden immerhin bis zum 15. März 2022 in den Verkehr gebracht. Auch sollen im Mai weitere 20 Mio. Tabletten in der Stärke 20 mg verfügbar sein.
Das BfArM hat außerdem folgende Maßnahmen angeordnet:
Die Maßnahmen gelten so lange, bis das BMG den Versorgungsmangel für beendet erklärt, oder sie widerrufen werden.
Arzneimittel mit dem Wirkstoff Tamoxifen unterliegen alle einem Festbetrag. Die Differenz zum Festbetrag muss laut der gesetzlichen Vorgaben vom Versicherten derzeit weiterhin übernommen werden. Auch im Falle eines Lieferengpasses gibt es im SGB V hier keine Ausnahme. Jedoch enthält das SGB V eine Regelung für die Fälle, in denen die zuständige Krankenkasse einen Rabattvertrag zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Tamoxifen geschlossen hat. Wenn nämlich bei der Abgabe kein Arzneimittel zum Festbetrag verfügbar ist, dann trägt die Krankenkasse die anfallenden Mehrkosten (§ 129 Abs. 4c SGB V).
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