Mit Silibinin aus der Mariendistel steht eine neue, nicht-invasive Therapieoption gegen Morbus Cushing zur Verfügung. Sie hat sich in Zellkultur, Tiermodellen sowie menschlichem Tumorgewebe erfolgreich bewährt – und deutet Potential für weitere Krebserkrankungen an.
Silibinin ist für Menschen ausgesprochen gut verträglich und wird derzeit zur Behandlung von Lebervergiftung durch den Knollenblätterpilz verwendet. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben nun in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Halmholtz Zentrums München entdeckt, dass Silibinin sowohl in der Zellkultur, in Tiermodellen als auch in menschlichem Tumorgewebe bei der Behandlung von Morbus Cushing erfolgreich ist. Morbus Cushing ist eine seltene, hormonelle Erkrankung, die durch einen Tumor in der Hirnanhangdrüse verursacht wird. Die Forscher haben ein Patent auf diese Anwendung des Wirkstoffs eingereicht und wollen jetzt Silibinin in einer klinischen Studie testen. Künftig könnten die Patienten dank der neuen Behandlungsmöglichkeit auf eine Hirn-Operation verzichten.
Morbus Cushing, nicht zu verwechseln mit dem Cushing-Syndrom, wird durch einen Tumor in der Hirnanhangdrüse verursacht. Das Tumorgewebe produziert große Mengen des Stresshormons Adrenocorticotropin (ACTH), was wiederum zur Freisetzung von Cortisol aus der Nebennierenrinde führt. Übermäßig viel Cortisol verursacht schnelle Gewichtszunahme, erhöhten Blutdruck und Muskelschwäche. Die Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Osteoporose und Infektionskrankheiten und können kognitive Defizite oder sogar Depressionen entwickeln. Bei 80 bis 85 Prozent der Patienten kann der Tumor durch eine Hirn-Operation entfernt werden, aber bei den übrigen Betroffenen ist eine Operation nicht möglich. Generell fürchten sich viele Patienten vor dem Eingriff. Derzeit ist nur ein alternatives Medikament zugelassen, welches allerdings bei über 20 Prozent der behandelten Patienten starke Nebenwirkungen wie Hyperglykämie auslöst.
Wissenschaftler um den Endokrinologen Günter Stalla am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben jetzt mit Silibinin einen pflanzlichen Wirkstoff entdeckt, der in der Zellkultur, in Tiermodellen und in menschlichem Tumorgewebe bei der Behandlung von Morbus Cushing erfolgreich ist. „Silibinin ist ein Wirkstoff aus den Samen der Mariendistel. Es ist für Menschen ausgesprochen gut verträglich und wird momentan gegen Lebervergiftung durch den Knollenblätterpilz verwendet“, erklärt Marcelo Paez-Pereda, Leiter der aktuell in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlichten Studie. Nach der Therapie mit Silibinin produzierten die Tumorzellen wieder normale Mengen an ACTH, das Tumorwachstum verlangsamte sich und die für Morbus Cushing typischen Symptome klangen bei Mäusen ab.
„Wir wussten, dass Morbus Cushing durch die Freisetzung von zu viel ACTH ausgelöst wird und haben uns also gefragt, was diese Überproduktion verursacht und wie wir das stoppen können“, sagt Paez-Pereda. Die Forscher haben in ihren ersten Experimenten im Tumorgewebe von Patienten mit Morbus Cushing enorm viel Hitzeschockprotein 90 (HSP90) gefunden. Wenn es in normalen Mengen vorhanden ist, unterstützt HSP90 die richtige Faltung eines anderen Proteins, des Glukokortikoidrezeptors. Dieser wiederum hemmt die Produktion von ACTH. „Da sich im Tumorgewebe viel zu viel HSP90 befindet, bleibt es am Glukokortikoidrezeptor kleben“, erklärt Paez-Pereda. „Wir haben herausgefunden, dass Silibinin an HSP90 bindet und somit der Glokokortikoidrezeptor wieder freigesetzt wird und seine eigentliche Funktion ausüben kann.“ Mit Silibinin haben die Wissenschaftler nicht nur für Morbus Cushing eine potentielle nicht-invasive Therapieoption entdeckt. Der Wirkstoff könnte künftig auch in der Behandlung anderer Krebserkrankungen wie Lungenkrebs, akute lymphatische Leukämie oder bei Multiplen Myelomen einsetzen, da für deren Proliferation ebenfalls Glukokortikoidrezeptoren eine Rolle spielen. Originalpublikation: A C–terminal HSP90 inhibitor restores glucocorticoid sensitivity and relieves a mouse allograft model of Cushing disease; Riebold, M., Kozany, C., Freiburger, L., Sattler, M., Buchfelder, M., Hausch, F., Stalla, G. K. und Paez–Pereda, M.; Nature Medicine, 9. Februar 2015