Kaum dürfen wir in der Apotheke endlich impfen, werden die Rufe nach einem ärztlichen Dispensierrecht wieder lauter. Meine Kollegen und ich finden die Idee grundsätzlich gut – aber wir haben eine Bedingung, liebe Ärzte.
Die Frage nach Dispensieren im Notdienst wird von ärztlicher Seite immer mal wieder aus dem Hut gezaubert, sobald man sich im beruflichen Selbstverständnis angekratzt fühlt. Als deutsche Apotheker anfingen, gegen Grippe oder Corona impfen zu wollen – wie es in vielen europäischen Ländern längst üblich ist – war es daher nicht verwunderlich, dass reflexartig nach dem Dispensierrecht für Ärzte gekräht wurde. Jetzt, wo in Apotheken tatsächlich gegen Corona geimpft wird, werden diese Rufe wieder lauter. Was sagen eigentlich die Apotheker dazu? In meinem Umfeld sehen sie das Ganze eigentlich recht entspannt. Und freuen sich schon jetzt auf weniger Nacht- und Notdienste.
Die Forderungen kommen, auch wie erwartet, übrigens aus einer ganz bestimmten Ecke, nämlich von der KV Westfalen-Lippe. Beim PraxisCheck stellte sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Interview mit KBV-Chef Andreas Gassen den Fragen der Ärzteschaft (mehr dazu hier). Zum Dispensierrecht antwortete er wie folgt:
Hier hat er in meinen Augen nicht ganz Unrecht. Es spricht durchaus für eine Patientenorientierung, wenn Notdienstpatienten nach ihrer Behandlung in einer ambulanten Bereitschaftsdienstpraxis oder nach einem Hausbesuch eine erste Notfall-Medikation erhalten. Wer selbst einmal in einer solchen Situation war, weiß, wie mühsam es sein kann, vielleicht sogar mit dem Kleinkind auf dem Arm erst noch die nächstgelegene Notdienst-Apotheke aufzusuchen, die dann das verordnete Medikament vielleicht nicht einmal im Lager hat. Hätte der diensthabende Arzt Schmerzmittel oder Antibiotika in Kleinpackungen direkt vor Ort und dürfte diese ausgeben, dann würde dem Patienten sicherlich einiges an Stress erspart.
Von Apothekerseite kommen hierzu zweierlei Reaktionen: Die einen sehen das Edikt von Salerno gefährdet, das die Trennung von Arzt- und Apothekerberuf seit vielen Jahrhunderten garantiert. Sie geben die Anforderungen zu bedenken, die auf Arztpraxen zukämen, wenn sie nun auch Arzneimittel abgeben würden. Securpharmpflichtige Arzneimittel müssten korrekt ausgebucht, Rabattverträge beachtet und Qualitätskontrollen etabliert werden. Und es gibt viele Fragen. Zum Beispiel:
Für viele dieser Fragen gäbe es unbürokratische Lösungen – wenn man sie denn sehen möchte. Die Arzneimittel, die der Arzt im Notdienst braucht, könnte er über den Sprechstundenbedarf beziehen. Dann könnte die Apotheke den Part mit Securpharm übernehmen und sich mit Nicht-Lieferbarkeiten diverser Hersteller befassen. Wir kennen das aus unserem Arbeitsalltag.
Rabattverträge und Reimportquoten sind bei der Abgabe von Medikamenten im Notdienst auch in den Apotheken die kleineren Übel – sind sie doch mit den richtigen Kreuzen und Vermerken auf den Rezepten schnell zu umgehen. Das Überprüfen von Formfehlern wäre dann Sache der Apotheke und die Praxen müssten sich nicht mit der Retax-Stelle der Krankenkassen auseinandersetzen.
Auch um Rückrufe könnte sich die beliefernde Apotheke kümmern, die ja weiß, was sie an die Praxis abgegeben hat. Dieser Service ist allerdings von Versandapotheken nicht zu erwarten. Das hatte Frank Bergmann, Chef der KV Nordrhein, den Mitgliedern zur Bestellung ihres Bedarfs bereits nahegelegt– sozusagen als Replik auf die Impfungen in den Apotheken. Wenn im Gegenzug der apothekerliche Notdienst wegfiele, würde das den Beruf vermutlich sogar noch attraktiver machen.
Viele Apotheker stehen dem Dispensierrecht im Notdienst also gar nicht ablehnend gegenüber und würden dieses Vorhaben sogar unterstützen. Was definitiv aufhören sollte, sind die persönlichen Spitzen – wie Patienten Versandapotheken aus dem Ausland zu empfehlen. Es kann nicht sein, dass wir Kleinkriege führen und versuchen, dem anderen direkt zu schaden, wenn weder die Seite selbst, noch der Patient etwas davon hat. Ganz im Gegenteil: Wir sollten enger zusammenarbeiten – zum Wohl des Patienten – und alles tun, damit sich die Gesundheitsversorgung verbessert. Und das tut sie in jedem Fall dann, wenn der Patient sich aussuchen kann, wann und wo er sich unkompliziert impfen lässt. Und auch dann, wenn er im Notdienst keine langen Strecken zurücklegen muss, um an seine Medikamente zu kommen.
Das Dispensierrecht zu fordern, ist daher völlig in Ordnung und sogar unterstützenswert, wenn es um die Verbesserung der Versorgungsleistung geht. Wenn diese Forderung allerdings nur eine Drohkulisse aufbauen soll, um die Apotheker kleinzuhalten, fände ich das bedauerlich, kleinlich und dem Ärztestand nicht angemessen.
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