Lipid-Kinasen sind vielversprechende Targets für neue Pharmazeutika. Forschern gelang es nun, die Funktionsweise einer bisher eher unbekannten Kinase zu entschlüsseln. Sie könnte unter anderem die Entwicklung von sichereren Antithrombotika ermöglichen.
Lipid-Kinasen gehören zu den vielversprechenden Targets neuer Arzneimittel-Klassen. Das liegt vor allem an der Klasse I PI3-Kinase-α, die bei der Entstehung von Krebs und Metastasen eine bedeutende Rolle spielt. In 30-40 % aller Tumore ist dieses Enzym hyperaktiv, was zu unkontrolliertem Zellwachstum führt. Seit zwei Jahrzehnten wird diese gut erforschte Lipid-Kinase darum als Angriffspunkt für Krebsmedikamente genutzt.
Dagegen weiß man bislang nur wenig über das Schwester-Enzym, die Klasse II PI3-Kinase-α. Sie soll ebenfalls an zahlreichen biomedizinischen Vorgängen beteiligt sein, zum Beispiel an der Aggregation von Blutplättchen oder der Angiogenese. Doch um Fehlfunktionen besser zu verstehen und medikamentös anzugehen, muss man herausfinden, wie diese Kinase im Detail aussieht und wie sie funktioniert. Dies ist Forschern vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) jetzt gelungen. Mit einer Kombination aus Röntgenkristallografie und Kryoelektronenmikroskopie konnte die Arbeitsgruppe von Prof. Volker Haucke die Struktur der Klasse II PI3-Kinase-α (PI3KC2α) aufklären und zum ersten Mal den Aktivierungsmechanismus des Enzyms beschreiben. Dadurch ergeben sich neue therapeutische Ansatzpunkte. Die Arbeit ist jetzt in Nature Structural & Molecular Biology erschienen.
„Man kann davon ausgehen, dass die Hemmung der Kinaseaktivität in vielen biomedizinischen Anwendungen eine Rolle spielt, etwa dem Wachstum oder der Angiogenese von Tumoren“, erklärt Haucke. „Und sie dürfte auch für die Hemmung der Blutplättchenaggregation wichtig sein.“ So weiß man, dass die Kinase benötigt wird, damit Blutplättchen einen Thrombus bilden.
Interessant ist dabei, dass die Funktion der Kinase PI3KC2α strömungsabhängig ist – also vom Blutdruck abhängig ist. Würde man nun die Kinase medikamentös hemmen, würde die Plättchenaggregation vor allem im Fall eines Blutdruckanstiegs gestoppt. Die meisten Antikoagulantien, die Patienten heute zur Vermeidung thromboembolischer Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen, wirken dagegen auch bei normalem Blutdruck – was fatale Nebenwirkungen wie Hirnblutungen zur Folge haben kann. PI3KC2α-Kinase Inhibitoren hätten ein deutlich besseres pharmakologisches und biomedizinisches Profil als die bisherigen Blutplättchenhemmer, vermuten die FMP-Forscher.
Erste Experimente mit potenziellen Wirkstoffkandidaten zeigten auch schon, dass eine Hemmung der Kinase grundsätzlich möglich ist. Die Aufklärung der Struktur und des Aktivierungsmechanismus war dafür essentiell.
Die Forscher fanden nämlich heraus, wie die Bindetasche der Kinase beschaffen ist, die das Lipid und das Adenosintriphosphat (ATP) als „zelluläre Währung“ bindet, um so die Übertragung einer Phosphatgruppe auf das Lipid zu ermöglichen. Außerdem wissen die Forscher nun, welche Art von „molekularer Gymnastik“ die Kinase durchlaufen muss, um genau an der richtigen Stelle in der Zelle aktiviert zu werden.
„Diese Informationen sind die entscheidenden Voraussetzungen, um einen spezifischen Inhibitor zu entwickeln, der eben ausschließlich PI3KC2α hemmt und kein anderes verwandtes Enzym“, so Wen-Ting Lo, Erstautor der Studie. Das Team um Haucke und Lo arbeitet bereits mit anderen Wissenschaftlern des Instituts an spezifischen Hemmstoffen. Diese besetzen die ATP-Bindetasche des Enzyms und verhindern somit die enzymatische Reaktion.
Doch die FMP-Forscher haben noch mehr über PI3KC2α herausgefunden. Gemeinsam mit der Gruppe von Emilio Hirsch, Universität Turin, konnten die Forscher zeigen, dass die Kinase auch am letzten Stadium der Zytokinese beteiligt ist. Ausgangspunkt der in Science publizierten Arbeit waren Patienten, bei denen die Kinase aufgrund von Mutationen fehlt. Diese Personen leiden neben diversen Organdefekten an einer Linsentrübung. An Mäusen und Zebrafischen konnte das Forscherteam aufzeigen, wie der Funktionsverlust des Enzyms zum „Grauen Star“ führt.
Bei der Zellteilung verdoppelt sich das Erbmaterial und wird anschließend auf die beiden Tochterzellen verteilt. Ein Schnitt durch die Zellmembran trennt die Tochterzellen voneinander. Fehlt die Kinase, kommt es nicht zu diesem letzten Schnitt: Ein entscheidendes Lipid, das nur von PI3KC2α hergestellt werden kann, fehlt. Die Epithelzellen der Augenlinse bleiben deshalb in der Zellteilung stehen. Damit ist nun geklärt, warum diese Patienten an einem Katarakt leiden. Der Fund hat aber noch eine darüber hinausgehende Bedeutung: Dieser Mechanismus könnte auch für Tumore von großer Bedeutung sein, die auf ständige Zellteilung angewiesen sind. Damit würden PI3KC2α Hemmstoffe möglicherweise auch neue Perspektiven in der Krebstherapie eröffnen.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Carter Gustin, unsplash.