Ein Forschungsteam entdeckte zufällig, dass ein Blutdruckmedikament bei Diabetikern die Insulinproduktion anregte. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass der positive Effekt durch die Einnahme mindestens zwei Jahre anhalten kann.
Ein Forschungsteam der University of Birmingham machte vor einigen Jahren zufällig eine wichtige Entdeckung in Sachen Insulin: Bei der Untersuchung eines Gens der Langerhans-Inseln konnten sie zeigen, dass Mäuse, die das Blutdruckmedikament Verapamil einnahmen, imstande waren, höhere Mengen Insulin zu produzieren. Die Wissenschaftler führten daraufhin eine klinische Studie am Menschen durch – mit Erfolg. Sie zeigten, dass eine regelmäßige orale Einnahme von Verapamil auch beim Menschen die Insulinproduktion anregte, was den Bedarf an injiziertem Insulin verringerte.
In einer aktuellen Studie wollten die Wissenschaftler nun mehr über die Auswirkungen von Verapamil bei Typ-1-Diabetikern wissen. Dazu untersuchten sie Proteine aus dem Blutserum von Probanden, die unter der Zuckerkrankheit leiden. Die Blutproben wurden drei Monate sowie ein Jahr nach der Diagnose abgenommen. Es stellte sich heraus, dass vor allem das Protein Chromogranin A (CHGA) stark auf die Einnahme reagierte: Der Spiegel des Serumproteins wurde durch Verapamil herunterreguliert.
Durch eine Messung des C-Peptids konnten die Wissenschaftler weiterhin feststellen, dass die niedrige CHGA-Konzentration mit einer besseren Insulinproduktion einherging. Nach einem Jahr Verapamil-Behandlung wiesen Personen mit Typ-1-Diabetes zudem ähnliche CHGA-Spiegel auf wie gesunde Personen. Nach zwei Jahren sanken die CHGA-Werte bei den mit Verapamil behandelten Probanden weiter, stiegen jedoch bei den Probanden mit Typ-1-Diabetes an, die Verapamil im zweiten Jahr absetzten.
„Somit scheint der CHGA-Serumspiegel Veränderungen der Betazell-Funktion als Reaktion auf die Verapamil-Behandlung oder das Fortschreiten des Typ-1-Diabetes widerzuspiegeln und könnte daher ein Längsschnittmarker für den Behandlungserfolg oder die Verschlechterung der Krankheit sein“, sagte Anath Shalev, die die Studie leitete. „Dies würde einen entscheidenden Bedarf abdecken, da das Fehlen eines einfachen Längsschnittmarkers auf dem Gebiet des Typ-1-Diabetes eine große Herausforderung darstellt.“
CHGA wurde bereits zuvor als Autoantigen bei Typ-1-Diabetes identifiziert. Shalev und ihre Kollegen wollten daher auch herausfinden, welchen Effekt Verapamil auf T-Zellen hat. Die Forscher fanden heraus, dass die Menge proentzündlicher Marker bestimmter T-Helfer-Zellen – darunter CXCR5 und Interleukin-21 – in Monozyten von Typ-1-Diabetikern im Vergleich zu Proben gesunder Menschen siginfikant erhöht war. Eine Behandlung mit Verapamil konnte hier Abhilfe schaffen: „Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass sich eine Verapamil-Therapie auch auf das Immunsystem auswirken kann und diese von Typ-1-Diabetes induzierten Schäden umkehren kann“, so Shalev. „Das lässt vermuten, dass Verapamil und/oder die damit erzielte Verbesserung eines Typ-1-Diabetes einige proentzündlichen Zytokine und T-Helfer-Zellen regulieren kann, was umgekehrt wiederum zu den insgesamt guten klinischen Effekten beiträgt, die wir beobachten konnten.“
Um die Veränderungen in der Genexpression zu analysieren, wurden RNA-Sequenzierungen von Proben von Langerhans-Inseln durchgeführt, die mit oder ohne Verapamil Glukose ausgesetzt waren. Es zeigte sich, dass eine große Anzahl der Gene entweder hoch- oder herunterreguliert worden war. Eine Untersuchung dieser Gene zeigte, dass Verapamil das Thioredoxin-System und TXNIP reguliert, sowie ein antioxidatives, anti-apoptotisches und immunmodulatorisches Gen-Expressions-Profil in menschlichen Langerhans-Inseln fördert. Das könnte auch die anhaltenden Verbesserungen in der Funktion pankreatischer Betazellen unter fortgesetzter Verapamil-Behandlung erklären.
Shalev und ihr Team geben aber zu bedenken, dass die Ergebnisse ihrer Studie, die durch ihre geringe Probandenzahl limitiert ist, in größeren klinischen Studien erst noch bestätigt werden müssen. Doch der Erhalt auch nur einiger Betazell-Funktionen erscheine vielversprechend. „Bei Typ-1-Diabetikern ist selbst der Schutz eines kleinen Anteils endogener Insulinproduktion – im Gegensatz zu erhöhter Insulinzufuhr von außen – mit verbesserten Outcomes, einer erhöhten Lebensqualität und geringeren Kosten assoziiert“, so Shalev. Die Tatsache, dass diese positiven Effekte von Verapamil für zwei Jahre anzuhalten schienen, während ein Absetzen des Wirkstoffs zu einer Progression der Erkrankung führte, liefert ein zusätzliches Argument für den möglichen Nutzen einer solchen Langzeittherapie.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der University of Alabama at Birmingham. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Towfiqu barbhuiya, unsplash.