Ohne Maske einkaufen gehen – das scheint für viele der Inbegriff von Freiheit zu sein. Nun, seit dem 20. März ist das wieder erlaubt. Super. Was mich am so genannten Freedom Day außerdem noch nervt, lest ihr hier.
Man möchte ja aktuell am liebsten gar keine Nachrichten schauen. Lieber die Augen schließen, eine Decke über den Kopf ziehen und sich in eine kleine, heile Welt träumen. Aber Krieg und Leid überdecken seit dem 24. Februar 2022 alle anderen Neuigkeiten und sind dauerpräsent. Deswegen habe ich mehrere Tage lang überlegt, ob ich diesen kleinen Artikel über die aktuelle Corona-Lage überhaupt schreiben soll.
Nun habe mich aber (offensichtlich) dafür entschieden, weil das Thema meinen Alltag nach wie vor sehr prägt und mir die Diskussionen um die Lockerungen und den so genannten Freedom Day gewaltig gegen den Strich gehen.
Zum einen ist der Begriff Freedom Day angesichts des schrecklichen Kriegs in der Ukraine absurd. Aber das war er auch schon vorher. Auch wenn der Begriff auftauchte, bevor der Krieg begann, kann ein Läppchen im Gesicht doch nicht wirklich unser Hauptproblem sein? Wir leben in einem Land mit vielen Freiheiten, auch im Demokratie-Ranking liegen wir im internationalen Vergleich ziemlich weit oben. Hierzulande ist es aber für viele Menschen ein Problem, weiterhin eine Einschränkungen zum Schutz der vulnerablen Gruppen hinzunehmen. Stattdessen wird darauf hingearbeitet, seinen Alltag ohne Maske bestreiten zu dürfen, um „frei“ zu sein.
„Corona ist vorbei!“, skandieren „Spaziergänger“.
„Das Gesundheitssystem ist nicht überlastet“, krakeelen Politiker.
Wer aber seine Augen nicht gänzlich vor der Realität verschließt, der sieht: Die Pandemie ist keinesfalls vorbei.
Dank Omikron hat die Krankheit einen Hauch ihres Schreckens verloren, aber das bedeutet keinesfalls, dass COVID-19 eine harmlose Erkältung ist. Zum einen haben wir dank der Impfung leichtere Verläufe. Zum anderen ist COVID-19 eine Systemerkrankung, die an multiplen Organen ihren Schaden anrichtet – vor allem an Lunge, Blutgefäßen, Gehirn.
Nein, das ist keine Panikmache, sondern die Realität.
Natürlich stimmt es, dass es eine große Bandbreite an Verläufen gibt, die nicht immer schlimm sind. Und dem einen mag es wie eine Erkältung erscheinen, während ein anderer auf die Intensivstation aufgenommen werden muss.
Ich habe als Hausärztin persönlich keinen Todesfall meiner Patienten erleben müssen und auch viele sehr milde Verläufe begleitet. Ja, die gibt es. Aber welches Leid Corona darüberhinaus auslösen kann, kann man nicht ignorieren.
Ein paar Beispiele:
Oft lassen die Symptome nach einigen Wochen nach. Ich persönlich finde es dennoch nicht erstrebenswert, die Erkrankung auszuprobieren und sehr viele Menschen sehen das ähnlich. Zumal manche Betroffene sie auch nach Monaten nicht überwunden haben und ihren Alltag kaum bewältigen können.
Ja, auch andere Infektionskrankheiten wie die Influenza zeigen schwere Verläufe und fordern Todesopfer. Aber das ist doch kein Argument, Corona nicht ernst zu nehmen und eine so leicht anzuwendende Vorsichtsmaßnahme wie die FFP2-Maske aufzugeben.
Durch Omikron ist die Lage in den Praxen aktuell sehr angespannt. Mein persönlicher Eindruck: Es ist schlimmer denn je.
Wir jonglieren zwischen akuten Covid-Fällen und Post- bzw. Long-Covid-Patienten, hinzu kommen Erkrankungen der Mitarbeiter in den eigenen Reihen und damit Personalausfälle, die zusätzliche Belastung bringen. Wo wir und andere Praxen es zwei Jahren geschafft haben, die Infektion dank der Maßnahmen und der Masken abzuwehren, werden Mitarbeiter nun meist durch ihre Kindergarten- und Schulkinder infiziert. Weil es dort zu vielen Infektionen kommt, denen man zuhause nicht entgehen kann.
Die Maskenpflicht in Innenräumen für eine ganze Weile zu erhalten, würde ich für eine exzellente Idee halten. Aber seit dem 20. März 2022 gibt es nur noch einen sogenannten Basisschutz, der eine Maskenpflicht in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und im öffentlichen Nahverkehr vorsieht. Einkaufen kann man also wieder maskenfrei, was für mich nicht nachvollziehbar ist. Eine halbe Stunde im Supermarkt eine Maske zu tragen, tut doch eigentlich nicht weh. Und wer ein Maskenattest hat, weist in der Regel ja lautstark darauf hin, wie ich neulich erst wieder in der Drogerie mithören durfte.
„Haben Sie keine Maske?“, fragte die Verkäuferin einen den Laden betretenden Mann.
„ICH HAB EIN ATTEST!“, antwortete der Herr in vorausschauend pampigem Ton.
„Ach so“, flötete die Mitarbeiterin freundlich.
„Scheiß drauf“, dachte sie wahrscheinlich. Sie trug ihre Maske nämlich auch unter dem Kinn.
Das Gesundheitssystem ist überlastet. Das ist es seit Jahren. Schon als ich noch in der Klinik angestellt war, gab es Personalmangel und Pflegenotstand, aber was Patienten mir in der Sprechstunde von ihren Krankenhausaufenthalten berichten, ist erschreckend. Das Personal gibt sein Bestes, kann aber auch nicht alle Lücken stopfen.
Nun fällt Personal zusätzlich durch Omikron aus.
Die kommenden Wochen werden unschön bleiben.
Bildquelle: Kayra Sercan, Unsplash