Das respiratorische Synzytial-Virus sorgt jedes Jahr für erhöhte Kindersterblichkeit. Doch es gibt Hoffnung: Vier Impfstoffkandidaten und ein monoklonaler Antikörper nähern sich der Zulassung.
Auch wenn es ab und zu untergeht: Neben SARS-CoV-2 gibt es viele weitere gefährliche Viren, die die Atemwege befallen können. Darunter auch das respiratorische Synzytial-Virus (RSV), welches vor allem für kleine Kinder zum Problem werden kann. Dabei ist die Infektion des unteren Respirationstrakts ein wesentlicher Treiber von Kindersterblichkeit, auch während der andauernden SARS-CoV-2-Pandemie (wir berichteten). Jährlich sind etwa 64 Millionen Menschen betroffen. Das RSV brachte Schätzungen für 2015 zufolge etwa 3,2 Millionen Kinder ins Krankenhaus und tötete etwa 59.600 im Alter von unter 5 Jahren – für 2017 wurden RSV-assoziierte Gesundheitskosten von 5,45 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Eine im Fachmagazin The Lancet erschiene Studie erfasste nun über 3 Jahre die Todesrate bei Säuglingen, die durch das RSV in medizinischen Einrichtungen oder Gemeinden in Lusaka, Hauptstadt von Sambia, starben. Insgesamt wurden 2.286 Säuglinge im Alter zwischen 4 Tagen und 6 Monaten aufgenommen, bei denen das Virus in 7 bis 9 % der Fälle nachgewiesen wurde. Allerdings ereigneten sich zwei Drittel der Todesfälle bereits innerhalb der Gemeinde, also bevor die Säuglinge in einem Krankenhaus medizinisch versorgt werden konnten. In etwa 72 % der Todesfälle waren Säuglinge im Alter von unter 3 Monaten betroffen. Außerdem zeigt die Studie, dass RSV mindestens 2,8 % aller Todesfälle bei Säuglingen und 4,7 % aller Todesfälle bei Säuglingen außerhalb von Krankenhäusern verursachte. Dabei waren die meisten Fälle saisonal bedingt und traten in der ersten Jahreshälfte auf. Sie konzentrieren sich auf die ärmsten Gegenden Lusakas.
„Unsere Ergebnisse bauen auf unserer früheren Arbeit in der Pneumonia Etiology Research for Child Health Study auf, die zeigte, dass RSV die häufigste und tödlichste Atemwegsinfektion bei Kindern unter 5 Jahren war, insbesondere bei Säuglingen in den untersuchten acht Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen“, sagt Prof. Donald Thea, Mitglied des Studienteams. „Viele der jungen Säuglinge, die eine RSV-Infektion entwickeln, benötigen eine sehr spezialisierte einrichtungsbasierte Versorgung, die in diesen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen Mangelware ist.“
Präventive Maßnahmen wie die RSV-Impfung von Müttern, die Antikörper auf ihr Baby übertragen könnten, wären auch die effektivste Strategie, um die Kindersterblichkeit durch das Virus zu reduzieren, sagen die Forscher. Derzeit gibt es keinen zugelassenen Impfstoff gegen RSV, aber Forschungen sind im Gange.
Bereits Ende der 1960er Jahre wurde in den USA versucht, einen Impfstoff aus inaktiviertem RSV für Kinder herzustellen. Allerdings verursachte die Impfung eher das Gegenteil: Sie verschlimmerte die Krankheit bei den geimpften Kindern, als sie sich später mit RSV infizierten. Sie erlitten dadurch schwere Lungenerkrankungen und mussten hospitalisiert werden – zwei verstarben sogar.
Impfstoffforscher machten weiter, zielten aber jahrzehntelang auf die falschen Virusproteine bzw. die falschen Formen dieser Proteine ab. „Seit den 1970er Jahren haben Menschen versucht, RSV-Impfstoffe herzustellen, aber es war ein Misserfolg nach dem anderen“, sagt Rino Rappuoli, Senior Vice President und Chief Scientist für Impfstoffe bei GlaxoSmithKline (GSK). „Die Dinge änderten sich komplett, als wir anfingen, das wichtigste virale Protein, ‚Protein F‘, zu verstehen.“
Jetzt ist ein wirksamer RSV-Impfstoff fast in Reichweite: Vier Kandidaten und eine Behandlung mit monoklonalen Antikörpern befinden sich im Spätstadium klinischer Studien.
Prof. Jason McLellan und seine Kollegen untersuchten das F-Protein, welches das Virus verwendet, um mit Zellen zu verschmelzen und sie zu infizieren. Sie fanden einen Weg, es in seiner Präfusionsform zu stabilisieren – die Form, die es annimmt, wenn es bereit ist, sich an Zellen zu heften. Die Struktur des Präfusions-F-Proteins enthüllte auch das beste Ziel für die Herstellung von impfstoffinduzierten Antikörpern, die verhindern könnten, dass das Virus in menschliche Zellen eindringt. McLellan und Kollegen hatten auch 2020 die Präfusions-Konformation des Spikeproteins von SARS-CoV-2 aufgeklärt – damit konnte das Rennen um die Herstellung der COVID-19-Impfstoffe beginnen.
Ähnlich wie SARS-CoV-2 und dessen Spike-Protein verwendet RSV die Präfusionsform des F-Proteins (preF), um mit der Membran menschlicher Zellen zu fusionieren und in sie einzudringen. Sobald das geschieht, kommt es zur Konformationsänderung des Proteins in die stabilere Postfusionsform (postF). Viele der früheren erfolglosen Impfstoffversuche zielten auf letztere Form des Proteins ab.
Von den vier RSV-Impfstoffen, die sich bereits in Phase-III-Studien befinden, enthalten die von GSK und Pfizer das stabilisierte preF-Protein. Der Impfstoffkandidat des Unternehmens Janssen verwendet – ähnlich wie beim COVID-19-Impfstoff – ein modifiziertes Adenovirus, das nach Injektion in den Körper das preF produziert, zusätzlich mit dem reinen preF-Protein. Modernas Kandidat basiert auf einer mRNA-Technologie, die preF produziert, sobald sich die RNA in den Zellen befindet. Die Impfstoffe konnten in bisherigen Studien die Spiegel neutralisierender Antikörper um das 9- bis 15-Fache erhöhen. Allerdings werden die Phase-III-Studien an über 60-Jährigen durchgeführt – nicht an der vulnerablen Gruppe der Neugeborenen und Kleinkinder.
Impfstoffkandidaten stehen vor zwei Herausforderungen: Klinische Studien werden einerseits zunächst an älteren Probanden und nicht an Kindern bzw. Säuglingen durchgeführt. Anderseits spricht das Immunsystem von Neugeborenen häufig nicht auf Impfstoffe an, weshalb Kinderimpfungen erst nach einem Alter von zwei Monaten verabreicht werden – die oben genannte Studie weist besonders auf eine erhöhte Sterblichkeit innerhalb der ersten drei Lebensmonate hin. Daher führen GSK und Pfizer die Phase-III-Studien ihrer Impfstoffe bei Schwangeren durch und begleiten ihre Babys, um die Antikörperspiegel bei der Geburt und die Wirksamkeit bei der Vorbeugung von RSV-Infektionen im ersten Jahr zu testen.
Allerdings gab GSK im Februar 2022 bekannt, die Phase-III-Studie mit Schwangeren nach einer zweiwöchigen Pausierung einzustellen. Pfizer teilte hingegen im März 2022 einen großen Fortschritt mit: Der RSV-Impfstoff für Schwangere sowie für Personen über 60 Jahren erhielt den „Breakthrough Therapy Status“ der US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA. Dieser Status soll die Entwicklung und Überprüfung des Impfstoffs beschleunigen. Auch dem Impfstoffkandidaten des deutsch-dänischen Unternehmens Bavarian Nordic wurde dieser Status von der FDA erteilt. Allerdings sind Phase-III-Studien für ihren Impfstoff gegen RSV für über 60-Jährige erst für dieses Jahr geplant.
Doch die Impfung scheint nicht nur vorteilhaft gegen das RSV zu sein: Die Zeitschrift PNAS veröffentlichte im März 2022 eine Studie dazu. Diese ergab, dass die Verabreichung eines proteinbasierten, nanopartikel RSV-F-Impfstoffs an schwangere Mütter die Verschreibung antimikrobieller Mittel bei ihren Säuglingen in den ersten drei Monaten um 12,9 % reduzierte. Finanziert wurde die Untersuchung von Novavax. Die Ergebnisse bauen auf vorherigen Studien des Unternehmens auf, die für ihren Impfstoffkandidaten gegen RSV nicht die nötigen Erfolgskriterien erfüllten.
Eine zweite Möglichkeit, Neugeborene zu schützen, besteht darin, ihnen Antikörper zu injizieren, die auf das Virus abzielen. AstraZeneca und Sanofi haben sich zusammengetan, um einen monoklonalen Antikörper namens Nirsevimab zu testen, der gegen stabilisiertes preF gerichtet ist und sich in einer Phase-III-Studie bei gesunden Früh- und Reifgeborenen als wirksam bei der Reduzierung von RSV-Infektionen erwiesen hat. Anfang März veröffentlichte das New England Journal of Medicine die Ergebnisse der Phase-III-Studie: Die Einmalgabe des Medikaments vor Beginn der RSV-Saison zeichnete sich durch eine Wirksamkeit von 74,5 % gegen das RSV aus.
Während der Pandemie standen die klinischen Studien aber vor einigen Herausforderungen: Die Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 sorgten zwischen 2020 und 2021 für eine Verschiebung der RSV-Saison und einem folgenden starken Anstieg (wir berichteten). Laut Dr. Rabia Agha, Spezialistin für pädiatrische Infektionskrankheiten am Maimonides Children's Hospital in New York City, haben die COVID-19-Impfstoffe allerdings beispielhaft gezeigt, wie schnell ein wirksamer Impfstoff jetzt gegen ein Atemwegsvirus hergestellt werden kann. „Als Experten für Infektionskrankheiten freuen wir uns immer, wenn es Hoffnung gibt, RSV in Zukunft zu einer vermeidbaren Krankheit zu machen“, so Agha.
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