Rückschlag für hartnäckige Homöopathie-Verfechter: Eine Analyse weist auf gravierende Missstände in der Forschungs- und Veröffentlichungspraxis hin.
Mit einer kleinen Meldung erregte die KV Bremen kürzlich Aufmerksamkeit. Der Grund: Die Aufkündigung von Homöopathieverträgen. „Solange in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht alle Behandlungen, deren Nutzen bereits wissenschaftlich bewiesen sind, vollständig finanziert werden können, bleiben keine Mittel für Verfahren übrig, für deren konkreten Nutzen keine Nachweise bestehen. Dies trifft auf die in den genannten Verträgen geregelten Leistungen leider zu“, begründen die Vorstände ihre Entscheidung.
Obwohl es sich nur um drei Verträge mit geringem Honorarvolumen handelt, stößt die Entscheidung wieder mal eine Debatte über den Nutzen von homöopathischen Behandlungen an – auch Karl Lauterbach ließ es sich nicht nehmen, die Entwicklung zu kommentieren.
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Obwohl heftig umstritten, bleibt die Homöopathie in Deutschland beliebt und viele Krankenkassen übernehmen trotz Kritik die Kosten für solche Behandlungen. Einige Patienten und Ärzte schätzen Globuli und Co. als vermeintlich sanfte Alternative zur klassischen Medizin – obowohl die Grundlagen der Homöopathie simplen physikalischen Prinzipien widersprechen und keine wissenschaftliche Evidenzbasis gegeben ist. Ihre Verfechter berufen sich dabei gerne auf einzelne Reviews, die eine Wirkung jenseits des Placebo-Effekts gefunden haben wollen. Review-Paper haben allerdings eine Schwäche: Sie können nur das wiedergeben, was auch an Forschung veröffentlicht wurde.
Werden nur positive Ergebnisse veröffentlicht und alle Berichte mit unerwünschten Ergebnissen zurückgehalten, ergibt sich ein deutlich verzerrtes Bild. Einmal überspitzt dargestellt: Zehn Studien werden gemacht, nur eine findet einen statistisch signifikanten Effekt. Dass der untersuchte Effekt real ist, erscheint eher unwahrscheinlich. Wird allerdings nur diese eine Studie veröffentlicht, käme ein Review zu dem Schluss, dass der Effekt existiert – 100 % der verfügbaren Studien sprechen schließlich dafür. Diese Art der Verzerrung durch selektive Berichterstattung wird als Reporting Bias bezeichnet.
Um dem Reporting Bias entgegen zu wirken und Forschung transparenter zu gestalten, wurden Anfang der 2000er öffentliche Studienregister eingeführt. Seit 2008 wird entsprechend die prospektive Registrierung und nachfolgende Veröffentlichung der Ergebnisse als ethische Verpflichtung in der klinischen Forschungspraxis betrachtet. Medizinische Journale akzeptieren dementsprechend auch nur Ergebnisse von registrierten Studien für die wissenschaftliche Veröffentlichung.
Eine aktuelle Analyse im BMJ untersuchte nun, wie es um die Forschungspraxis im Bereich der Homöopathie bestellt ist. Dazu durchsuchten Forscher drei große internationale Register (Clinicaltrials.gov, clinicaltrialsregister.eu und das meta-Register ICTRP der WHO) nach klinischen Homöopathie-Studien. In die Analyse eingeschlossen wurden nur abgeschlossene Studien; abgebrochene oder zurückgezogene Studien wurden nicht berücksichtigt. In Forschungsdatenbanken wie PubMed oder Google Scholar wurden Veröffentlichungen gesucht. Bei registrierten Studien wurden die Forscher auch direkt kontaktiert, falls sich sonst kein Nachweis einer Publikation finden ließ.
Insgesamt fanden die Forscher 90 registrierte Studien, die vor April 2019 abgeschlossen wurden. Die Mehrzahl der Studien wurde zwar in Journals oder in Form von Abschlussarbeiten (sogenannte „grey literature“) veröffentlicht, jedoch blieben 34 der Studien, also fast 40 %, unpubliziert. Außerdem stellten die Forscher fest, dass über die Hälfte der Studien erst nachträglich registriert wurde und nicht – wie eigentlich vorgesehen – vor Beginn der Teilnehmerrekrutierung. Bei den nach 2008 registrierten Studien wurde nur knapp ein Drittel prospektiv registriert und später veröffentlicht.
Weiterhin fiel ins Auge, dass die angegebenen primären Endpunkte in Publikation und Registrierung nicht immer konsistent waren. In 25 % der Fälle wurden Endpunkte im Nachhinein modifiziert; d. h. Ergebnisse, die nicht als primäre Outcomes registriert waren, wurden später als solche deklariert.
Umgekehrt untersuchten die Forscher auch, wie viele der tatsächlich veröffentlichten Studien registriert wurden. 193 publizierte homöopathische Studien konnten im Zeitraum von 2002 bis April 2021 ausgemacht werden. Über die Hälfte der Studien, rund 54 %, waren nicht registriert.
Das dies auch Auswirkungen auf die klinische Praxis haben kann, demonstrierten die Forscher anhand eines beliebten Reviews von Mathies et al. Dieses wertete Studiendaten von 1976 bis 2014 aus und fand eine statistisch signifikante größere Effektivität von homöopathischen Mitteln gegenüber Placebo. Die Forscher wählten nun diejenigen Studien aus, die im Zeitfenster von 2002 bis 2014 publiziert wurden (und dementsprechend die Möglichkeit zur Registrierung gehabt hätten) und führten die Daten von registrierten und nicht-registrierten Studien getrennt zusammen. Es zeigte sich: Nur die nicht-registrierten Studien fanden einen statistisch signifikanten Unterschied zwischen homöopathischer Behandlung und Placebo. Die registrierten Studien fanden keinen.
Dementsprechend hart fällt das Resümee der Forscher aus: „Unsere Studie hat gezeigt, dass sich Forscher, die homöopathische Behandlungen untersuchen, kaum an die Deklaration von Helsinki halten. […] Insgesamt deuten diese Ergebnisse auf einen besorgniserregenden Mangel an wissenschaftlichen und ethischen Standards auf dem Gebiet der Homöopathie sowie auf ein hohes Risiko für eine verzerrte Berichterstattung hin.“ Der hohe Anteil an nicht-registrierten oder erst retrospektiv registrierten Studien lasse vermuten, dass die Veröffentlichung häufig von der Art der Ergebnisse abhänge. Die Berichtsverzerrung habe wahrscheinlich einen hohen Einfluss auf die geschätzte Effektivität von homöopathischen Behandlungen, da nicht oder erst nachträglich registrierte Studien grundsätzlich stärkere Effekte zeigen, als prospektiv registrierte Trials.
Zugegeben, das Phänomen der selektiven Berichterstattung ist nicht auf den Bereich der Homöopathie beschränkt. Eine Auswertung von Studien in Deutschland zwischen 2009–2013 zeigte beispielsweise, dass von 2.132 registrierten medizinischen Studien 33 % auch 5 Jahre nach Abschluss unveröffentlicht blieben.
Den Autoren zufolge sei das Problem aber, dass homöopathische Mittel im Gegensatz zu richtigen Pharmazeutika von den meisten Zulassungsregularien befreit seien und vor Marktzugang demnach kein unabhängiges Prüfverfahren durchlaufen, das auch unveröffentlichte Daten überprüfen könnte. Das heißt, jede Einschätzung der Effektivität homöopathischer Mittel kann sich ausschließlich auf den öffentlich zugänglichen Wissensstand stützen. Umso bedeutender sei daher die Veröffentlichung von Studienergebnissen. Da keine Registrierungspflicht bestehe, müsse man davon ausgehen, dass das Ausmaß an Nicht-Veröffentlichungen noch unterschätzt wird. Es gebe wahrscheinlich eine große Dunkelziffer an homöopathischen Studien, die weder registriert noch veröffentlicht wurden.
Als weitere Limitationen ihrer Untersuchung führen die Autoren auf, dass wahrscheinlich Registrierungen übersehen wurden, wenn sie nicht in den 17 in der Analyse eingeschlossenen Studienregistern erfolgten. Auch Publikationen könnten übersehen worden sein. Durch die Exklusion von ab- oder unterbrochenen Studien könnten potentiell auch Studien ausgeschlossen worden sein, die wegen starkem Benefit frühzeitig beendet wurden. Deutlich wahrscheinlicher ist den Autoren zufolge jedoch die Beendigung aufgrund fehlender Probanden. Sie wurden daher ausgeschlossen, um die Publikationsrate nicht künstlich zu verringern.
Bildquelle: Kai-Uwe Wagner, Flickr