Ein Mann wird tot in der orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses gefunden. Die Ärzte sehen keine Verletzungen, seine Krankengeschichte ist unauffällig – was war geschehen?
Für den 45-jährigen Klempner hätte es ein Arbeitstag wie jeder andere werden sollen. Sein Auftrag: Eine Rohrreinigung im Krankenhaus. Die Lage vor Ort war klar. Da die Ärzte in der Orthopädie über Jahre hinweg fröhlich Gipsreste über den Abfluss entsorgt hatten, war es kein Wunder, dass besagtes Rohr nun schlussendlich den Dienst versagt hatte. Die Blockade war hartnäckig und ließ sich mechanisch nicht lösen.
Zeit für die harten Bandagen also; der industrielle Rohrreiniger musste her. Dieser bestand zum größten Teil aus hochkonzentrierter Schwefelsäure – wer sich ein klein wenig damit auskennt weiß: Mit konzentrierter Schwefelsäure kriegt man verdammt viel gelöst. In diesem Fall war es der letzte Einsatz, den der Mann damit vornahm.
Das Problem lag nicht, wie man zunächst vermuten könnte, an der Schwefelsäure an sich. Auch wenn diese natürlich nicht ungefährlich ist, weiß ein Experte damit umzugehen und Verletzungen zu vermeiden. Nein, hier hatten verborgene Mächte ihre Finger im Spiel. Winzig kleine Bewohner, die in den dunklen Tiefen des Rohrs hausten. Denn, was der Mann nicht bedacht hatte: Die langanhaltenden Gipsablagerungen waren zum Tummelplatz für allerlei Bakterien geworden.
Unter anaeroben Bedingungen nehmen Bakterien, was sie kriegen können – da fällt man auch schon einmal über einfaches Calciumsulfat (aus dem Gips besteht) her. Als Ergebnis der Bakterienaktivität entstand eine Menge Sulfid-haltiger Schlamm, der der Schwefelsäure nun zum Opfer fiel.
Jetzt gilt es, die Chemiekenntnisse aus Schule und Studium wieder hervorzukramen. In einer einfachen Säure-Base-Reaktion protoniert die Schwefelsäure das Sulfid. Es entsteht Schwefelwasserstoff – und damit wäre der Übeltäter, der den Tod des unglücklichen Klempners verursachte, überführt. Als Beweis blieb nur ein schwarz angelaufener Silberring zurück.
Schwefelwasserstoff wirkt, indem es die Atmung auf zellulärer Ebene unterbricht. Das Molekül ist in der Lage, verschiedene Enzyme zu hemmen, insbesondere die Cytochrom-c-Oxidase. Diese ist ein essentieller Teil der Atmungskette. Wird sie durch H2S blockiert, ist keine oxidative Phosphorylierung möglich – die Energieversorgung der Zellen wird unterbrochen.
Bei der Versorgung von Patienten mit einer H2S-Vergiftung kommt es vor allem auf eines an, nämlich die Sauerstoffzufuhr aufrecht zu erhalten. Erste Maßnahmen sind also, den Betroffenen schnellstmöglich an die frische Luft zu bringen und Sauerstoff zu geben; bei schwerer Vergiftung ist auch eine mechanische Beatmung angebracht. Weiterhin sollten aufgrund des lungenschädigenden Potentials Maßnahmen zur Prophylaxe von Lungenödemen ergriffen werden. Bei Überleben des Patienten ist allerdings im Nachgang mit neurologischen Langzeitfolgen zu rechnen.
Für den Klempner kam leider jegliche Hilfe zu spät.
Dieser Artikel basiert auf einem Twitter-Thread von Toxikologe Dr. Josh Trebach. Den echten Case Report, auf dem die Geschichte beruht, findet ihr hier.
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