Diskussion um den 2. Booster: Wem hilft er wirklich? Dazu liegen jetzt drei aktuelle Studien vor – mit neuen Empfehlungen.
Die Omikron-Variante hatte Ende vergangenen Jahres die israelische Regierung dazu veranlasst, eine vierte Dosis der erhältlichen mRNA-Impfstoffe anzubieten – insbesondere die vulnerablen Bevölkerungsgruppen sollten davon profitieren. Nun wurden von mehreren Seiten Daten zur Effektivität und Sicherheit der vierten Impfung veröffentlicht.
Nicht alle Studien schlossen bestimmte Risikogruppen oder ältere Teilnehmer ein. Eine israelische Untersuchung erfasste die Wirksamkeit einer zweiten Auffrischimpfung bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens. Insgesamt erhielten 274 Probanden vier Monate nach der ersten Booster-Impfung eine Auffrischung mit dem Corona-Impfstoff von Moderna oder Biontech/Pfizer.
Bei beiden mRNA-Impfstoffen konnten die Forscher eine 9- bis 10-fache Erhöhung der neutralisierenden IgG-Antikörpertiter beobachten – etwas höher als nach der ersten Auffrischimpfung. Beide Impfstoffe führten auch zu einer Erhöhung der Lebendneutralisierung der Omikron- und Delta-Variante sowie des Wildtyp-Virus um einen Faktor 10. Der tatsächliche Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion war dagegen nur gering: Die Impfeffektivität in Bezug auf Infektion lag bei 30 % für Biontech/Pfizer und 11 % für Moderna. Dagegen war die Impfstoffwirksamkeit gegen symptomatische Erkrankung etwas höher, nämlich 43 % für Biontech/Pfizer und 31 % für Moderna.
Sollte der Tweet nicht angezeigt werden, bitte die Seite neu laden.
„Unsere Daten belegen, dass eine vierte Dosis des mRNA-Impfstoffs immunogen, sicher und einigermaßen wirksam ist (hauptsächlich gegen symptomatische Erkrankungen)“, schreiben die Autoren. Außerdem zeigen ihre Ergebnisse, dass die maximale Immunogenität von mRNA-Impfstoffen bereits nach drei Dosen erreicht wird. Jedoch können eventuell abgesunkene Antikörperspiegel durch eine vierte Dosis wiederhergestellt werden, heißt es.
Die Forscher konnten allerdings beobachten, dass infizierte Mitarbeiter des Gesundheitswesens eine erhöhte Viruslast aufwiesen – trotz erhöhter Antikörpertiter. Neben einem vergleichsweise geringen Schutz vor Infektionen durch die vierte Impfung sei also zu vermuten, dass die erkrankten Personen trotzdem ansteckend waren. „Daher kann eine vierte Impfung gesunder junger Gesundheitsfachkräfte nur marginale Vorteile haben“, so die Autoren.
Anders sieht es bei Älteren und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen aus: Ein Preprint analysiert Daten des israelischen Gesundheitsministeriums von über einer Million über 60-Jähriger aus Januar 2022. Die Forscher verglichen dabei die Rate von bestätigten COVID-19-Erkrankungen und schweren Verläufen bei Personen, die mindestens 12 Tage und 3 bis 7 Tage zuvor eine vierte Dosis erhielten, und Probanden, die nur drei Dosen Comirnaty® bekamen. Die Rate der bestätigten Infektionen war bei Personen, die 12 oder mehr Tage zuvor die zweite Booster-Impfung erhielten, etwa 2-fach niedriger als in den anderen beiden Gruppen. Die Rate der schweren Erkrankungen war sogar um etwa das 4-Fache geringer. Allerdings: Das absolute Risiko für schwere Infektionen war extrem gering, auch in der Gruppe mit "nur" drei Impfungen. Auf über 20.000 Geimpfte kam ein schwerer Verlauf, bei Vierfach-Impfung war es einer auf gut 70.000 Geimpfte.
Eine retrospektive Kohortenstudie kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Das Preprint enthält ebenfalls Daten aus Israel zu Personen ab einem Alter von 60 Jahren. Auch hier verglichen die Forscher Personen, die zwei Boosterimpfungen mit Comirnaty® erhielten und Personen, die lediglich einen Booster erhalten hatten. Unter den 328.597 Probanden mit vierter Impfung sind 92 Personen aufgrund einer COVID-19-Erkrankung gestorben – bei den 234.868 Teilnehmern mit nur drei Impfdosen waren es dagegen 232. Das entspreche einer relativen Reduktion der Mortalität von 78 %. Absolut sank das Risiko im Studienzeitraum von 0,099 % nach drei Impfungen auf 0,028 % nach vier Impfungen.
Allerdings weisen beide Studien ein recht kurzes Follow-up auf. Es ist also unklar, wie dauerhaft der, verglichen mit dem deutlichen Sprung von der zweiten zur dritten Impfung, eher kleine Vorteil nach Viertimpfung ist.
Ein Vorteil der israelischen Studien: Die Daten wurden in einem Zeitraum gesammelt, in dem Omikron eine dominierende Variante war. Daher sind sie auf die aktuelle Pandemie-Situation übertragbar. „Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass eine vierte Dosis in der Lage ist, einen zusätzlichen Schutz vor einer bestätigten Infektion und einer schweren Erkrankung mit Omikron zu bieten, im Vergleich zu drei Impfstoffdosen, die mindestens vier Monate zuvor verabreicht wurden“, erklären die Autoren.
Unterdessen warnt Prof. Andreas Radbruch, Immunologe und Vizepräsident der Föderation europäischer immunologischer Fachgesellschaften (EFIS), vor exzessivem, wiederholtem Boostern. In seiner Stellungnahme im Zusammenhang mit der Anhörung des Deutschen Bundestags zu der geplanten Impfpflicht erklärt er, dass ein Schutz vor Infektion nur kurzfristig – über einen Zeitraum von wenigen Wochen bis Monaten – gelte und von Antikörpern auf den Schleimhäuten abhänge.
Das häufige Boostern mit demselben Impfstoff und derselben Impfstoffdosis ins gleiche Gewebe „sättige“ das Immunsystem und sei deswegen kontraproduktiv, da die Antikörper des immunologischen Gedächtnisses aus vorherigen Impfungen eine effektive Immunreaktion auf den Booster verhinderten. Spätestens nach einer 5. Impfung gebe es wegen dieses Effekts keinen Schutz mehr vor Infektionen, und auch nach der 4. Impfung liege dieser – wie u.a. die israelischen Daten zeigen – gerade mal zwischen 11 % und 30%. „Man hat also durch dreimaliges Boostern quasi sein ‚immunologisches Pulver verschossen'“, so Radbruch. Ein besonderes Problem dabei sei, dass das Immunsystem auch auf angepasste, neue Impfstoffe nicht mehr optimal reagiere, ein Phänomen, das als „original antigenic sin“ bezeichnet werde.
Aktuell empfiehlt die STIKO eine 2. Auffrischimpfung mit einem der beiden erhältlichen mRNA-Impfstoffe lediglich „besonders gesundheitlich gefährdeten bzw. exponierten“ Personen. Dazu zählen Personen ab 70 Jahren sowie Menschen mit Immunsuppression ab 5 Jahren, aber auch Personal des Gesundheitswesens oder Pflegeeinrichtungen, die insbesondere mit Risikogruppen in Kontakt stehen.
Aktuell wirbt auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach EU-weit für eine vierte Corona-Impfung für alle ab 60 Jahren: „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Covid-Pandemie nicht zu Ende ist in Europa. Wir haben sehr hohe Fallzahlen, wir haben leider auch sehr hohe Sterbezahlen.“ Er wolle die Diskussion einer europäischen Empfehlung für die vierte Dosis in dieser Altersgruppe anstoßen. Dadurch könne auch eine fast 80-prozentige Senkung der Omikron-Sterblichkeit bei den über 60-Jährigen erreicht werden.
Lauterbach wies auch darauf hin, dass sich die Entwicklung eines angepassten Impfstoffs verzögere und wahrscheinlich erst im Herbst damit gerechnet werden kann. Derweil sind uns die US-Amerikaner einen Schritt voraus: Die FDA gab diese Woche eine Notfallzulassung für die zweite Auffrischungsimpfung bei über 50-Jährigen sowie immungeschwächten Menschen ab 12 Jahren frei. Diese Personen können sich die vierte Dosis frühestens vier Monate nach der ersten Booster-Impfung verabreichen lassen. Diese Zulassung gilt für die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.
Bildquelle: Dustin Humes, Unsplash