Aktuelle Literaturempfehlungen
Neue große Studien zu Vitamin-D außerhalb Knochengesundheit waren fast durchgehend negativ. Grundlagen der Vitamin-D-Supplementation bleiben also auf absehbare Zeit Rachitisprophylaxe und Osteoporose. Die hohe Diversität im Vitamin-D-Markt scheint ein gewisses Risiko darzustellen, besonders aufgrund einer Vielzahl von Präparaten mit dem regulatorischen Hintergrund eines Nahrungsergänzungsmittels und in der Aufmachung von Arzneimitteln. Im Einzelfall kann das ernste Folgen haben. Wohltuend ist dabei das leicht zu überschauende und harmonisierte Angebot qualitativ hochwertiger Vitamin-D-Arzneimittel.
1. Studienupdate
Die Vitamin-D-Supplementation (Colecalciferol, Vitamin-D3) zur Behandlung und Prophylaxe einer Vitamin-D-Mangel-Rachitis bei Kindern oder von Osteoporose bei Erwachsenen ist akzeptierter Stand der Therapie gemäß klinischen Leitlinien (DGKED 2016, Dachverband Osteologie 2017). Für eine Indikationserweiterung über Skeletterkrankungen hinaus sprachen eine Reihe epidemiologischer Assoziationsstudien, die aber zu Recht als methodisch unzureichend kritisiert wurden. Eine einfache Assoziation stellt eben nicht die für die Therapieentscheidung notwendige Kausalität her, weniger noch die Richtung der Kausalität, und kann einfach nur ein Epiphänomen als zufällige oder sehr entfernte Koinzidenz von Zuständen und Ereignissen abbilden.
Zu Beginn des Jahres 2022 ist Stefan Pilz und Winfried März von der Medizinischen Universität Graz und der Medizinischen Fakultät Mannheim (Universität Heidelberg) mit weiteren Autoren eine hervorragende, weil einfache und klare, Darstellung der aktuellen therapeutisch-wissenschaftlichen Entwicklung zum Vitamin-D gelungen (Pilz et al. 2022). Seit einigen Jahren war versucht worden, aus den Assoziationsstudien abgeleitete Hypothesen etwa zu Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Infektionen u.a. in randomisierten, prospektiven, plazebokontrollierten Studien zu verifizieren. Die Ergebnisse wurden nun überwiegend publiziert, womit ein Kulminationspunkt der wissenschaftlichen Entwicklung zu Vitamin-D erreicht ist. Hoffnungen auf eine Bestätigung der therapeutischen Intervention mit Vitamin-D auch außerhalb von Knochengesundheit wurden aber anhand der primären Endpunkte beispielsweise in den drei größten Studien Vitamin-D-and-Omega3-Trial (VITAL, USA, Stichprobe n = 25.871, Studiendauer 5,3 Jahre), Vitamin-D-Assessment-Study (ViDA, Neuseeland, n = 5.108, 3,3 Jahre) und Vitamin-D3-Omega3-Home-Exercise-Healthy-Ageing-and-Longevity-Trial (DO-HEALTH, Schweiz, Frankreich, Deutschland, Portugal, Österreich, n = 2.157, 3 Jahre) durchgehend enttäuscht. Weitere, aus Hunderten von explorativen Tests einzeln herausgegriffene signifikante Auswertungen sekundärer Endpunkte und in Subgruppenanalysen können naturgemäß leider ebenfalls nicht als bestätigend, sondern wie Assoziationsstudien nur als hypothesengenerierend gelten, selbst wenn diese gerne in Form von „Tochterstudien“ o.ä. publiziert und zitiert werden. Als mögliche Ursache der negativen Ergebnisse diskutieren Pilz und Koautoren v.a. einen bereits zu guten Vitamin-D-Status der Plazebogruppen und einen für die untersuchten Endpunkte niedriger als erwarteten Grenzwert ausreichender Versorgung um 16 ng/ml 25-Hydroxyvitamin-D (Calcidiol). Über 16-20 ng/ml Calcidiol im Blutserum erreichen die meisten Teilnehmer der klinischen Studien für diese Endpunkte bereits ein Plateau der Dosis-Wirkungs-Beziehung. Im Unterschied zu üblichen Pharmastudien ist eine Basisversorgung mit der Untersuchungssubstanz, hier Vitamin-D, ja auch in der Plazebogruppe unvermeidbar. Eventuell ist die Basisversorgung mit Vitamin-D in einer klinischen Studie auch höher als normal, da die Teilnehmer entsprechend in ihrem Verhalten sensibilisiert sind? Immerhin konnte das Einbringen dieser Studien in aktualisierte Metaanalysen eine reduzierte Krebsmortalität und verringerte akute Atemwegserkrankungen berechnen. Weiterhin konnte die Vitamin-D-Supplementation in den verwendeten Dosen bis etwa 4.000 I.E. pro Tag zumindest als sicher eingeschätzt werden. Zur Verbesserung zukünftiger Studien wird beispielsweise vorgeschlagen, individualisierte Therapien und jahreszeitliche Einflüsse besser zu berücksichtigen.
2. Aktuelle Kasuistiken einer Intoxikation infolge von Anwendungsfehlern
Zwei weitere aktuelle Publikationen der Fachliteratur prägen sich ein, es geht um Vergiftungen bei Kindern.
In der ersten Kasuistik wurde bei einem drei Monate alten Säugling die übliche Verordnung von Vitamin-D-Tropfen (10.000 I.E. pro Milliliter, 300 I.E. pro Tropfen) ausgetauscht, ohne die viel höhere Konzentration im neuen Präparat (10.000 I.E. pro Tropfen) zu beachten. Das Kind erhielt 4-5 Tropfen pro Tag (40.000-50.000 I.E.) des online bezogenen Ersatzpräparats, welches für eine Dosis von einem Tropfen pro 10 Tage ausgelegt ist - eine für sich schon exotische und formal wenig plausible und damit fehlerträchtige Dosierungsanleitung. Die Intoxikation mit Anorexie, Erbrechen und Gewichtsverlust bei Hypercalcämie, Calcidiol im Serum über und Parathormon unter dem methodischen Messbereich erforderte eine zweiwöchige stationäre Behandlung und schloss potenzielle Komplikationen wie Nephrocalcinose ein. In ihrer Diskussion beklagen die Autoren das verwirrende Angebot von Vitamin-D-Produkten sehr zahlreicher Anbieter in einer hohen Zahl verschiedener Darreichungsformen, Dosen/Dosierungsanleitungen und Arten der Anwendung. Das wird v.a. durch den unterschiedlichen Marktzugang auf regulatorischer Ebene (Nahrungsergänzungsmittel u.ä., sogar als Medizinprodukt, Arzneimittel) begünstigt, wobei die Aufmachung und die Darreichungsform (Kapseln, Tabletten, Tropfen) überwiegend arzneimitteltypisch sind. Für die Registrierung als Nahrungsergänzungsmittel o.ä. oder als Medizinprodukt bestehen dabei viel niedrigere regulatorische Hürden verglichen mit Arzneimitteln, was zu geringeren Standards u.a. auch der Herstellung einschließlich des Wirkstoffgehalts führt. Für die Vermarktung eines Arzneimittels ist dagegen der Bescheid einer Zulassung durch eine vom Gesundheitsministerium eingesetzte Behörde notwendig, die ein eingereichtes wissenschaftliches Dossier zur pharmazeutischen Qualität, medizinischen Wirksamkeit und Sicherheit begutachtet. Als nur zwei Beispiele zum Inhalt dieses Dossiers seien ein Wirkstoffgehalt von 95-105% des Sollwerts für die gesamte Zeit der Haltbarkeit mit entsprechenden Stabilitätsstudien in drei Temperatur- und Luftfeuchtebereichen, sowie eine Studie zur Verständlichkeit der Gebrauchsinformation genannt. Nicht zu unterschätzen ist der stark harmonisierende Effekt der strengen Vorgaben und beim Zulassungsbescheid im Arzneimittelbereich, was eine viel einheitlichere Ausführung dieser Produkte mit sich bringt. Nachdenklich und ratlos stimmen deshalb mangelhafte Begründungen für den Austausch des verordneten Arzneimittels („medicinal vitamin D“) durch ein Nahrungsergänzungsmittel („dietary supplement“) im publizierten Fall, nämlich ein „natürlicher“ Ursprung des Nahrungsergänzungsmittels im Gegensatz zu einem vorgeblichen Risiko durch nicht näher bezeichnete hormonelle Störsubstanzen und mögliche Konservierungsmittel in Arzneimitteln (Gerard et al. 2022).
In einer zweiten Kasuistik erhielt ein vierjähriges Mädchen mit Mukoviszidose eine Verordnung zur individuellen Herstellung eines Multivitaminpräparates inkl. Vitamin-D in der Apotheke, eine sog. ADEK-Kombination. Durch einen Herstellungsfehler aufgrund extrem unterschiedlich konzentrierter Stammlösungen der verschiedenen Vitamine ergab sich eine 10.000-fache Überdosis mit Vitamin-D. Die Intoxikation erschien klinisch unspezifisch und zunächst mit Diabetesverdacht als gastrointestinale Symptomatik, Polydipsie, Gewichtsverlust, Müdigkeit und nächtliche Krämpfe der Beine bei dann aber diagnosestellenden Befunden einer Hypercalcämie, erhöhtem Calcidiol im Serum (1.675 ng/ml) und verringertem Parathormon. Die stationäre Behandlung mit intravenöser Hyperhydration, Schleifendiuretika und Bisphosphonat führte nach vier Tagen zu normalen Calciumwerten. Calcidiol im Serum benötigte aber sechs Monate für Werte in der Nähe des Normalbereichs (Nauwynck et al. 2022).
Fazit: Für alle Teilnehmer des Vitamin-D-Marktes schafft die sehr hohe Zahl von Angeboten ein schwer zu überblickendes und auch fehlerträchtiges Umfeld. Treiber dieser überschäumenden Diversität scheint v.a. die Registrierung von Vitamin-D-Präparaten als Nahrungsergänzungsmittel zu sein.
Vitamin-D-Angebot von Fertigarzneimitteln in der Apotheke
Die beklagte Unübersichtlichkeit der Vitamin-D-Angebote soll Anlass einer kurzen Strukturierung sein. Um nur die in den Apotheken vorhandene hohe Qualität zu nutzen, selbstverständlich haben auch Nahrungsergänzungsmittel eine grundsätzlich hohe Qualität, werden nur die Einträge des Recherchewerkzeugs der ABDA-Datenbank Lauertaxe® berücksichtigt. Dementsprechend sind in Deutschland 3.601 Artikel mit Colecalciferol im Angebot, davon 290 Artikel als Monopräparate (Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel). Beschränkt man sich allein auf die noch höhere Qualität der Arzneimittel, reduziert sich die Auswahl auf 376 Artikel, davon 178 Artikel in der Zweierkombination mit Calcium und 97 Artikel als Vitamin-D-Monopräparate. Da pro Präparat mehrere Artikel geführt werden (verschiedene Stärken und Packungsgrößen) reduziert sich das Angebot weiter auf immer noch 56 Präparate der Kombination mit Calcium sowie letztlich auf relativ übersichtliche 14 Vitamin-D-Monoarzneimittel. Diese 14 Präparate, 8 verschreibungspflichtig (Rx, gebräuchliche Abkürzung für lat. „recipe“), 6 apothekenpflichtig (OTC, von engl. „over the counter“), sind das Angebot für Patienten mit ausreichender Calciumzufuhr über die Ernährung, die, bzw. deren Ärzte, die hochwertige Qualität eines Arzneimittels bevorzugen. Für Rx- und OTC-Präparate muss der Patient zwar eine Zuzahlung von 5 Euro leisten, sie werden aber über 5 Euro hinaus bei einer ärztlichen Verordnung auf rosa Rezept von der GKV erstattet. Die der GKV berechnete Erstattung ist mit beispielsweise etwa 30 Euro für ein Arzneimittel mit 20.000 I.E. Colecalciferol in wöchentlicher Anwendung, also ausreichend für nahezu ein Jahr, sehr niedrig. Aber auch in der Selbstmedikation, im OTC-Bereich nach grünem Rezept, sind die Kosten für Selbstzahler mit etwa ab 8 Euro für eine Quartalspackung ausgesprochen günstig (Lauer-Fischer 2022).
Fazit: Vitamin-D-Arzneimittel können als exklusives und trotzdem sehr preiswertes Angebot zur Unterstützung und Verbesserung der Knochengesundheit gelten.
Literatur
1. Dachverband der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e.V.. Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern. 2017 (https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/183-001l_S3_Osteoporose-Prophylaxe-Diagnostik-Therapie_2019-02.pdf)
2. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED). S1-Leitlinie – Vitamin-D-Mangel-Rachitis. 2016 (https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/174-007l_S1_Vitamin-D-Mangel_Rachitis_2016-04-abgelaufen.pdf)
3. Gérard AO, Fresse A, Gast M, Merino D, Gourdan P, Laurain A, Margaritis I, Gauci PA, Huret F, Parassol N, Rocher F. Case report: Severe hypercalcemia following vitamin D intoxication in an infant, the underestimated danger of dietary supplements. Front Pediatr 2022; 10: 816965. (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8844365/pdf/fped-10-816965.pdf)
4. Lauer-Fischer. 2022. (https://www.cgm.com/deu_de/produkte/apotheke/lauer-taxe.html)
5. Nauwynck E, Vanbesien J, De Schepper J, Gies I, Van Leynseele A, De Wachter E, Hauser B, Staels W. Everything in excess is opposed to nature, even vitamin D: a case report. Endocrinol Diabetes Metab Case Rep 2022; 2022: 21-0181. (https://edm.bioscientifica.com/view/journals/edm/2022/1/EDM21-0181.xml)
6. Pilz S, Trummer C, Theiler-Schwetz V, Grübler MR, Verheyen ND, Odler B, Karras SN, Zittermann A, März W. Critical appraisal of large vitamin D randomized controlled trials. Nutrients 2022; 14: 303. (https://www.mdpi.com/2072-6643/14/2/303)