Ärzte, die nicht ärztlich tätig sind, müssen dennoch Kammerbeiträge zahlen. Richtig so – oder unverschämt?
In Deutschland will alles klar geregelt sein – dem landeseigenen Föderalismus verdanken wir daher in vielen Bereichen einen Flickenteppich an Regelungen und Ordnungen, an die man sich zu binden hat. Das System der Kammerbeiträge ist dafür ein Paradebeispiel. Es gilt sowohl für Ärzte, die im medizinischen Bereich tätig sind, als auch für Mediziner, die nach absolviertem Studium einen anderen Berufsweg eingeschlagen haben.
Für die letztere Gruppe galt lange Zeit: In Sachen Kammerbeitrag ist die Messe mit Ende der ärztlichen Tätigkeit gelesen. Während ärztlich tätige Kollegen einkommensabhängige Jahresbeiträge leisten, die im Einzelfall vierstellig werden können, konnten sich nicht ärztlich tätige Ärzte einfach abmelden. Doch diese Zeiten scheinen vorbei. Peu à peu fallen in ganz Deutschland die letzten Bastionen in Sachen Beitragsfreiheit für berufsfremd Tätige.
Immerhin einig sind sich die Kammern von Flensburg bis München darüber, wer überhaupt Arzt ist – darüber sollte man sich vielleicht schon freuen, wenn man sich den Sondergruppierungen, Ausnahmen und Begründungen hingibt, die da für eine Beitragsbemessung ins Spiel gebracht werden.
So gilt häufig die Definitionsgrundlage: „Ärztliche Tätigkeit im Sinne dieser Regelung ist die Behandlung von Patienten sowie jede Tätigkeit, bei der medizinische Kenntnisse angewendet oder mitverwendet werden (z. B. in Lehre und Forschung, Industrie, Wirtschaft, Medien, bei Behörden, Körperschaften, Vereinen und dergleichen), unabhängig davon, ob sie als Haupt- oder Nebentätigkeit ausgeübt wird.“
Juristisches Gewicht erhielt die Definition nach einer Klage aus dem Jahr 2010, in dem eine Krankenhaus-Verwaltungsbeamtin gegen die Abgabe des Kammerbeitrags vor Gericht zog – und unterlag. Die Richter des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg kamen zu dem Schluss, dass der Begriff der „ärztlichen Tätigkeit“ im Sinne der Beitragsordnung einer Ärztekammer nicht mit einer „approbationspflichtigen Tätigkeit“ gleichzusetzen, sondern weiter zu verstehen sei. Wörtlich heißt es in der Urteilsbegründung: „Ein heilkundlicher Beruf […] wird bereits dann ausgeübt, wenn der Approbierte einer Tätigkeit nachgeht, bei der er die Kenntnisse und Fähigkeiten, die Voraussetzung für seine Approbation waren, einsetzt oder auch nur einsetzen oder mit verwenden kann. Der gesetzliche Auftrag der [Ärztekammern], die Gesamtbelange des Berufsstandes zu wahren, rechtfertigt es, alle ärztlichen Tätigkeitsbereiche zu erfassen, also auch ‚Randgruppen‘, die in Grenzbereichen zu anderen Wissenschaften tätig sind.“
So viel zur Bundeseinheitlichkeit. Nun heißt es aufgepasst für all die Medizinjournalisten, Verwaltungsbeamte und andere da draußen mit medizinischen Wurzeln, aber alternativen Lebensplänen. Reißen wir's wie ein Pflaster ab und fassen das Negative kurz und (hoffentlich) schmerzlos zusammen. Ihr zahlt in aller Regel einen Kammerbeitrag. Euer Lichtblick: Ihr fallt häufig nicht in die Bemessungsgrenzen und -tabellen, die für die ärztlich tätigen Kollegen angelegt sind und dürft euch über weit niedrigere Abgaben freuen. Wie niedrig diese sind, ist … Trommelwirbel ... von Ärztekammer zu Ärztekammer natürlich unterschiedlich.
So habt ihr beispielsweise finanziell gesehen Glück gehabt, wenn es euch beruflich nach Brandenburg, Westfalen-Lippe oder Sachsen verschlagen hat – dort zahlt ihr 10, 13 bzw. 15 Euro. Anders sieht es beispielsweise im (Süd-) Westen aus. Laut Gebührenordnung zahlen Tierärzte hier 217 Euro, Zahnärzte und Humanmediziner im Gebiet der Ärztekammer Nordrhein 120 bzw. 80 Euro. Neben den Festbeträgen existiert auch ein anderes Modell, beispielsweise in Baden-Württemberg: „Kammermitglieder, die vorwiegend theoretisch-wissenschaftlich oder organisatorisch-administrativ tätig sind, entrichten 80 Prozent des sich individuell ergebenden Beitrags“, erklärt Dr. O. Erens von der Ärztlichen Pressestelle. Der individuelle Beitrag ergibt sich dabei zunächst aus 0,44 Prozent des Bruttoverdienstes.
On top gibt es natürlich jede Menge Ausnahmen und Sonderregeln, wie sie auch bei den ärztlich tätigen Kollegen bestehen – beispielsweise je nachdem, ob generell das ganze Jahr über Einkünfte bestanden (z. B. im Saarland), oder ob erst im Laufe des Jahres eine berufsfremde Tätigkeit aufgenommen wurde (z. B. in Sachsen).
Klar ist: In den vergangenen Jahren sind mehr und mehr Kammern dazu übergegangen, auch berufsfremd Tätige in die Gebührenzahlerlisten mit aufzunehmen. Selbst die Zahn- und Tierärztekammern haben sich dem angeschlossen. Mit der Änderung der Beitragssatzung der Zahnärztekammer Nordrhein hat zum 1. Januar 2022 eine der letzten Bastionen das Handtuch der Beitragsfreiheit für berufsfremd Tätige geworfen.
„Ich verstehe diese Beiträge für nicht ärztlich tätige Mitglieder nicht. Was genau tun die denn für mich? Das ist wie GEZ zahlen ohne Fernseher“, reagiert Dr. A. Fingerhut aus Mönchengladbach* auf die Erhebung des Beitrags in seinem Bezirk. Andere sehen das anders: „Ich kann mit einem niedrigen Festbetrag gut leben“, sagt Dr. Daniel Humann* aus Berlin, der seinen Lebensunterhalt in der Industrie verdient und der in Berlin erst seit wenigen Jahren Kammerbeiträge zahlen muss. „Die Kammern erfüllen wichtige Aufgaben, wenn auch nicht direkt für mich.“
Doch es gibt sie auch trotzdem noch – die Ausnahmen. Nur kommt es dabei eben nicht mehr auf die regionale Zugehörigkeit als viel mehr auf Rand- und Sondergruppenzugehörigkeit an. Ganz aus der Rechnung fallt ihr beispielsweise in vielen Kammergebieten, wenn ihr eine gewisse Altersgrenze überschritten habt (bspw. 75 in Schleswig-Holstein), wenn ihr in Mutterschaftsurlaub oder Elternzeit (bspw. Mecklenburg-Vorpommern) oder wenn ihr arbeitslos gemeldet seid (z. B. In Niedersachsen).
Und warum das Ganze? Für klinisch tätige Ärzte übernehmen Kammern eine ganze Reihe von Dienstleistungen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der ärztlichen Fortbildung. Davon machen berufsfremde Ärzte aber meistens keinerlei Gebrauch. Wer die Kammern fragt, bekommt in der Regel vage Antworten: Verwaltungsaufgaben und Informationsangebote. Doch das geht auch ausführlicher. In der Begründung der Zahnärztekammer Nordrhein heißt es: „Hintergrund ist, dass auch [nicht zahnärztlich tätige] Mitglieder Partizipationsrechte bei der Zahnärztekammer Nordrhein und beispielsweise auch Zugriff auf Informationsangebote haben.“
In Berlin, wo berufsfremd Tätige seit 2020 Kammerbeiträge abgeben, gab es einen längeren Weg der Entscheidungsfindung für die Gebühren. Auf Anfrage heißt es: „Auslösendes Motiv des Anstoßes der Entscheidungsfindungsprozesse war der Umstand, dass nur noch 58 Prozent aller Kammermitglieder einen Mitgliedsbeitrag zahlten, 42 Prozent hingegen nicht. Die Ärztekammer Berlin hat jedoch in Bezug auf alle Mitglieder einen Mindestverwaltungsaufwand bzw. verschafft allen Mitgliedern potentielle Mindestvorteile wie z. B. die Ausgabe des Arztausweises.“
Auch die Ausstellung des Heilberufsauweises ist für die Kammern ein Punkt, der für die Beitragspflicht spricht. „Ein Arzt, der Kammermitglied ist […], bekommt einen Arztausweis und kann die Kammer in Anspruch nehmen wie andere Ärzte auch“, heißt es von der Ärztekammer Nordrhein. Auch die Kollegen in Baden-Württemberg nennen diesen Punkt und ergänzen das Angebot sogar um den neueren elektronischen Ausweis.
Letztlich bleibt für alle, die sich als Mediziner berufsfremd einen Lebensplan entwerfen, aktuell nur das Wissen, für einen gewissen Obolus Teil des medizinischen Systems zu sein und zu bleiben. Vielleicht ist es ja am Ende auch gar nicht so schlecht, einen Fuß weiterhin in der Tür zu haben. Lediglich an dem Flickenteppich könnte wohl ein wenig weitergenäht werden – sodass es mal eine schöne Decke wird.
* Namen von der Redaktion geändert
Bildquelle: Francisco, unsplash