Jacifusen konnte die klinische Progression einer aggressiven ALS-Form beinahe vollständig stoppen. Die nach der Patientin Jaci Hermstad benannte ASO-Therapie ist die neue Hoffnung für genetisch bedingte ALS.
Ein Artikel von Patrick Heinz
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine Motoneuronerkrankung, ist eine schwere neurologische Erkrankung, die sich durch die progrediente Degeneration des ersten und zweiten Motoneurons bemerkbar macht. Die klinische Beschwerdesymptomatik äußert sich sowohl durch schlaffe, atrophe Paresen mit im Verlauf möglichen sichtbaren muskulären Faszikulationen, als auch durch spastische Paresen mit gesteigertem Reflexniveau. Häufig tritt bei Befall der motorischen kaudalen Hirnnervenkerne eine bulbäre Symptomatik mit schweren Schluck- und Sprechstörungen auf. Der fatale Krankheitsverlauf führt nach wenigen Jahren meist zur respiratorischen Insuffizienz und Komplikationen wie bspw. Aspirationspneumonie und Malnutrition.
Die Ätiologie der ALS ist in den meisten Fällen unbekannt, es sind jedoch bereits eine Reihe genetischer Formen mit festgelegten pathogenen Mutationen bekannt – diese machen etwa 15 % aller Krankheitsfälle aus. Während es für die sporadische ALS noch immer keine kausal wirksame Therapie gibt, konnten zuletzt zunehmend vielversprechende Therapieansätze für einige genetische Formen entwickelt werden.
Mutationen im sogenannten FUS-Protein (fused in sarcoma) sind hierbei mit der aggressivsten Form einer Early-Onset-Form der ALS vergesellschaftet. FUS spielt physiologisch als RNA-bindendes Protein eine Rolle in der DNA-Reparatur und dem RNA-Metabolismus. Forscher an der Columbia-Universität in New York konnten tierexperimentell durch entsprechende FUS-Mutationen eine Gain-of-Function-Toxizität nachweisen. Dabei kommt es nicht zu einem Funktionsverlust, sondern zur vermehrten Bildung unlöslicher Proteinaggregate mit konsekutivem Neuronenuntergang.
Mit dem Wissen um den pathophysiologischen Krankheitsprozess konnte die Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden (ASO) im Mausmodell die Aktivität des mutierten FUS-Gens bereits senken.
Die 25-jährige Jaci Hermstad litt an einer gesicherten FUS-P5252L-Mutation, die eine sich früh manifestierende und schnell progrediente ALS-Form auslöste. Seit 6 Monaten bestanden Krankheitssymptome. Die Zwillingsschwester der Patientin war bereits Jahre zuvor an eben dieser ALS-Form verstorben.
Zu Beginn der experimentellen Therapie konnte die Patientin nicht mehr selbstständig gehen, eine nichtinvasive Beatmung war nötig. Mit einer Reduktion von 5-7 Punkten pro Monat auf der ALS Functional Rating Scale-Revised (ALS-FRS-R) (Maximalwert 48 Punkte) bestand eine dramatisch rasche Krankheitsprogression. Aufgrund der prekären, aussichtslosen therapeutischen Situation wurde durch das US-Repräsentantenhaus eine Sonderzulassung für die ASO-Therapie ausgesprochen – noch vor Erhalt aller Ergebnisse aus den Tierversuchsreihen. Die Therapie umfasste in 10 Monaten insgesamt 12 intrathekale Infusionen des ASO Jacifusen, welches sich gegen die mutierte Prä-mRNA des FUS-Gen richtete.
Unter Behandlung zeigte sich das Fortschreiten der klinischen Beschwerdesymptomatik im ALS-FRS-R deutlich gebremst, im letzten halben Jahr der Therapie stagnierte das Funktionsniveau der Patientin. Die Therapie wurde gut vertragen, kam tragischerweise für die Patientin aber dennoch zu spät. Die Patientin verstarb infolge respiratorischer und bulbärer Dysfunktion 18 Monate nach Krankheitsbeginn.
Post mortem konnte das Therapiekonzept in der pathologischen Untersuchung gestützt werden. Neurotoxische FUS-Aggregate waren in den verbliebenen Motoneuronen der Patientin im Vergleich zu einem Biopsat eines unbehandelten Kontrollpatienten deutlich vermindert nachweisbar. Eine derzeit laufende Phase-III-Studie mit symptomatischen FUS-ALS-Patienten soll das Therapiepotential von Jacifusen weiter untersuchen. Möglicherweise kann zukünftig auch asymptomatischen Mutationsträgern diese ASO-Therapie angeboten werden und den Krankheitsausbruch verzögern oder komplett verhindern.
Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
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