Medizinisch betrachtet sind elektromagnetische Felder von Handys und WLAN unbedenklich – zumindest gibt es keine Beweise für das Gegenteil. Aber stimmt das wirklich?
„Bisher gibt es keine eindeutigen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und gesundheitlichen Beschwerden.“ Diese Einschätzung der Lage teilt Michael Witthöft, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Mainz, mit vielen anderen Wissenschaftlern – aber nicht alle sehen das so. Was wissen wir über die Auswirkungen der elektromagnetischen Strahlung von Handys und WLAN und was nicht?
Zunächst einmal die Grundlagen: Elektromagnetische Strahlung aus dem Radiowellenspektrum geht durch die meisten Materialien hindurch – nur so können Handys und das Internet überhaupt funktionieren. Gehen die Strahlen etwa durch einen Menschen, verlieren sie einen Teil ihrer Energie an den Körper. Manche Gewebe nehmen sie schneller auf als andere, was vor allem am Wassergehalt liegt. Mehr Wasser, schnellere Aufnahme. Ab einer gewissen Energiemenge erhitzt sich das Gewebe.
Eine wichtige Größe dabei ist die spezifische Absorptionsrate (SAR), die Energie, welche in einer bestimmten Zeit von einem Körper oder biologischen Gewebe aus einem elektromagnetischen Feld aufgenommen und in Wärme umgewandelt wird. Gemessen wird die SAR in Watt pro Kilogramm (W/kg), und eine SAR von 4 W/kg sorgt etwa für eine Erwärmung des Gewebes um 1 Grad Celsius.
Bei Handys gilt in Deutschland ein Grenzwert von 2 W/kg. Mehr Strahlung dürfen die Geräte nicht aussenden und bei den meisten liegen die SAR-Werte deutlich darunter. Was das WLAN angeht: Allein durch die größere Distanz der Sender vom Körper kommt nur ein Bruchteil der Strahlung bei uns an. Aber auch von der WLAN-Verbindung eines Laptops direkt vor unserer Nase, bekommen wir sehr wenig ab.
Den größten Anteil der Energie fängt zudem die Haut auf, kaum etwas gelangt bis ins Gehirn oder andere innere Organe und der Körper kann die Temperaturänderungen in der Regel schnell ausgleichen.
„Keine eindeutigen Hinweise auf einen Zusammenhang“ bedeutet im Übrigen nicht, dass es keine Untersuchungen dazu gibt. Die meisten davon zeigen aber keine negativen gesundheitlichen Folgen von elektromagnetischen Feldern, wie sie in der Realität vorkommen.
Etwas Verunsicherung kam auf, als die International Agency for Research on Cancer (IARC) hochfrequente Felder als „möglicherweise krebserregend“ einstufte. Das hat allerdings nichts mit einer Risikoeinschätzung zu tun, darauf weist Prof. Achim Enders, Leiter des Instituts für Elektromagnetische Verträglichkeit der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, hin. „Man googele einmal, was noch alles an Substanzen aus dem Alltag in dieser IARC-Kategorie dabei ist, zum Beispiel auch Aloe Vera.“
Eine im März 2022 veröffentlichte große Studie kam gerade zu dem Schluss, dass die Handynutzung das Risiko für Hirntumoren nicht erhöht.
Tatsächlich gibt es aber einige wissenschaftliche Veröffentlichungen, die gesundheitsgefährdende Wirkungen von elektromagnetischer Strahlung nahelegen. Woran liegt es, dass die meisten Experten dennoch sehr entspannt und zuversichtlich sind?
Zum einen daran, dass häufig viel höhere SAR-Werte getestet wurden als gesetzlich zugelassen. Was bei 6 W/kg passiert, hat wenig damit zu tun, welche Veränderungen wir bei unter 2 W/kg finden – das ist ja auch der Sinn des Grenzwertes.
Oft untersuchten die Wissenschaftler außerdem Zellen in der Petrischale oder Tiere. Solche Ergebnisse lassen sich schwer direkt auf den Menschen übertragen. Studien mit Menschen hingegen verlassen sich häufig auf Fragebögen, etwa zur Handynutzung. Sie lassen deshalb keinen Rückschluss auf die genaue Strahlenbelastung zu und schließen zudem viele weitere Faktoren nicht aus, welche die Ergebnisse beeinflussen könnten. Die Methodik lässt also zu wünschen übrig. Verbreitet werden diese Studien aus einem anderen Grund, vermutet Witthöft: „Mit schlechten Meldungen errege ich sofort Aufmerksamkeit. Mit ‚alles ist sicher‘ bekomme ich keine guten Überschriften.“
Besorgte Autoren von Übersichtsstudien weisen auf solche Problematiken nicht hin und unterscheiden sich auch in einem weiteren Punkt von objektiveren Analysen: Sie fordern dringend Veränderungen der Gesetze und der Politik. Cindy L. Russel, Schönheitschirurgin und Executive Director der Organisation Physicians for Safe Technology vergleicht die Situation mit dem Rauchen: Früher habe es dazu auch viel Leugnung und Verwirrung gegeben. Sie schließt ihren Aufsatz mit „Wenn wir keine Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und auf eindeutige Beweise für die Schäden warten, wird es dann irgendwann zu spät für manche oder alle von uns sein?“ Mit wissenschaftlich fundierten Fakten haben solche Aussagen eher nichts zu tun, angesichts der Analysen, welche die Strahlungen unterhalb der Grenzwerte als sicher befinden.
Dass mögliche Temperaturveränderungen durch die Strahlen unter 2 W/kg kein nennenswertes Problem sind, haben wir schon besprochen. Weitere Bedenken gibt es bei nicht-thermischen Effekten. So weisen Autoren aus Kasachstan 2019 darauf hin, dass die Strahlung unsere DNA beschädigen könnte. Sie betonen allerdings, dass diese Brüche in der DNA nicht notwendigerweise schlecht sein müssen, sondern auch für die Behandlung von Krankheiten genutzt werden könnten – inklusive Krebs. Dabei kommt es wieder auf die Dosis an, ebenso wie auf die Art der elektromagnetischen Wellen. Für diesen Effekt gibt es ebenfalls einige Studien an einzelnen Zellen und mit höheren SAR-Werten, die eine Gefahr für die DNA zeigen, während viele andere Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen der Strahlung und DNA-Brüchen finden.
In einem Punkt sind sich allerdings praktisch alle Wissenschaftler einig: Bessere, realitätsnahe Studien sind nötig, um handfeste Beweise zu sammeln– für oder gegen eine Gefahr durch elektromagnetische Felder. Nur bei der Frage, was uns die bisherigen Erkenntnisse sagen, gehen die Meinungen auseinander.
Eine ungarisch-deutsche Kollaboration befasste sich mit der Frage, welche Menschen sich eher Sorgen um mögliche Gefahren durch moderne Technologien machen. In einer Befragung von 700 Teilnehmern mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren fanden sie heraus, dass Menschen mit paranoiden Vorstellungen sich eher vor Schäden durch elektromagnetische Felder und ähnliche technologiebezogene Konsequenzen fürchten. Bereits aus früheren Untersuchungen ging hervor, dass solche Sorgen in Zusammenhang stehen mit Religiosität, Naturverbundenheit, dem Glauben an paranormale Phänomene und medizinische Verschwörungstheorien und mit einer allgemein negativen Einstellung gegenüber der Wissenschaft.
Womöglich sollten wir – zumindest die Nicht-Wissenschaftler und Nicht-Politiker – uns vorerst nicht zu viele Gedanken um das Thema machen. Denn das könnte dazu führen, dass wir Auswirkungen spüren, die es eigentlich gar nicht gibt, erklärt Witthöft.
In zwei Studien zum Nocebo-Effekt ließen er und seine Kollegen die Testpersonen in dem Glauben, einem elektromagnetischen Feld ausgesetzt zu werden, obwohl das gar nicht der Fall war. Mit einem erstaunlichen Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der Personen verspürten körperliche Symptome von einem Signal, das nicht existierte. „Das zeigt, wie mächtig der Nocebo-Effekt ist – wie stark unsere Wahrnehmung sich von unseren Erwartungen beeinflussen lässt“, sagt Witthöft.
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