Es ist ein wichtiger Bestandteil jeder gesunden Ernährung: Vitamin A. Übermäßiger Verzehr kann trotzdem schwere Folgen haben, wie dieser Fallbericht eindrücklich zeigt.
Vitamin A kommt in tierischen und pflanzlichen Produkten vor – allerdings in unterschiedlichen Ausführungen. In tierischen Nahrungsmitteln liegt Vitamin A in Form langkettiger Fettsäureester von Retinol vor. Pflanzliche Quellen hingegen enthalten Carotinoide. Es kann auch in rezeptfreien und in verschreibungspflichtigen Medikamenten, wie Isotretinoin und Tretinoin, enthalten sein. Und: Das Vitamin ist ein echtes Multitasking-Talent. Ob als verestertes Retinol im Plasma und Gewebe, Retinal beim Sehvorgang oder Retinsäure bei der Regulation von Genaktivitäten oder beim Wachstum und der Entwicklung von Zellen – Vitamin A ist essentiell für einen funktionierenden Köper. Aber was passiert, wenn es zu einer Überdosis kommt?
Ein übermäßiger Verzehr von Vitamin A, etwa durch Nahrungsergänzungsmittel, kann zu einer Vielzahl an Problemen führen – beispielsweise zu Knochenresorption oder zu Hyperkalzämie. Die toxikologische Wirkung bei Vitamin-Überdosierungen wird oft übersehen und daher meist nur zufällig bei unabhängigen Untersuchungen festgestellt.
So geschah es auch bei dem Fallbeispiel einer älteren Patientin, die mit einer milden, asymptomatischen Hyperkalzämie in Behandlung kam. Bei Laboruntersuchungen wurde ein abgesenkter PTH-Spiegel festgestellt. Die Schilddrüsenwerte waren allerdings unauffällig, das PTHrP war normal und es lag keine monoklonale Gammopathie vor. Die Patientin nahm auch keine verschreibungspflichtigen Medikamente ein, die eine Hyperkalzämie verursachen hätten können. Aber: Sie nahm seit Jahren regelmäßig zwei Vitaminpräparate ein. Nach langen Untersuchungen wurde schließlich festgestellt, dass die Patientin einen fast doppelt so hohen Vitamin-A-Wert hatte als üblich.
Eine übermäßige Aufnahme führt zur Vitamin-A-Toxizität. Das Vitamin wird im Lumen des Dünndarms absorbiert und im Zwölffingerdarm durch Mizellen aufgenommen. Die Retinoide werden zu Retinol umgewandelt und aufgenommen. Die Effizienz der Absorption im Darm ist hoch – zwischen 70 % und 90 %. Im Gegensatz dazu werden pflanzliche Carotinoide durch passive Diffusion über die Lumengrenze transportiert. Das führt zu einer schlechten Aufnahmefähigkeit von nur 9 % bis 22 %. Bei übermäßigem Verzehr kommt es zu einem stark angestiegenen Retinolspiegel und da Vitamin A lange im Körper bleibt – bis zu 128 Tage – kann es oft Monate dauern, bis sich die Werte nach einer Vitamin-A-Toxizität wieder normalisieren.
Man kann davon ausgehen, dass deswegen Vitaminpräparate, die Carotinoide anstatt vorgebildetem Vitamin-A enthalten, sicherer sind. Eine Studie bestätigt, dass etwa die Hälfte der US-Bevölkerung mindestens ein rezeptfreies Nahrungsergänzungsmittel regelmäßig einnimmt. Davon gaben 27–37 Prozent an, ein Vitamin-A-haltiges Präparat zu nehmen. Die Patientin im Fallbeispiel nahm ebenfalls ein Vitaminpräparat ein, das die empfohlene Tagesdosis von Vitamin A überstieg.
„Die tolerierbare obere tägliche Aufnahmemenge von Vitamin-A liegt bei etwa 3.000 μg RAE. [...] Wichtig ist, dass die chronische tägliche Aufnahme von vorgebildetem Vitamin A oberhalb der empfohlenen Aufnahmemenge (700 bis 900 μg RAE), aber unterhalb der tolerierbaren oberen Aufnahmemenge (3.000 μg RAE) dennoch schädlich sein kann – insbesondere für den Bewegungsapparat“, heißt es in der Analyse des Fallbeispiels.
Wie genau Vitamin-A-induzierte Knochenresorptionen und Hyperkalzämien zu Stande kommen, ist wenig erforscht. Allerdings zeigt eine Studie mit 39 Patienten, die mit einem hochdosierten Vitamin-A-Präparat wegen eines Neuroblastoms behandelt wurden, dass 31 % der Patienten eine Hyperkalzämie entwickelten. Die Symptome waren unter anderem Myalgie, Arthralgie und Schmerzen des Bewegungsapparats. Tierstudien wiesen auf eine erhöhte Anzahl an Knochenbrüchen bei übermäßiger Aufnahme von Vitamin-A hin. Eine schwedische Studie bestätigt: Eine zu hohe Retinol-Aufnahme scheint mit Osteoporose sowie mit einem 68 %igen Anstieg des Risikos einer Hüftfraktur in Verbindung zu stehen.
Leidet ein Patient an einer Vitamin-A-induzierten Hyperkalzämie, wird empfohlen, insbesondere vorgebildetes Vitamin A abzusetzen. „Über die Rolle von Antiresorptionsmitteln bei der Behandlung von Vitamin-A-bedingten Skelettschädigungen und Hyperkalzämie liegen nur begrenzte Daten vor. Wenn die Vitamin-A-Einnahme eingestellt wird, dürften sich die Retinol- und Kalziumwerte innerhalb von Wochen bis Monate verbessern, obwohl die prognostischen Langzeitdaten begrenzt sind“, heißt es in der Analyse des Fallbeispiels.
Die Aufnahme von pflanzlichem Vitamin-A ist harmlos, aber bei einer Aufnahme großer Mengen Vitamin A aus tierischen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln ist Vorsicht geboten. Gerne wird es als Auslöser für die Hyperkalzämie übersehen – weswegen eine Hyperkalzämie-Diagnose unbedingt mit einer Untersuchung des Retinol-Spiegels einhergehen sollte.
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