Das Besondere an dieser neuen Kartierung: Sie zeigt nicht nur, welche DNA-Abschnitte Gene aktivieren können. Sie stellt ebenfalls dar, mit welcher Intensität Enhancer auf ihr Gen wirken – wie eine Reliefkarte, auf der neben Ortschaften auch Berge und Täler verzeichnet sind.
Künstlerische Darstellung der FAIRE-STARR-seq Daten. Alle 187.000 getesteten DNA-Regionen sind untereinander dargestellt und nach Verstärkeraktivität sortiert: Je intensiver die Wirkung, desto kräftiger die Farbe.Genschalter: „Eher wie Dimmer“
„Enhancer knipsen Gene nicht nur an oder aus wie Kippschalter“, erklärt Meijsing. „Sie agieren eher wie Dimmer, denn sie können genau ausjustieren, wie stark ein Gen eingeschaltet werden muss, damit die Zelle die richtige Menge Protein herstellt.“ Die neue genomweite Karte verrät also nicht nur, wo im Erbgut sich die Enhancer für ein bestimmtes Gen befinden, sondern auch, auf welcher Stufe der Dimmer steht. Sie dient Forschern als Ressource, die zum Beispiel die Beziehung eines bestimmten Enhancers zu seinem benachbarten Gen studieren wollen.
Ausgangspunkt für die Karte war ein molekularbiologisches Verfahren namens STARR-seq. Hierbei wird zunächst ein Erbgutschnipsel in ein ringförmiges DNA-Molekül (Plasmid) eingefügt. Dieses künstliche Mini-Chromosom ist so vorbereitet, dass es nur noch einen Enhancer benötigt, um aktiv zu werden. Dann schleusen die Wissenschaftler das Plasmid in die Zelle ein. Falls der Erbgutschnipsel nun tatsächlich eine Enhancer-Funktion besitzt, liest die Zelle das Plasmid ab – je stärker der Enhancer wirkt, desto häufiger. Dies lässt sich leicht durch Sequenzierung messen. Der Clou dabei: Unzählige DNA-Abschnitte lassen sich so simultan analysieren und aus einem Gemisch aus tausenden Erbgutabschnitten die Enhancer herausfischen.
So optimierte das Berliner Team die Methode
Die Forscher wendeten STARR-seq nicht einfach nur auf Stammzellen der Maus an, sondern entwickelten das Verfahren weiter. „Für unsere verfeinerte Methode haben wir zum einen eine Vorauswahl getroffen“, sagt Laura Glaser, Wissenschaftlerin im Team von Meijsing. „Wir haben nur die Teile des Erbguts analysiert, das bereits aufgelockert war, wo die Zelle also bereits besonders häufig auf die DNA zugegriffen hat.“ Ohnehin untätige Teile des Genoms fallen so von vornherein aus der Analyse heraus, was die Treffsicherheit erhöht und die Fehlerrate verringert. „Zudem haben wir die Quantifizierung der Methode optimiert, so dass wir genau zurückverfolgen konnten, welcher Enhancer wie oft vom Plasmid abgelesen wurde“, sagt Glaser.
Im Verlauf der Kartierung fielen den Wissenschaftlern bisher unbekannte Muster in der DNA-Sequenz der Enhancer auf: neue Sequenzmotive, an die spezialisierte Proteine andocken und so die Gene überhaupt aktivieren. Diese Proteine heißen Transkriptionsfaktoren und gehören zu den wichtigsten regulatorischen Molekülen in der Zelle. Außerdem beobachteten die Forscher Veränderungen, nachdem sie den Zellen ein Signal zur Differenzierung gegeben hatten. Denn wenn Stammzellen sich zum Beispiel in Muskel-, Nerven- oder Fettzellen verwandeln wollen, starten sie die passenden genetischen Programme. Gleichzeitig schalten sie die Gene ab, die nur für Stammzellen wichtig sind. Einige Enhancer verlieren, andere gewinnen folglich an Aktivität. „Wir konnten Konstellationen von bestimmten Transkriptionsfaktor-Motiven identifizieren, die zu besonders starker Enhancer-Aktivität führen, entweder in Pluripotenz oder im frühen Differenzierungsstadium“, sagt Glaser.
Zusammen mit Wissenschaftlern aus der Bioinformatik-Abteilung am MPIMG trainierte das Team anschließend einen Algorithmus, welcher bereits anhand der DNA-Sequenz vorhersagen kann, ob ein bestimmter DNA-Abschnitt als Enhancer in Stammzellen fungieren kann oder nicht. „Es ist besonders praktisch, dass wir unseren Algorithmus nur mit der Enhancer-Aktivität und DNA-Sequenz füttern müssen, um eine Vorhersage zu treffen“, sagt Glaser. „Andere Algorithmen benötigen eine Vielzahl an epigenetischen Datensätzen, die im Labor gewonnen werden müssen.“
Der spannendste Teil: Stammzellanalyse
Tatsächlich ist es normalerweise notwendig, DNA-Abschnitte mit vermuteten Enhancer-Eigenschaften einzeln im Labor auf ihre Funktionen zu prüfen. In Stammzellen gibt es besonders viele solcher mutmaßlich aktiven Enhancer, was die Untersuchung einzelner Elemente besonders mühsam macht. „Die FAIRE-STARR-seq zugrundeliegende Methode kann zwar theoretisch für fast alle Zelltypen verwendet werden, um im Genom Enhancer zu finden und ihre Aktivität zu quantifizieren“, sagt Glaser. „Besonders spannend war es aber, Stammzellen zu analysieren, die anfangen sich weiterzuentwickeln und zu spezialisieren.“
Ihre genomweite Landkarte aus Genen, Enhancern und den detaillierten Berg-und-Tal-Informationen hält Meijsing für einen wichtigen Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen: „Welche Enhancer welche Gene wann aktivieren und welche Logik dahintersteckt, ist eine der wichtigsten, aber eine größtenteils ungelöste Frage in der Erforschung der Genregulation“, sagt Meijsing. „Unsere Ergebnisse können als Referenz für künftige funktionelle Studien dienen und dabei helfen, Vorhersagemethoden zu verfeinern.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Oudom Pravat, Unsplash