Die Kardiologie hat Smartwatches und digital gepimpte Implantate ins Herz geschlossen. Gehören sie also bald zum Kardiologen wie Stethoskop und Herzkatheter – und bringen sie überhaupt was?
Herzspezialisten mögen die Digitalisierung, das steht mal fest. Kaum eine andere medizinische Berufsgruppe ist in den sozialen Medien so aktiv. Kein anderes Fach hat Wearables wie Smartwatches und Co. schon zum Teil der Leitlinien gemacht. Und zumindest in Deutschland gibt es keine andere Disziplin, die es geschafft hätte, das Home-Monitoring bei einer Volkserkrankung durch den G-BA-Prozess zu prügeln.
Doch der Reihe nach: Letzte Woche traf sich die deutsche Kardiologie in Mannheim und dort ging es nicht nur um Medikamente und Kathetereingriffe, sondern auch kräftig um digitale Medizin.
Mit einem, der sich hier besonders engagiert, haben wir uns ausführlicher unterhalten: Prof. Dr. David Duncker ist Leiter des Hannover Herzrhythmus Centrums an der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Ist die Digitalisierung reif für die kardiologische Versorgung? Für David Duncker keine Frage:
„Wir sind an einem Punkt, wo wir die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in unserer klinischen Praxis einsetzen können und auch sollten. Wir müssen diese Chance ergreifen, denn wenn wir es nicht tun, werden wir irgendwann überrollt und haben die Entwicklung dann nicht mehr selbst in der Hand.“
Als Rhythmologe interessiert sich Duncker naturgemäß vor allem für die EKG- und Herzrhythmus-Wearables, die immer stärker Einzug halten und immer häufiger in Arzt-Patienten-Gesprächen eine Rolle spielen.
Duncker nutzt diese Produkte aktiv im Alltag, wie immer mehr seiner Kollegen auch: „Es gibt zwei Situationen, in denen ich das sehr hilfreich finde. Das eine ist der Patient, der in die Sprechstunde kommt und sagt, er habe gelegentlich Herzrhythmusstörungen. In solchen Situationen kann es ohne Wearables mitunter Monate, manchmal Jahre dauern, bis die Anfälle irgendwann einmal auf einem Langzeit- oder Ruhe-EKG eingefangen werden.“ Bei diesen Patienten können Wearables die diagnostische Odyssee verkürzen, wenn die Betroffenen im richtigen Moment ihr Tool einschalten und das EKG aufzeichnen.
Die zweite Konstellation ist der asymptomatische Patient mit hohem Risiko für Vorhofflimmern: „Wenn ich den bitte, mehrfach am Tag aktiv ein EKG aufzuzeichnen, erweitert das mein Blickfeld und verlängert die überwachte Zeit. Und das erhöht die Chance, ein intermittierendes Vorhofflimmern zu finden.“
Etwas zurückhaltender ist Duncker bei der Synkopenabklärung. Hier sind für ihn diagnostische EKG-Implantate weiterhin erste Wahl, wenn das Langzeit-EKG keine Erkenntnisse liefert. Der Grund: Bei kardialen Synkopen würde man gerne die nächste Synkope definitiv erwischen, um Klarheit darüber zu bekommen, was genau los ist. Das ist mit (derzeitigen) EKG-Wearables schwierig. Und Photoplethysmographie-Wearables, die zumindest teilweise kontinuierlich aufzeichnen können, liefern zwar Informationen über Rhythmuspausen, aber nicht über deren genaue Ursachen.
Der gezielte Einsatz von Wearables als Diagnosehilfe in bestimmten Situationen eröffnet spannende Perspektiven. Aber letztlich ist das nur der Anfang der digitalen Kardiologie. Richtig interessant wird es, wenn Wearable-Daten (und andere relevante Daten) mit Algorithmen hinterlegt werden, die auf Risikoprädiktion und/oder Personalisierung präventiver bzw. therapeutischer Maßnahmen zielen.
Allerdings sei längst nicht jede Art von KI-Auswertung gleich hilfreich, so Duncker: „Wir müssen uns immer fragen, was uns am Ende wirklich klinisch weiterhilft. Wenn ich mit dem EKG zeigen kann, dass das Kalium möglicherweise zu hoch ist oder Hinweise finde, dass die linksventrikuläre Ejektionsfraktion niedrig ist, dann stellt sich die Frage, was mir das bringt. Im Zweifel würde ich ohnehin Blut abnehmen bzw. eine Echokardiographie machen. Anders sieht es aus, wenn aus dem EKG ein erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern ablesbar wäre. Das könnte als eine frühe Screening-Stufe im Rahmen von komplexen Vorhofflimmer-Screening-Programmen genutzt werden.“
Das zweite große digitale Thema, das die deutsche Kardiologie neben den Wearables derzeit intensiv beschäftigt, ist die Einführung des Telemonitorings bei chronischer Herzinsuffizienz. Hier hatte, nach langen Jahren der Selektivverträge und mehreren randomisierten Studien, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Ende 2020 den Weg für eine reguläre Erstattung im Rahmen der GKV-Versorgung freigeräumt. Ein Jahr später, Ende 2021, legte der Bewertungsausschuss EBM-Ziffern für eine ambulante Abrechnung fest und jetzt, im zweiten Quartal 2022, soll die Sache langsam starten.
Künftig können rund um die Uhr aktive Telemedizinzentren in die Überwachung von ambulanten Herzinsuffizienzpatienten eingebunden werden, entweder mit Hilfe eines externen Monitorings von Vitalwerten mit Blutdruckgeräten, Waagen und Oxymetern oder mit Hilfe von internem Telemonitoring, also einer Überwachung, bei der Schrittmacher oder Defibrillatoren neben Funktionsdaten auch Vitalwerte übermitteln.
Was die jetzt vorgesehene Umsetzung angeht, ist die deutsche Kardiologie allerdings zwiespältig. Duncker betont zum einen, dass die Datenlage für das Telemonitoring bei Herzinsuffizienz sehr gut und es deswegen höchste Zeit sei, es auch breit einzuführen: „Wir haben weniger Praxisbesuche, weniger Krankenhauseinweisungen, erkennen defekte Devices früher und reduzieren unter Umständen die Sterblichkeit. Telemonitoring nutzt Patienten und Behandelnden und daher ist es ein wichtiges Statement, dass dafür jetzt Erstattungswege geschaffen wurden.“
Ganz so einfach, wie es klingt, ist die Sache allerdings nicht. Es gibt diverse Einrichtungen in Deutschland, die teils seit Jahren auf hohem Niveau Telemonitoring für Herzinsuffizienz-Patienten anbieten. Diese Telemedizinzentren sind aber in der Regel an Krankenhäusern angesiedelt und sie können mit den EBM-Ziffern erstmals nichts anfangen, es sei denn, das Krankenhaus in Trägerschaft integriert das Telemedizin-Zentrum in MVZ-Strukturen.
Ohne weiteres lösbar ist dieses Dilemma nicht. Neue Abrechnungsmodalitäten, die eventuell helfen könnten, wie die im Koalitionsvertrag angelegten Hybrid-DRG, sind Zukunftsmusik und werden das auch noch eine Weile bleiben. Bei vielen langjährigen Telemonitoring-Kardiologen steht aktuell daher ein großes Fragezeichen auf der Stirn. Duncker drückte es so aus: „Telemonitoring bei Herzinsuffizienz ist sinnvoll. Dass es vergütet werden soll, ist zu begrüßen. Aber wie wir das genau umsetzen werden, wissen wir ehrlicherweise noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass da das eine oder andere noch nicht ganz zu Ende gedacht ist.“
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