Ein kindlicher Hydrocephalus hat offenbar völlig andere Ursachen als bisher angenommen. Zu diesem überraschenden Schluss kommt eine aktuelle Studie.
Eines von 1.000 Kindern kommt mit Hydrocephalus zur Welt. Die schwere Erkrankung ist der häufigste Grund für eine Hirnoperation im Kindesalter. Auch nach dem Eingriff leiden die Betroffenen oft lebenslang unter geistigen und motorischen Einschränkungen.
Beim Hydrocephalus sind die flüssigkeitsgefüllten Hohlräume im Gehirn – die Ventrikel – deutlich vergrößert. Dadurch ist der Schädel-Innendruck erheblich erhöht. Als Ursache vermutet man Störungen des Hirnwasser-Haushalts. Der Liquor durchspült das Gehirn und entfernt dabei unter anderem Schadstoffe. Außerdem schützt er wie ein Polster das Denkorgan vor Stößen. „Bislang dachte man, dass bei einem Wasserkopf zu viel Liquor gebildet oder zu wenig abgeführt wird oder, dass einfach sein Weitertransport gestört ist“, erklärt Prof. Waldemar Kolanus vom LIMES-Institut der Universität Bonn. „Unsere Ergebnisse weisen nun jedoch in eine andere Richtung.“
Das Leiden ist bei Kindern meist genetisch bedingt; welche Erbanlagen dafür verantwortlich sind, ist aber nur zum Teil bekannt. Forscher aus Harvard und Yale sequenzierten daher das Genom von fast 500 Patienten und verglichen es mit dem Erbgut gesunder Personen. Dabei stießen sie auf 93 Gene, in denen Veränderungen zu einem Hydrocephalus führen. „Erstaunlicherweise ist keines dieser Gene in irgendeiner Form an Liquor-Produktion oder -Transport beteiligt“, betont Dr. Stefan Weise, einer der beiden Erstautoren der Studie. „Stattdessen scheinen sie vor allem mit der Hirnentwicklung zu tun zu haben.“
Eine Erbanlage, die bei Betroffenen besonders oft verändert war, ist das Gen TRIM71. „Wir untersuchen dieses Gen hier in Bonn bereits seit einigen Jahren“, sagt Kolanus. „Das ist auch der Grund, warum sich unsere US-Kolleginnen und -Kollegen an uns gewandt haben.“ Das internationale Team führte die gefundenen Mutationen auch in das TRIM71-Gen von Mäusen ein. Die Tiere entwickelten darauf ebenfalls einen Hydrocephalus.
„Wir haben dann hier in Bonn mithilfe von Stammzellen ganz frühe Ereignisse der Gehirnentwicklung in Zellkultur nachvollzogen, und konnten ebenfalls zeigen, dass sich die Hydrocephalus-Mutationen von TRIM71 spezifisch auf diese Funktionen auswirken“, erklärt Kolanus.
„Wir vermuten, dass das Neuroepithel durch diese Änderungen dünner und mechanisch flexibler wird und dass sich die Hohlräume dadurch vergrößern“, sagt Weise. „Dadurch kann es dann zu verstärkten Liquor-Ansammlungen kommen und damit auch zu einem erhöhten Hirn-Innendruck.“ Der Hydrocephalus ist also in diesem Fall eine Folge frühkindlicher Neuro-Entwicklungsstörungen, die wiederum für die kognitiven Einbußen der jungen Patienten verantwortlich sind.
Üblicherweise wird bei einer Hydrocephalus-Operation ein Shunt-System eingesetzt, durch das das überschüssige Hirnwasser abgeleitet werden kann. Dadurch vermindert sich der Druck im Schädel und Begleitsymptome wie Kopfschmerz oder Sehstörungen verschwinden. Die geistigen Einschränkungen bestehen jedoch meist fort. „Unsere Ergebnisse erklären, warum das beim angeborenen Hydrocephalus so ist“, sagt Kolanus. „Der Schaden entsteht nicht durch den erhöhten Druck, sondern schon viel früher, bei der Entwicklung des Gehirns im Mutterleib.“
Diese Erkenntnis könnte auch therapeutische Konsequenzen haben. So ist das Einsetzen des Shunt-Systems nicht ohne Risiken. Dennoch raten viele Mediziner dazu, weil sie fürchten, dass die Hirnstörungen sonst zunehmen. „Vermutlich ist der Eingriff bei Kindern aber nicht in allen Fällen sinnvoll“, sagt Kolanus. In Zukunft könnte es zudem möglich sein, den Hydrocephalus schon vor der Geburt durch einen Gentest zu diagnostizieren. Mit einem frühzeitigen gezielten Training ließen sich dann eventuell manche Schäden noch verhindern. Heilen lässt sich das Leiden aber auf absehbare Zeit wohl nicht. „Dazu müsste man im Mutterleib eine Gentherapie des Embryos durchführen. Momentan wäre das noch viel zu riskant“, sagt Kolanus.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Eric Prouzet, Unsplash