Das auffälligste Symptom der Chorea Huntington sind die ruckartigen unwillkürlichen Muskelbewegungen der Betroffenen. Lest hier mehr über Ursachen und Therapie der Erkrankung, die früher auch als Veitstanz bekannt war.
Die Huntington-Krankheit (HD) ist eine autosomal-dominant vererbte neurodegenerative Krankheit, von der 7–10 von 100.000 Menschen betroffen sind. Bisher ist nur ein einziges Medikament zugelassen, weitere Optionen sind noch in der Erprobung.
Früher wurde die Erkrankung als „Veitstanz“ bezeichnet, da die Krankheit mit ruckartigen, unkontrollierbaren Bewegungen einhergeht, die wie ein ekstatischer Tanz erscheinen können. Im Altgriechischen heißt Tanz „choreia“ – daher auch der geläufige Name Chorea Huntington. Der zweite Teil des Namens geht auf den Arzt George Huntington zurück, der die Krankheit im Jahr 1872 als Erster beschrieb.
Die Huntington-Krankheit ist eine seltene Erbkrankheit, die den fortschreitenden Abbau von Nervenzellen im Gehirn verursacht. Sie hat weitreichende Auswirkungen auf die funktionellen Fähigkeiten und führt normalerweise zu Bewegungs-, Denk- und psychiatrischen Störungen. Verursacht wird die HD durch CAG-Trinukleotid-Wiederholungsexpansionen in Exon 1 des Huntingtin (HTT)-Gens. Das mutierte HTT (mHTT)-Protein verursacht eine neuronale Dysfunktion, die die fortschreitende Symptomatik verursacht.
Die Symptome der HD können sich jederzeit entwickeln, aber sie treten oft erst auf, wenn das 30. oder 40. Lebensjahr vollendet sind. Wenn sich die Erkrankung vor dem 20. Lebensjahr entwickelt, wird sie als juvenile Huntington-Krankheit bezeichnet. Nach Manifestation der Krankheit versterben die meisten Patienten innerhalb von 15 Jahren.
Die HD verursacht normalerweise motorische, kognitive und psychiatrische Störungen mit einem breiten Spektrum an Anzeichen und Symptomen. Welche Symptome zuerst auftreten, ist individuell sehr unterschiedlich. Einige Symptome treten dominanter auf oder wirken sich stärker auf die Funktionsfähigkeit aus.
Die mit der Huntington-Krankheit verbundenen Bewegungsstörungen können sowohl unwillkürliche Bewegungsprobleme, als auch Beeinträchtigungen willkürlicher Bewegungen umfassen, wie zum Beispiel:
Betroffene versuchen zunächst, die choreatischen Bewegungen zu verbergen, in dem sie diese in willkürliche Bewegungsabläufe einbauen. Später kommt es zum plötzlichen Grimassieren und zu schleudernden Bewegungen von Armen und Beinen. Sprechen und Schlucken fallen zunehmend schwerer. Die Hyperkinesien beginnen in den Extremitäten, der Mund wird weit geöffnet, die Zunge weit rausgestreckt und sofort wieder zurückgezogen („Chamäleonzunge“).
Zu den häufig mit der HD verbundenen kognitiven Beeinträchtigungen gehören:
Die nicht-motorischen Symptome können schon vor den motorischen Symptomen auftreten und sind sehr starke Prädiktoren für den Verlust der Unabhängigkeit und Lebensqualität.
Als wichtiger Neurotransmitter spielt Dopamin eine wesentliche Rolle bei der Regulierung der motorischen Funktion. Fünf Subtypen von Dopaminrezeptoren sind bekannt und werden in zwei Rezeptorklassen eingeteilt: Klasse D1 und Klasse D2. Die Rezeptorsubtypen D1 und D5 gehören zur Klasse D1, während die Subtypen D2, D3 und D4 zur Klasse D2 gehören. Die beiden wichtigsten Dopaminrezeptoren in der Pathophysiologie neuropsychiatrischer Erkrankungen sind D2 und D3. Die höchste Expression von D3-Rezeptoren ist auf den Calleja-Inseln lokalisiert, wird aber in allen limbischen Kreisläufen exprimiert, einschließlich des präfrontalen Kortex.
Es wird angenommen, dass drei dopaminerge Hauptwege an der Huntington-Krankheit beteiligt sind: Erstens der mesolimbische Weg, der vom ventralen tegmentalen Bereich zum ventralen Striatum im Vorderhirn vorsteht; zweitens der mesokortikale Weg, der vom ventralen tegmentalen Bereich zum präfrontalen Kortex vorsteht; und außerdem der nigrostriatale Weg, der die Substantia nigra, das Caudat und das Putamen verbindet. Diese Schleifen erhalten die physiologische Regulierung des Verhaltens und der willkürlichen Bewegung aufrecht.
Bei der HD ist das Dopamingleichgewicht im Striatum und im Frontallappen verändert, was zu Veränderungen in der Bewegungs-, kognitiven und Verhaltensleistung führt. In frühen Stadien der Erkrankung ist die Menge an Dopamin (DA) erhöht, während die Expression von DA-Rezeptoren verringert ist. In späteren Stadien, ähnlich wie bei der Parkinson-Krankheit, nimmt die Dopaminmenge ab. Die anfängliche Über- und dann Unterproduktion von DA spiegelt die zweiphasigen Veränderungen der motorischen Symptome wider, die für Huntington-Patienten während des gesamten Krankheitsverlaufs charakteristisch sind. Die optimale Funktion der nicht-motorischen Symptome hängt vom konstanten DA-Niveau ab. Sowohl niedrige als auch hohe DA-Spiegel führen zu Verhaltens-, Stimmungs- und kognitiven Fehlfunktionen.
Zunehmende Beweise deuten auf die entscheidende Rolle des dopaminergen Systems bei der Entwicklung von Huntington-Symptomen hin, daher könnten DA-freisetzende, modulierende Verbindungen eine vielversprechende therapeutische Option sein. DA-stabilisierende Verbindungen, wie partielle Dopaminagonisten, können die Aktivität des DA-Rezeptors in Abhängigkeit von den Dopaminspiegeln an der Synapse erhöhen oder verringern.
Bei den betroffenen Personen kommt es ebenfalls zu einer Rückbildung GABAerger Neuronen im Corpus striatum. GABA agiert als hemmender Neurotransmitter, sodass die direkten Verbindungen zu einer Unterdrückung des Globus pallidus internus und in der Folge auch des Thalamus und der Hirnrinde führen. Da die indirekten Verbindungen meist erst im weiteren Verlauf zerstört werden, steht am Anfang der Erkrankung eine Überaktivierung mit überschießenden Bewegungen im Vordergrund. Im weiteren Verlauf gehen auch die indirekten Verbindungen verloren und es dominieren Bewegungsarmut, Akinese und Rigor.
Gegenwärtige Behandlungen können nur die Symptome der Huntington-Krankheit lindern; es besteht nach wie vor Bedarf an ursächlichen Therapien.
Zahlreiche Wirkstoffe und chirurgische Verfahren wurden bereits auf ihre antichoreische Wirksamkeit untersucht, darunter: Dopamin-abbauende Wirkstoffe, Dopamin-Antagonisten, Benzodiazepine, Glutamat-Antagonisten, Acetylcholinesterase-Hemmer, Dopamin-Agonisten und Medikamente gegen Krampfanfälle. Auch Cannabinoide und Lithium, sowie Tiefenhirnstimulation und fetale Zelltransplantationen wurden untersucht. Weitere Kandidaten sind Antisense-Oligonukleotide (ASOs) oder Virusvektoren, die RNA-induzierte Silencing-Einheiten (RNAi) exprimieren, sowie das Medikament Branaplan, welches eigentlich für die Behandlung der Spinalen Muskelatrophie gedacht war. Dieses kann durch die Förderung des Einbaus eines Pseudoexons in das Primärtranskript die mHTT-Proteinspiegel in den Zellen von Huntington-Patienten senken, wie eine Studie von Keller et al. zeigen konnte.
Tetrabenazin (TBZ) und Deutetrabenazin sind für die Behandlung von motorischen Symptomen bei der Huntington-Krankheit zugelassen. TBZ ist in der Lage, die Symptomatik kurzfristig zu verbessern. Das Medikament ist ein reversibler Dopaminabbauer, der hochselektiv den zentralvesikulären Monoamintransporter Typ 2 (VMAT2) inhibiert. Andere, klassische Dopaminrezeptorantagonisten wie unter anderem Chlorpromazin, Melperon und Thioproperazin sind hingegen bezüglich des antichoreatischen Effekts nicht eindeutig.
Das Pharmakon TBZ baut Dopamin selektiver ab als Norepinephrin und Serotonin, indem es den Transport in präsynaptische Vesikel hemmt. Die höchste Bindungsdichte für TBZ liegt im Nucleus caudatus, im Putamen und im Nucleus accumbens – Bereiche, von denen bekannt ist, dass sie die Hauptlast der Pathologie bei der Huntington-Krankheit tragen. Die VMAT2-Bindung und der Monoaminabbau durch TBZ sind reversibel, dauern mehrere Stunden und werden durch eine chronische Behandlung nicht verändert.
Die Wirksamkeit von TBZ als Antichorea-Medikament wurde überzeugend in einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie nachgewiesen, die eine klare kurzfristige symptomatische Linderung der Chorea zeigte. Zur Langzeitanwendung von TBZ gibt es nur wenige Daten, aber einige Studien haben auch seine langfristige Wirksamkeit und Verträglichkeit belegt.
TBZ ist das einzige zugelassene Medikament für Chorea bei der Huntington-Krankheit und wird normalerweise dreimal täglich eingenommen. Seine am weitesten verbreiteten dosislimitierenden Nebenwirkungen umfassen Somnolenz, Schlaflosigkeit und Akathisie, sowie Parkinsonismus. Auch depressive Verstimmungen können auftreten, was besonders in Hinblick auf die ohnehin vorhandene Neigung zu Depressionen unter HD-Patienten klinisch relevant ist.
Deutetrabenazin (DEU) ist eine Weiterentwicklung von TBZ. Es handelt sich um ein strukturell verwandtes Molekül mit dem Isotop Deuterium an Schlüsselpositionen, und es wurde bereits erfolgreich gegen Placebo getestet. Die Deuterierung verlängert die Halbwertszeit, verringert die Stoffwechselvariabilität und soll zu einer selteneren Applikation, einer niedrigeren Tagesdosis und einer verbesserten Verträglichkeit führen.
Vielfach wird Coenzym Q10 zur adjuvanten Behandlung von HD empfohlen, da mitochondriale Dysfunktion zum neurodegenerativen Prozess beiträgt. Das Coenzym Q10 (Ubichinon) verstärkt die Aktivität des mitochondrialen Komplexes I und soll daher einen therapeutischen Nutzen bei der Huntington-Krankheit bieten. In klinischen Studien konnte dies jedoch nicht bestätigt werden.
So wurden in der CARE-HD-Studie 347 Patienten mit früher HD randomisiert und erhielten 30 Monate lang zweimal täglich 300 mg CoQ, zweimal täglich 200 mg Remacemidhydrochlorid, beides oder keines von beiden. Beide Interventionen zeigten bei den Ergebnismessungen keinen wesentlichen Vorteil im Vergleich zu Placebo.
In einer Studie von McGarry wurden die Patienten randomisiert und erhielten entweder CoQ 2.400 mg/Tag oder ein Placebo und wurden 60 Monate lang nachbeobachtet. Auch hier ließ sich keine signifikante Verbesserung des Krankheitsverlaufs feststellen, die Daten rechtfertigten nicht die Verwendung von CoQ als Behandlung bei der Huntington-Krankheit, so die Autoren.
Zwei große multizentrische Phase-III-Studien, welche Coenzym Q10 bzw. Kreatin untersucht haben, wurden wegen negativer Zwischenergebnisse abgebrochen, so die DGN-Leitlinie zu Morbus Huntington.
Neben kognitiven und psychomotorischen Störungen können Patienten mit HD auch psychiatrische Comorbiditäten entwickeln. Depressionen treten bei der Huntington-Erkrankung häufig auf. MAO-Hemmer sollten nicht gegeben werden, auch weil sie eine Kontraindikation bei Tetrabenazin sind. Bei schweren Depressionen scheint allerdings der Einsatz von SSRIs und insbesondere von Venlafaxin effektiv zu sein.
Eine Apathie tritt bei HD ebenfalls sehr häufig auf. Die Track-HD-Studie von Tabrizi et al. hat eine direkte Korrelation von Apathie mit der Krankheitsprogression nachgewiesen. Bislang gibt es keine evidenzbasierte Behandlung der Apathie bei der Huntington-Erkrankung. In Einzelfällen wurden Bupropion und Modafinil eingesetzt.
Die HD kann jedoch auch das Gegenteil einer Apathie auslösen; die Patienten sind dann agitiert bis aggressiv. Hier werden Antipsychotika, Valproat, Benzodiazepine, Betablocker (Propranolol), SSRIs oder Buspiron eingesetzt.
Bildquelle: Kyle Head, unsplash.