Beim Angelman-Syndrom handelt es sich um eine seltene neurologische Erkrankung. Wieso die Diagnose oft so schwierig ist und welche Therapien Hoffnungsträger sind, lest ihr hier.
Das Angelman-Syndrom, auch als Happy-Puppet-Syndrome bezeichnet, ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung. Sie äußert sich unter anderem durch geistige und körperliche Einschränkungen, Entwicklungsstörungen und Hyperaktivität. Auffällig ist das puppenhafte Aussehen und der freudige Gesichtsausdruck der Betroffenen. Der britische Kinderarzt und Neurologe Harry Angelman (1915–1996) beschrieb im Jahr 1965 das später nach ihm benannte Syndrom.
Die Eröffnung des ersten deutschen Angelman-Zentrums in München (AZM) ist ein bedeutenden Schritt für die Versorgung der Patienten. Im AZM können sie sowohl psychosozial als auch medizinisch gezielt betreut werden.
Das Angelman-Syndrom (AS) ist eine schwere neurologische Entwicklungsstörung. Es ist derzeit nur eine symptomatische Behandlung mit begrenztem Nutzen verfügbar. AS wird durch Mutationen verursacht, die das mütterlicherseits vererbte Ubiquitin-Protein-Ligase-E3A-Gen (UBE3A) betreffen. Viele der Patienten leiden unter einer Epilepsie.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Angelman-Syndrom (AS)
Weitere Namen
Happy-Puppet-Syndrom
Häufigkeit
1:15.000 bis 1:20.000
Gestörte Funktion
Häufiges Lachen
Kleiner Kopf
Ataxie
Angstsyndrome
Geistige Retardiertheit
Epilepsie
Genlokalisation
Mutation im UBE3A-Gen
Therapie
Ergotherapie
Verhaltenstherapie
Antiepileptika
Benzodiazepinagonisten
CBD
Gaboxadol (Studie)
Gentherapie (ASO, Studie)
Weil die Symptome vielfältig und zum Teil sehr unspezifisch sind, ist das Angelman-Syndrom häufig nicht leicht zu diagnostizieren. Viele Familien erleben eine jahrelange Odyssee bis zur passenden Diagnose, begleitet von häufigen Fehldiagnosen wie beispielsweise Autismus. Im Durchschnitt liegt die Prävalenz der Erkrankung nur bei 1:15.000 bis 1:20.000
Neben epileptischen Anfällen ist auch Angst ein häufiges Symptom bei AS-Patienten. Angst ist am stärksten mit sozialen Situationen, überfüllten Orten, neuen Umgebungen und Veränderungen in der Routine assoziiert. Biologische Marker für Angstzustände, wie Cortisolspiegel und atypische Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse (HPA), sind meist gestört.
Es existiert ein Zusammenhang zwischen erhöhten Angstsymptomen bei Jugendlichen mit AS und einem höheren Maß an herausfordernden Verhaltensweisen wie Reizbarkeit, egozentrischem Verhalten, Hyperaktivität und störendem/asozialem Verhalten.
Das Angelman-Syndrom (AS) wird häufig vor dem 5. Lebensjahr diagnostiziert. Die molekularen Grundlagen von AS wurden 1987 identifiziert, der eindeutige ICD-10-Code Q93.51 wurde 2018 eingeführt.
Die gestörte UBE3A -Expression verursacht einen Anstieg der synaptischen Spiegel des γ-Aminobuttersäure-Transporters Typ 1 (GAT1) und in der Folge eine erhöhte Wiederaufnahme von GABA.
Die reduzierten extrasynaptischen GABA-Spiegel führen zu einer reduzierten Aktivierung von extrasynaptischen GABA-A-Rezeptoren und einer Abschwächung der tonischen Hemmung. Diese spielt eine entscheidende Rolle beim Ausgleich der neuronalen Erregbarkeit, die anscheinend zur zugrunde liegenden Pathophysiologie von AS beiträgt.
Viele Symptome von AS sind heterogen und variieren im Laufe der Lebensspanne des Patienten. Präklinische Studien in einem Mausmodell mit einem inaktivierten mütterlichen UBE3A-Gen zeigen einen Verlust der tonischen Hemmung in zerebellären Körnerzellen sowie eine motorische Dysfunktion.
Der wichtigste inhibitorische cerebrale Neurotransmitter GABA ist an der Signalübertragung an zwei Hauptrezeptortypen beteiligt. Die GABAerge inhibitorische Signalübertragung innerhalb des ZNS erfolgt über die Aktivierung GABA-A-Rezeptoren. Verringerte Aktivierung von extrasynaptischem GABA-A-Rezeptoren beeinflusst das postsynaptische Membranpotential und die gesamte neuronale Erregbarkeit durch einen phasischen inhibitorischen Chloridionenstrom im postsynaptischen Neuron.
Etwa 80–90 % der Patienten mit AS entwickeln Epilepsien. Das Auftreten von zerebralen Krämpfen ist zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr am weitesten verbreitet. Allerdings entwickeln etwa 25 % der Patienten bereits vor dem ersten Lebensjahr eine Epilepsie. Ein frühes Auftreten von Anfällen kann stark mit autistischen Symptomen assoziiert sein. Aufgrund des charakteristischen Auftretens von hartnäckigen Anfällen und EEG-Veränderungen im Zusammenhang mit AS konzentriert sich die Forschung der Pathogenese auf GABA, der den hemmenden Tonus im Gehirn aufrechterhält und die erregenden glutamatergen Ausgänge ausgleicht.
Deshalb ist es einleuchtend, dass zur Therapie Benzodiazepin-Agonisten untersucht werden. Durch die hochselektive Aktivierung von extrasynaptischen GABA-A-Rezeptoren hat Gaboxadol das Potenzial, das Defizit in der tonischen Hemmung wiederherzustellen, das eine zentrale Rolle in der zugrunde liegenden Neuropathophysiologie beim Angelman-Syndrom spielen könnte.
Valproat wurde früher als eines der Antiepileptika der ersten Wahl bei der Behandlung von AS aufgrund seiner Wirksamkeit gegen verschiedene generalisierte Anfälle eingesetzt. Allerdings ist sein Einsatz als Erstlinientherapie rückläufig, da Bedenken über Nebenwirkungen bestehen. Topiramat hat eine GABA-mimetische Wirkung und wirkt als positiver allosterischer Modulator an GABA-A-Rezeptoren. AS-Patienten zeigten eine deutliche Verbesserung der Anfälle. Allerdings bleiben die kognitiven Nebenwirkungen und die Unterdrückung des Appetits ein großes Problem.
Levetiracetam verfügt über eine breite Aktivität gegen fokale und generalisierte Anfälle und ein günstiges Nebenwirkungsprofil ohne oder mit minimalem Auftreten signifikanter lebensbedrohlicher Nebenwirkungen. Das Antiepileptikum gehört zu den Substanzen, die am meisten bei AS-Patienten angewendet werden. In einer retrospektiven Studie war eine Behandlung mit Levetiracetam bei 86 % der Patienten mit einer Verringerung der Anfälle um 90 % verbunden. Allerdings hatten 20% Verhaltensnebenwirkungen. Schließlich blieben 80 % bei der Levetiracetam-Therapie.
Clobazam, ein 1,5-Benzodiazepin, hat weniger Nebenwirkungen und ein besseres Verträglichkeitsprofil als die klassischen 1,4-Benzodiazepine wie Diazepam und Clonazepam. In der AS-Population wird Clobazam nach Levetiracetam am zweithäufigsten verwendet. 93 % der Betroffenen zeigten eine Verringerung der Anfallshäufigkeit um mehr als 90 %.
Eine hochreine Form des nicht psychoaktiven Cannabis-Inhaltsstoffes CBD wurde für arzneimittelresistente Anfälle im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom und dem Lennox-Gastaut-Syndrom zugelassen. Einige Open-Label-Studien testen die Wirkung auch beim AS.
Gaboxadol ist ein hochselektiver orthosterischer Agonist, der die δ-Untereinheit aktiviert. In einer multizentrischen, doppelblinden, placebokontrollierten Parallelgruppenstudie wurden Jugendliche und Erwachsene mit einer molekularen Diagnose von AS randomisiert.
Die Phase-II-Studie STARS ergab, dass Gaboxadol im Allgemeinen gut vertragen wurde und ein insgesamt günstiges Sicherheitsprofil aufwies, was sich in überwiegend leichten bis mittelschweren Nebenwirkungen und wenigen Behandlungsabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen zeigte. Nach 12-wöchiger Behandlung erwies sich Gaboxadol als allgemein gut verträglich mit einem günstigen Sicherheitsprofil. Die Wirksamkeit, gemessen anhand der AS-adaptierten CGI-I-Skala, rechtfertigt weitere Studien.
Die ASO-Therapie konnte bereits bei der Spinalen Muskelatrophie (SMA) erfolgreich eingesetzt werden und zielt darauf ab, das im Gehirn stillgelegte väterliche UBE3A-Allel (Antisense-Oligonukleotid-Therapie) zu aktivieren und damit die Erbinformation wiederherzustellen. Eine weitere Methode in präklinischer Erforschung ist die Einschleusung einer aktiven UBE3A-Kopie mittels Adeno-assoziierter-Viren.
Mehrere Gentherapien befinden sich in der Entwicklung. Eine Therapie in klinischen Studien erfordert wiederholte Injektionen in die Wirbelsäule und hat schwerwiegende Nebenwirkungen bei hohen Dosen gezeigt. Diese Therapien zielen alle darauf ab, die UBE3A-Funktion in Neuronen wiederherzustellen. Eine Injektion einer potenziellen neuen Gentherapie verhindert laut ersten Tests an Mäusen viele der Schlüsselmerkmale der neurologischen Entwicklungsstörung.
Philpot et al. entwickelten ihre optimierte Version von UBE3A und bauten sie in ein Virus ein, um es in Neuronen zu transportieren. Sie injizierten diesen Vektor in Ventrikel des Gehirns von neugeborenen Mäusen, denen die mütterliche Kopie von UBE3A fehlt, wie es bei Menschen mit Angelman-Syndrom beobachtet wird. Die Behandlung führte innerhalb weniger Tage nach der Injektion zu einer UBE3A-Expression im gesamten Gehirn. Die behandelten Mäuse verhielten sich in einem Test zur Feinmotorik, Gleichgewicht und Lernverhalten wie gesunde Mäuse.
Behandelte Mäuse waren auch nicht so anfällig für experimentell ausgelöste epileptische Anfälle und erfuhren weniger Störungen des Hippocampus, die solche Anfälle häufig verursachen. Unbehandelte Mäuse entwickelten die üblichen Angelman-ähnlichen Beeinträchtigungen.
Zukünftige Forschung sollte große Tiere testen und versuchen, therapeutische DNA nur in Gehirnzellen zu bringen, die zur Optimierung der Wirkungen erforderlich sind. Weitere Arbeiten sollten auch besser quantifizieren, wie viel UBE3A-Protein pro Zelle erzeugt wird, um Problemen mit seiner Überexpression vorzubeugen.
Neben Antiepileptika, Anxiolytika und Gentherapien können auch bestimmte Ernährungsformen die Therapie von AS-Patienten unterstützen. Eine ketogene Diät kann für die Behandlung von refraktären Anfällen im Zusammenhang mit AS sehr nützlich sein, so eine Studie von Grikott et al.
Fast 35 % der AS-Patienten befürworteten die ketogene Diät als eine erfolgreiche Behandlungsoption. Die Autoren untersuchten am Zentrum für diätetische Therapie von Epilepsie am Massachusetts General Hospital 23 AS-Patienten mit einer Ernährungstherapie mit niedrigem glykämischen Index.
Von diesen Patienten wurden drei anfallsfrei, weitere zehn hatten nur Anfälle bei Vorliegen einer nicht ausgeheilten Infektion. Alle diese Patienten wurden mit zusätzlichen Antiepileptika behandelt. Unter den anderen acht Patienten hatten alle nach Beginn der Diät eine verringerte Anfallshäufigkeit.
Trotz eines niedrigen Ketonspiegels hatten diese Patienten eine bessere Anfallskontrolle, was auf einen alternativen Wirkungsmechanismus hindeutet, wie beispielsweise die Stabilisierung des Blutzuckers. Viele Patienten tolerierten die erforderliche Kohlenhydrataufnahme ohne nachteilige Auswirkungen. Nebenwirkungen (Azidose, die eine Supplementierung mit Kaliumcitrat erfordert, Carnitin-Supplementierung, Verstopfung) waren gut therapierbar. Die Compliance der Teilnehmer war gut.
Fazit: Obwohl das Angelman-Syndrom nur symptomorientiert werden kann, sind Gentherapien hoffnungsvolle Ansätze, damit die Patienten nicht nur glücklich scheinen, sondern es auch sind.
Bildquelle: ANIRUDH, unsplash.