Frau B. ist verärgert: Ihre bei uns kastrierte Hündin macht die Rüden verrückt. Ich mache mich darauf gefasst, übersehenes Ovargewebe zu suchen – doch dann kommt alles anders.
Es gibt diese Fälle, von denen hofft man als Praktiker, sie würden an einem vorübergehen. Umso besser, wenn sie sich kurioserweise doch ganz anders entwickeln, als befürchtet.
„Ich brauche einen Termin bei der Chefin; Ihre Kollegin hat meine Susi nicht richtig kastriert!“ Frau B. am anderen Ende der Leitung ist hörbar aufgebracht. Wir schauen dem Konsultationstermin einige Tage später deshalb mit einer gewissen Nervosität entgegen.
„Susi“ ist eine mittelgroße, fünfjährige Mischlingshündin, die etwa 1,5 Jahre zuvor in unserer Praxis kastriert wurde. Nun ist ja die Kastration einer Hündin auch in der Haustierarztpraxis ein durchaus häufig vorgenommener Eingriff. Die meisten Kollegen haben hier eine gewisse Routine. Und deshalb wissen die meisten von ihnen auch, dass eben nicht alle Hündinnen so einfach zu kastrieren sind. Vor allem die rechten Eierstockbänder sind ab und an derart kurz, dass es eine echte Herausforderung sein kann, das Ovar weit genug vorzulagern, um die Blutzufuhr sicher zu unterbinden und den Eierstock samt Bursa komplett abzusetzen. Dass Ovargewebe am Stumpf verbleibt, darf nicht vorkommen – geschieht aber in seltenen Fällen halt doch.
Frau B. berichtet nun, dass ihre Hündin schon seit einigen Monaten extrem attraktiv für Rüden sei. Die Nachbarin, Besitzerin eines solchen Romeo, habe sich schon bitterlich bei ihr beschwert, da ihr Hund nicht mehr zur Ruhe komme. Eine Läufigkeitsblutung habe sie nicht bemerkt, ihre Hündin sei aber vorher schon immer sehr sauber gewesen, sodass sie auch vorher die Blutungen kaum bemerkt habe. Laut Angaben von Frau B. bekommt Susi keinerlei Medikamente, also auch keine östrogenhaltigen Präparate gegen Inkontinenz. Dies hätte ja durchaus die berichtete Symptomatik erklären können.
Bei der Allgemeinuntersuchung fällt an den Flanken ein etwas schütteres, trockenes Fell auf. Die Vulva ist deutlich angebildet. Beides ein klarer Hinweis auf einen Östrogeneinfluss. Wir machen eine Vaginalzytologie. Beim Hund verändert sich im Verlaufe des Zyklus östrogenbedingt der Aufbau der Vaginalschleimhaut. Mittels eines Zellausstriches können wir deshalb nicht nur den Zyklusstand bestimmen, sondern auch jeglichen anderen erhöhten Einfluss von Östrogenen auf den Körper der Hündin erkennen. Vorhandene Superfizialzellen und Schollen im Vaginalabstrich weisen auch bei Susi ein Vorhandensein von Östrogenen nach.
Ein ORS Auweia! Als Ovarian-Remnant-Syndrom (oder auch Ovarrest-Syndrom) werden die Auswirkungen von verbliebenem Eierstocksgewebe im Körper der Hündin bezeichnet. Der Einfluss der Sexualhormone ist also weiterhin vorhanden, inklusive Vulvaschwellung und meistens auch Läufigkeitssymptomatik und Scheinträchtigkeiten. Letzteres ist besonders ärgerlich, da viele Besitzer von Hündinnen diese aufgrund erheblicher Scheinträchtigkeitssymptomatik überhaupt kastrieren lassen.
Nicht zuletzt können auch Eierstockreste nach einer Kastration hormonell aktive Follikelzysten bilden – und aufgrund der hier vorliegenden Symptomatik befürchte ich eben diese.
Der permanente Einfluss von Östrogen kann nicht nur (neben der Läufigkeitssymptomatik und der Vulvaschwellung) zu Haarkleidveränderungen bis hin zu einer ausgeprägten Flankenalopezie führen, sondern über knochenmarksdepressive Wirkungen auch zur Panzytopenie. Bei Susi ist das Blutbild zum Glück noch in Ordnung.
Um wenigstens genau zu wissen, wo wir in der Bauchhöhle nach den Ovarresten suchen sollen (rechts? links? oder auch noch auf beiden Seiten?), schließt sich eine Ultraschalluntersuchung an. Ein gezielter Blick in die Gegend der beiden Nierenpole sollte mir ja das Corpus delicti darstellen. Nur – da ist nix! Weder im Bereich der rechten, noch der linken Niere ist irgendetwas zu finden, dass als Ovargewebe zu identifizieren wäre.
Und jetzt? Was haben wir übersehen?
Ja was denn nun? Klinik passt. Östrogen ist da, Hündin kastriert. Das Ovargewebe muss dann doch auch zu finden sein! Vielleicht habe ich im Ultraschall doch etwas übersehen? Um festzustellen, ob dort in der Bauchhöhle wirklich Ovargewebe ist, welches wir mittels Laparatomie finden können, lassen wir im Labor schließlich das Anti-Müller-Hormon bestimmen.
Ovargewebe ist in der Hündin der einzige Ort, an dem das Anti-Müller-Hormon produziert wird. Das macht es zu einer sehr spezifischen Möglichkeit, zwischen einer kastrierten und einer nicht kastrierten Hündin zu unterscheiden. Nach einer Kastration sinkt der Wert dieses Hormons auf unter 0,02 ng/ml ab. Bei intakten Hündinnen ist er größer als 0,5 ng/ml. Beim Ovarrest-Syndrom liegt er irgendwo dazwischen, meist aber eher nahe 0,5 ng/ml. Nicht so bei Susi: Anti-Müller- Hormon bei 0,015 ng/ml!
Wir sind erst mal ziemlich ratlos. Die Lösung des Falles fällt am Ende Frau B. beim Bezahlen quasi aus der Tasche: Gynokadin® Gel, ein östrogenhaltiges Gel zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden. Frau B. berichtet auf Nachfrage, dass sie dieses schon seit einiger Zeit regelmäßig anwende.
Susis Besitzerin ist anfangs nicht wirklich begeistert, aber wir können sie dennoch überreden, ihre Hormonersatztherapie probeweise von ihrem Gynäkologen auf eine orale Applikationsform anpassen zu lassen.
Mit Erfolg: Susis Fell wächst nach, die Läufigkeitssymptomatik verschwindet und Romeo nebenan kann wieder ruhig schlafen. Was man von diesem Fall mitnehmen kann: Hunde reagieren extrem empfindlich auf Östrogen; wie man sieht, kann schon die Behandlung der Besitzerin ausreichen, um beim Hund deutliche Symptome eines Hyperöstrogenismus auszulösen.
Bildquelle: Richard Brutyo, unsplash