Ob es um pränatale Diagnostik, Thromboseneigung oder Veranlagung zu Brust- und Eierstockkrebs geht – die Genetik ist auch aus der Gynäkologie nicht mehr wegzudenken. Ein Überblick.
Besonders in der Schwangerenbetreuung, aber auch in der Antikonzeptionsberatung und der onkologischen Nachsorge spielen genetische Gesichtspunkte eine tragende Rolle. Zwar bleibt eine fachübergreifende genetische Beratung einem Humangenetiker vorbehalten, doch dürfen auch Gynäkologen vor genetischen Untersuchungen aufklären und beraten. Geregelt wird das im Gendiagnostikgesetz und eine schriftliche Prüfung befähigt zur sogenannten fachgebundenen genetischen Beratung.
Die Pränataldiagnostik spielt in der Schwangerenbetreuung mittlerweile eine herausragende Rolle. Elternpaare sind durch Recherchen im Internet sehr gut informiert und sprechen pränatale Diagnosemethoden regelmäßig an. Familien, die bereits anamnestisch vorbelastet sind – etwa durch Erkrankung eines Elternteiles, eines Geschwisterkindes oder eines nahen Verwandten – machen sich berechtigte Sorgen um die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes.
Der nichtinvasive Pränataltest (NIPT) wird in besonderen Risikokonstellationen zum Juli 2022 eine Kassenleistung. Hier wird ab der 10. SSW das mütterliche Blut auf fetale Trisomien 21, 18 und 13 untersucht. Analysen auf numerische Chromosomenaberrationen der Gonosome, wie etwa bei einem Turner- oder Klinefelter-Syndrom, bleiben weiterhin Selbstzahlerleistungen. Bei auffälligem Befund folgt die Verifizierung des Ergebnisses durch eine Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie.
Selbst Experten sehen in der unpräzisen Definition „Risikokonstellation“ eine Hürde für eine einheitliche Vorgehensweise. Letztendlich müssen die behandelnden Frauenärzte entscheiden, ob etwa eine erhöhte Fehlbildungsangst der Schwangeren bereits ausreicht, um einen NIPT als Kassenleistung zu werten, oder ob er wie bisher eine individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) bleibt.
Das Ersttrimester-Screening zwischen 11 und 14 Schwangerschaftswochen beinhaltet eine ausführliche Ultraschalluntersuchung, die durch ein Nackentransparenz-Screening ergänzt wird. Dabei wird das adjustierte Risiko für eine Trisomie 21 aus der Höhe der kindlichen Nackenfalte, dem mütterlichen Alter und den biochemischen Parametern freies ß-HCG und PAPP-A berechnet. Bei einem pathologischen Befund wird die Amniozentese empfohlen. Ist diese unauffällig, besteht dennoch ein erhöhtes Risiko für ein Herzvitium, eine syndromale Erkrankung oder einen intrauterinen Fruchttod.
Die Ultraschalluntersuchung ab der 20. SSW ist nach wie vor Goldstandard: Sogenannte Softmarker wie ein White Spot im Herzventrikel oder ein hypoplastisches Nasenbein können ein Hinweiszeichen für chromosomal bedingte Syndrome sein. Davon abzugrenzen sind tatsächliche Fehlbildungen wie ein Herzvitium, eine Spina bifida oder eine Omphalozele. Hier wäre die Kontrolle in einer Spezialsprechstunde zum sonographischen Organscreening und Fehlbildungsausschluss die naheliegende Konsequenz.
Bisher haben alle Rhesus-D-negativen Schwangeren eine Anti-D-Prophylaxe erhalten. Die Betroffenen haben seit Mitte letzten Jahres die Möglichkeit, ab der 12. Schwangerschaftswoche den kindlichen Rhesusfaktor im mütterlichen Blut bestimmen zu lassen. Damit erhalten nur gezielt die Schwangeren eine Impfung, die ein Rhesus-D-positives Kind erwarten. Da es sich um eine pränatale genetische Untersuchung handelt, gilt die ärztliche Aufklärungs- und Beratungspflicht nach dem Gendiagnostikgesetzt.
Bei etwa jedem zehntem Paar mit Kinderwunsch stellt sich nach 12 Monaten keine spontane Schwangerschaft ein. Die Ursache liegt zu gleichen Teilen sowohl bei der Frau als auch beim Mann. Da bei Fertilitätsstörungen ein erhöhtes Risiko für insbesondere numerische Abweichungen der Gonosomen besteht, wird eine Chromosomenanalyse beider Elternteile vor IVF- oder ICSI-Therapien empfohlen.
Erleidet eine Frau dreimal, auch im Wechsel zu lebendgeborenen Kindern, eine Fehlgeburt, spricht man von einer habituellen Abortneigung. Für etwa 50 % der Frühaborte sind Chromosomenaberrationen ursächlich. Aus humangenetischer Sicht empfiehlt sich bei wiederholten Fehlgeburten eine Chromosomenanalyse der Eltern, sowie eine Abklärung von Thrombophilie-Risikofaktoren.
Mutationen im Faktor-V- oder im Faktor-II-Gen, Protein-S-Mangel und Hyperhomocysteinämie, aber auch ein pathologischer Antiphospholipid-Antikörper-Spiegel können sowohl die Rate an Fehlgeburten als auch die Thrombosegefahr unter einer östrogenhaltigen Hormontherapie erhöhen. Bei bekannter familiärer oder anamnestischer Thromboseneigung empfiehlt sich vor der Verordnung von Hormonpräparaten eine Blutentnahme zur Thrombophilie-Diagnostik, gefolgt von einer Beratung im Rahmen des Gendiagnostikgesetzes.
Etwa ein Viertel aller Brustkrebsfälle treten familiär gehäuft auf und in 5 bis 10 % lässt sich ein krankheitsauslösendes Gen nachweisen. Meist handelt es sich dabei um das BRCA1- oder BRCA2-Gen. Frauen mit Hochrisikogenen haben ein lebenslanges Risiko von 50–80 %, an Brustkrebs zu erkranken; für die kontralaterale Seite beträgt es 60 %. Das Risiko für ein Ovarialkarzinom liegt zwischen 10 und 40 %. Eine genetische Beratung und Untersuchung wird in folgenden familiären Risikokonstellationen empfohlen:
Bestätigt sich eine genetische Disposition, wird der Patientin die Aufnahme in ein intensiviertes Vorsorgeprogramm empfohlen.
Seit Jahren forscht Prof. Elisabeth Binder, Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, inwiefern Umweltfaktoren Einfluss auf die molekulare Biologie eines Menschen haben. Sie untersucht die epigenetischen Veränderungen des menschlichen Erbguts in Folge von vorwiegend in früher Kindheit erlebten Traumata. Stress und Gewalt können die Aktivität von Gehirnabschnitten verändern und gleichsam wie Narben im Erbgut zurückbleiben.
Solche epigenetischen Veränderungen könnten im späteren Leben das individuelle Risiko für Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungssyndrome erhöhen. Selbst in der nächsten Generation seien davon noch Auswirkungen zu sehen. Ein interessanter Ansatz, der in der gynäkologischen Praxis bei anamnestische Kindheitstraumata, etwa sexualisierte Gewalt, aufhorchen und fachübergreifend therapieren lässt.
Die molekulare Genetik nimmt in der modernen Medizin einen immer größeren Stellenwert ein. Das Gendiagnostikgesetz regelt Aufklärungs- und Beratungspflicht und ermöglicht eine fachgebundene genetische Beratungstätigkeit auch für Gynäkologen.
Herausfordernd wird die konkrete Umsetzung neuer Leistungen und zeitintensiver Beratungsgespräche im gynäkologischen Alltag. Insgesamt handelt es sich um ein spannendes Themengebiet, das die Medizin in den kommenden Jahren revolutionieren könnte.
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